Ein hünenhafter Germane erschien von irgendwoher und führte die beiden und ihre Begleiter wortlos in eines der kleineren Wohnhäuser. Die Decke des langgezogenen Raumes ruhte auf zwei Reihen von Eichenpfählen, die im lehmigen Boden steckten und von einer quer verlaufenden Flechtwerkwand unterbrochen wurden. Die Wand teilte einen Bereich für das Vieh ab; Stroh lag dort auf dem Boden verteilt. Die Tiere hatte man angesichts des bevorstehenden Besuchs wohl aus dem Haus geschafft. Im vorderen Teil waren einige eilig zurechtgezimmerte Pritschen aufgestellt, die mit Strohsäcken mehr schlecht als recht gepolstert waren. Im Raum stand ein Tisch mit acht Schemeln.
Caius lachte, als er sich ausmalte, was sein hochnäsiger Onkel zu dieser Unterkunft sagen würde. »Ihr könnt es euch nicht vorstellen«, näselte er und verdrehte die Augen in gespielter Verzweiflung. »Diese Germanen schlafen in Ställen und schnarchen mit Ochsen und Eseln um die Wette.«
»Und dann das Essen«, stieg Lucius auf die Parodie ein und blickte vorwurfsvoll auf den Tisch, auf dem aus irgendeinem Grund ein altes Messer lag. »Sie ernähren sich von modrigem Holz und rostigem Eisen und trinken den Urin ihrer Ziegen.«
Caius ließ sich prustend auf einen der Schemel fallen und blickte zur Tür, als stünde dort jemand. »Kein Wunder, dass die Frauen, die das Essen auftragen, so abgemagert sind, dass man sie gar nicht sieht.«
Lucius nahm ebenfalls Platz und schaute sich suchend um. »Du lachst«, sagte er, nur noch halb im Spaß. »Aber kriegen wir jetzt was zu essen oder nicht?«
Seine Frage wurde im gleichen Moment beantwortet. Mehrere Frauen in langen Gewändern erschienen in der Tür und trugen Schüsseln und Teller auf, sodass der Tisch sich vor Köstlichkeiten fast bog – neben einem saftigen Wildschweinbraten gab es auch einige Spezialitäten, die ganz offensichtlich auf dem Handelsweg aus einer römischen Stadt hierhergelangt waren. Sogar eine Schale mit Austern war dabei.
Nach kurzer Zeit kamen ihre Begleiter dazu, die sich nun etwas gesprächiger zeigten, als schweißte die fremde Umgebung sie zusammen: Leandros, der Sekretär, Titus und Appius, die Leibwächter, simple Gemüter, deren Appetit zu ihrer beeindruckenden Statur passte, und die beiden Sklaven Kimon und Kassandros, gebildete Griechen, die darauf hofften, sich auf dieser Reise durch besondere Dienstbeflissenheit ein Stück näher an die Freilassung heranzuarbeiten.
Seltsam, dachte Caius, heute haben wir mit diesen Leuten mehr Worte gewechselt als in der ganzen Zeit seit dem Aufbruch. Was so ein Braten doch alles bewirkt.
Nach dem Essen verstrickten sich Lucius und Leandros immer tiefer in ihre Fachsimpelei über die Gewinnung und Weiterverarbeitung von Blei. Caius verlor bald die Lust an der Unterhaltung und ging vor die Tür, um etwas Luft zu schnappen und sich im Dorf umzuschauen.
Es war schon etwas dämmerig geworden und aus dem Zelt des Statthalters drang ein schwacher Lichtschein. Caius blieb stehen.
Eine Gestalt war in der Zeltöffnung zu sehen. Es war Varus, angetan mit seinem Prachtharnisch und dem hohen Helm mit Federbusch. Er trat ins Freie, im gleichen Moment entdeckte er Caius, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht, das keine Befangenheit verriet. Er ging auf Caius zu und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Seid ihr gut untergekommen?«, fragte er fast beiläufig, als habe das Gespräch vom Vorabend nie stattgefunden.
»Es geht«, sagte Caius, der über die zwanglose Haltung seines Gegenübers beruhigt war. »Das Essen war hervorragend.«
Varus nickte. »Man sollte es nicht meinen, aber von Fleisch verstehen sie etwas. Mit der Zusammenstellung der Zutaten hapert es manchmal, aber satt wird man immer. Zu ihren Gästen sind sie von einer Zuvorkommenheit, die einen fast beschämt.«
»Nun haben sie heute allerdings auch nicht irgendwen zu Gast«, sagte Caius. Im selben Augenblick hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen, er fand die Bemerkung anbiedernd, kaum dass er sie ausgesprochen hatte.
