Caius und Lucius nickten wie Schuljungen nach einer Standpauke. Als der Statthalter in normaler Lautstärke weitersprach, klang er sachlich, fast als wollte er, dass seine Worte durch die Tür drangen. »Ich breche morgen zu einer Inspektionsreise auf«, sagte er. »Es geht ins Gebirge zu den Minen. Ich empfehle euch mit mir zu fahren.« Er wandte sich an Lucius. »Du kannst dir dort ein Bild von den Geschäften deines Vaters machen. Die Legionen gehen nach Osten und beziehen ein Sommerlager im Land der Cherusker. Wir stoßen in zwei Wochen dazu.« Als sei damit alles gesagt, ging er zur Tür.
Caius und Lucius erhoben sich, immer noch völlig entgeistert von der plötzlichen Wendung des Gesprächs. Varus zog die Tür auf und wartete, bis die beiden Freunde den Raum verlassen hatten.
Auf dem Gang stand Rullianus in herausfordernder Pose und wich keinen Schritt zurück, sodass sie sich fast an ihm vorbeidrängen mussten. Sein Blick war drohend. »Schönen Abend«, sagte er.
20
Caius und Lucius trotteten niedergeschlagen und missmutig durch die laue Abendluft zu ihrer Unterkunft zurück. Die Straßen waren immer noch voll von Menschen. Den ganzen Tag über waren unablässig Soldaten und Trossleute ins Lager geströmt, hatten ihre Baracken bezogen und gaben sich nun dem Müßiggang hin. Sie tranken Wein, rissen derbe Witze und würfelten um Geld. Überall rauchten kleine Schornsteine. Die verschiedensten Düfte und Ausdünstungen hingen in der Luft, und wie bei den Gesprächsfetzen, die Caius aufschnappte, vermischte sich auch hier Appetitliches mit Abstoßendem.
Als sie um die Ecke bogen, stand einer ihrer Leibwächter mit grimmigem Gesichtsausdruck vor der Tür, als wollte er durch demonstrative Wachsamkeit das Missgeschick von Placidus wiedergutmachen. Sie erkundigten sich nach dem Verletzten und statteten ihm einen kurzen Besuch ab. Placidus lag in seiner Kammer und döste vor sich hin. Als sie eintraten, wollte er sich aufrichten und zu einer schuldbewussten Rechtfertigung anheben, aber Caius unterbrach ihn, indem er ihm sagte, er solle sich ausruhen, man werde ihn noch brauchen. Das schien Placidus zu beruhigen, und er schloss die Augen.
Die beiden Freunde gingen in ihr Quartier und setzten sich auf ihre Betten. Keiner von beiden hatte rechten Hunger, obwohl es eigentlich Zeit zum Essen gewesen wäre.
»Es ist nicht zu fassen«, murmelte Lucius. »Rullianus platzt einfach rein und vermasselt alles.«
»Vielleicht wird Varus auf der Reise ja wieder gesprächig.«
»Weil der Anblick von Minen einen in heitere Plauderstimmung versetzt?«, fragte Lucius spöttisch.
»Nein, du Esel, weil Rullianus nicht dabei sein wird«, antwortete Caius.
»Schönen Abend«, äffte Lucius die letzten Worte des Legaten nach. »Dem würde ich das Maul am liebsten mit Blei ausgießen, bis ihm sein dämliches Grinsen vergeht.«
»Gute Idee. Und anschließend stopfen wir ihn mit Schleuderbleien aus wie eine trojanische Sau.«
»Und dann versenken wir ihn im Rhein. Schwer genug ist er ja dann.«
Die beiden ließen ihrer Fantasie noch eine Weile in freudloser Gehässigkeit freien Lauf. Doch alles Lästern und Fluchen half am Ende nichts: Sie waren in einer Sackgasse. Varus schien seine Redseligkeit zu bereuen. Wahrscheinlich würde er gar nicht mehr auf das Thema zurückkommen und entsprechende Vorstöße von ihrer Seite als vorwitzig und anmaßend abkanzeln. Die nächste Zeit würde nicht gerade abenteuerlich werden.
Caius dachte wieder an das Mädchen. Wenn sie morgen abreisten, bestand keine Gelegenheit mehr, sie noch einmal zu sehen. Schließlich berichtete er Lucius in beiläufigem Ton von seiner Begegnung. Sein Freund maulte ein bisschen herum, Caius hätte ihm ja wohl früher davon erzählen können. Ansonsten schien ihn das Thema Mädchen, über das er eigentlich so gerne sprach, nicht zu interessieren. Er würde alle Brutzelerfrauen und Cherumplermädchen dieser Provinz gegen das eintauschen, was Varus in diesem Kasten aufbewahrte, tönte er.
Frustriert gingen sie früh ins Bett, um am nächsten Tag ausgeschlafen zu sein für den Ritt ins Hügelland, das irgendwo südlich des Flusses begann. Die Reisewagen ließen sie im Lager, weil das Gelände schwer zugänglich und noch kaum durch römische Straßen erschlossen war. Caius schlief unruhig und wachte immer wieder auf, ohne sich an mehr als ein paar neblige Gestalten erinnern zu können, die ihn in seinen Träumen heimsuchten.