Varus blickte ihn fast tadelnd an. »Darauf darf man sich nichts einbilden«, erwiderte er. »Die Bewirtung ist kein Maß für den Rang ihrer Gäste und auch nicht für die Freundschaft, die sie mit ihnen verbindet. Sie sind zu allen so.« Und etwas rätselhaft fuhr er fort: »Man sollte keine falschen Schlüsse daraus ziehen. Der Gast ist bei ihnen König, selbst wenn sie ihm am nächsten Tag in den Rücken fallen. Das ist hier kein Widerspruch.« Caius wusste nicht recht, was er sagen sollte. Nach einer weiteren Pause fügte der Statthalter hinzu: »Bei uns übrigens auch nicht.« Dann lenkte er das Gespräch auf die kommenden Tage, auf die Mine und auf die weitreichenden Pläne, die er mit den Verwaltungsleuten für die Ausbeutung der seiner Ansicht nach überreichlichen Bodenschätze ausgearbeitet hatte. Es war eine lockere Plauderei, die eine ganze Weile währte, ohne dass Varus auch nur durch die geringste Bemerkung verriet, dass er an die Unterhaltung über das geheimnisvolle Mitbringsel dachte. Schließlich verabschiedeten sie sich.
Als Caius sich zum Gehen wenden wollte, hielt Varus ihn zurück. »Eins noch«, sagte er. Aha, dachte Caius. Also doch. Die Stimme des Statthalters hatte gelassen geklungen, als ginge es um eine Nebensächlichkeit, die ihm gerade eingefallen war. Auch als er weiterredete, wirkte er souverän. »Ich möchte nicht, dass über unsere Unterhaltung von gestern Abend zu irgendjemandem ein Wort verloren wird«, sagte er. »Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ihr mich informiert habt. Aber diese Geschichte geht nur Augustus und mich etwas an. Haben wir uns verstanden?«
»Ja«, antwortete Caius, der von der lockeren Überlegenheit des Statthalters überrascht und gleichzeitig erleichtert war. Fast hörte es sich so an, als genügte das Stillschweigen, um alle Gefahren von ihnen abzuwenden. Varus schien auf beruhigende Weise zu wissen, wie er mit der Situation umzugehen hatte.
Der Statthalter nickte freundlich, drehte sich um und verschwand im Haupthaus, aus dem jetzt ein lautes, mehrstimmiges Lachen zu hören war.
21
Nach einem weiteren Tag, den sie am Ufer der Lupia entlanggeritten waren, überquerten sie den Fluss an einer Furt. Das Wasser schäumte um die Hufe der Pferde und zwischen den Stiefeln der Soldaten, und die Gischt wurde von der trägen Strömung fortgetragen. Die Luft war diesig, und gegen Abend entlud sich ein Gewitter über dem Wald, den sie schweigend durchquerten. Die Reise schien kein Ende nehmen zu wollen: endlose Ritte, Nachtlager in tristen Dörfern mit gastfreundlichen, aber wenig redseligen Menschen, von denen immer weniger ihre Sprache verstanden. Sie waren im Land der Marser, die von den Brukterern äußerlich durch nichts zu unterscheiden waren. Varus hielt hier und da Gerichtssitzungen ab, wenn sich die Einheimischen untereinander nicht einig werden konnten. In manchen Dörfern wurden kleine Abteilungen von Soldaten zur Sicherung der Handelswege zurückgelassen. Caius beneidete die Legionäre nicht, zumal mit keinem Wort erwähnt wurde, wie lange sie in dem fremden Land bleiben sollten.
Am Morgen des dritten Tages tauchten in der Ferne die ersten Hügel auf. Zweimal noch überquerten sie kleinere Flüsse an seichten Stellen, die einheimische Führer ihnen gezeigt hatten. Dann stieg das Gelände an. Bewaldete Berge schoben sich im Näherkommen zur Seite, gaben Täler frei und falteten die Landschaft in immer neuen Lagen aus dunkelgrünem Teppichwerk übereinander. Es wurde kühler. Ein paarmal begegneten sie Männern mit Packpferden.