Am Morgen wurden die wichtigsten Sachen, vor allem die Unterlagen über die Bleimine, auf Packpferde verladen. Als Caius nach dem Frühstück aus der Gasse trat, sah er, wie sich auf der Lagerstraße eine Kolonne formierte: Prätorianer der Leibwache des Statthalters, Liktoren mit ihren Rutenbündeln, die erste Kohorte der XVII. Legion zu Fuß, Meldereiter, Personal aus dem zivilen Verwaltungsstab und eine Reihe von einigermaßen geländegängigen Wagen für das nötigste Gepäck. Die beiden Freunde waren unschlüssig, ob sie sich beim Statthalter melden und, wenn ja, wie sie ihm gegenübertreten sollten. Caius schlug vor zu warten, bis Varus sich meldete; Lucius wandte ein, dass die Kolonne am Ende ohne sie aufbrechen würde und dass er keine Lust habe, dem Statthalter und seinem Gefolge wie ein unerwünschter Bittsteller hinterherzuschleichen. Und so stapfte er, ohne ein weiteres Wort zu sagen, zur Kommandantur und kehrte nach einer Weile mit zufriedenem Gesicht zurück. Einer der Liktoren hatte ihnen einen Platz in der Kolonne freigehalten.
Eine Stunde später waren sie unterwegs. In ihrer Begleitung befanden sich zwei Leibwächter, die beiden Sklaven und der Sekretär von Lucius. Die vier Bediensteten aus dem Geleit von Caius hatten sie zurückgelassen. Sie sollten dafür sorgen, dass die Wagen mit dem Heer ins Sommerlager gebracht wurden, wo die beiden später dazustoßen wollten.
Der Ritt führte sie zunächst Richtung Osten am Fluss entlang. Caius und Lucius hielten sich mit ihren Leuten im hinteren Teil des Zuges. Irgendwo vorn ritt Varus mit seinen Liktoren, umgeben von ein paar Beratern und einem Teil seiner Leibwache. Zwischen ihnen marschierte die Schlange aus fast fünfhundert Legionären in Sechserreihen. Den Schluss bildeten die Gepäckwagen. Solange sie auf der Straße waren, ging es schnell voran, und nach kurzer Zeit war Castra Lupiana am Horizont verschwunden. Ein leichter Nieselregen setzte ein, der nicht weiter störte, sondern nach der Hitze der vergangenen Tage einen angenehm kühlenden Film auf der Haut bildete.
Caius konnte nicht sagen, wie lange sie geritten waren. Immer wieder sprang die Wand aus Bäumen zurück und gab Felder und Weiden frei. Sie passierten vereinzelte Höfe und kleine Siedlungen. Geredet wurde wenig, und immer noch fragte sich Caius, wie sie dem Statthalter gegenübertreten sollten. Gegen Abend kamen sie zu einer größeren, von einer Palisade umgebenen Siedlung, wo ein Nachtlager aufgeschlagen wurde. Wagen schwenkten auf einer Wiese vor der Umfriedung aus, Zelte wurden abgeladen und in Windeseile auf dem freien Feld aufgerichtet. Kaum war das getan, zogen die Legionäre einen Graben um das Lager und schichteten aus der ausgehobenen Erde einen niedrigen Wall auf. Während Caius und Lucius noch darüber nachdachten, wo sie ihre Unterkunft nehmen sollten, kam einer der Sklaven aus dem Gefolge des Statthalters zu ihnen und lud sie ein ins Dorf zu kommen, wo sie in einem der Gebäude untergebracht werden sollten. Er begleitete sie durch ein Tor in der Palisade ins Innere des Dorfes. Caius blickte sich neugierig um. Etwa zwanzig Gebäude standen unregelmäßig über ein Rund von vielleicht einer Achtelmeile verstreut herum; in der Mitte erhob sich ein besonders langes Haus, das einem Brukterer in gehobener Position gehörte. Daneben war das Zelt des Statthalters aufgebaut worden. Die anderen Gebäude waren kleiner und niedriger, außerdem gab es eine Scheune, die, wohl um Mäuse und Ungeziefer fernzuhalten, auf Stelzen erbaut war, und einige in den Boden eingetiefte Häuser. Überall grasten Ziegen und Rinder zwischen Misthaufen und Holzstapeln. Der Nieselregen hatte aufgehört. Niemand war zu sehen. Vor dem Zelt des Statthalters steckte die Standarte der Kohorte in der Erde, die ihn begleitet hatte. Sie war übermannshoch und auf der Spitze glänzte der goldene Laubkranz mit der gebieterisch erhobenen Handfläche in der tief stehenden Sonne. Es sah aus, als hätte der Standartenträger damit einen Besitzanspruch auf das ganze Dorf in den Boden gerammt, entschlossen, fraglos und keinen Widerspruch duldend. Kein Wunder, dass das nicht allen hier im Land gefällt, dachte Caius.