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Am Nachmittag des vierten Tages, als sie sich gerade mit dem Abstieg von einer steilen Anhöhe abmühten, kam am Fuß des gegenüberliegenden Berges eine Siedlung in Sicht, die sich von den üblichen Gehöften des Flachlandes unterschied. Die Häuser waren kleiner und standen dichter beieinander. Im Näherkommen entdeckte Caius, dessen Blick von der immer gleichen Landschaft abgestumpft war, in unregelmäßigen Abständen zwischen dem Gestrüpp des teilweise abgeholzten Hanges dunkle Höhlen, in denen Menschen verschwanden und wieder hervorkamen. Rauchfahnen stiegen zwischen den Bäumen in den Himmel.

Während Caius noch darüber nachdachte, was das für eine Siedlung sein mochte, erblickte er die Gestalt von Varus am Rand des schmalen und von Lichtungen unterbrochenen Waldweges, über den die Kolonne dahinzog. Er war aus dem Zug ausgeschert. Allein.

Als Caius zusammen mit Lucius zu ihm aufgeschlossen hatte, lächelte der Statthalter ihnen erwartungsfroh entgegen. »Wir sind bei der Mine angekommen«, sagte er feierlich. »Lucius Flavius Verucla – hier wird dein Erbe vermehrt.«

Lucius grinste. »Um ehrlich zu sein, hoffe ich, dass ich es nicht so bald antreten muss.«

Der Statthalter grinste zurück. »Dann tu deinem Vater den Gefallen und sorg dafür, dass er es noch zu Lebzeiten verprassen kann.«

»Ich gebe mein Bestes«, sagte Lucius.

Sie ritten eine Weile schweigend nebeneinanderher, während sich hinter ihnen die Transportkarren ächzend über Baumwurzeln mühten. Nachdem sie die letzte Senke durchquert hatten, stieg das Gelände wieder an, und vor ihnen tauchte eine Siedlung auf, hinter der ein Dutzend Stollen in den Berg getrieben war. Vor den ersten Häusern stiegen sie ab. Die Gebäude waren in römischer Fachwerktechnik errichtet und beherbergten die Arbeiter, die sich in den Stollen zu schaffen machten.

Während Varus die Reihe der Legionäre mit einem Wink nach links zu einer größeren freien Fläche abschwenken ließ, ging Lucius zielstrebig auf einen Mann in einer schmutzigen Tunika zu, der gerade aus dem größten der Häuser herausgetreten war.

Solange Lucius mit dem Mann sprach, besah Caius sich das Treiben. Die Arbeiter waren ausnahmslos Sklaven, zumeist mit schwarzem Haar und südländischer Gesichtsfarbe, die man zur Erschließung und Bestellung der Mine hierher geschickt hatte. Zwischen den Gebäuden lagen Holzstapel herum. Geräusche erfüllten die Luft: Einige der Männer sägten Baumstämme klein, andere hackten die Stücke zu Scheiten und schichteten sie auf. Nicht weit von den Stolleneingängen waren Brennöfen in den Boden eingelassen, deren verziegelte Schlote zum Himmel aufragten und mit hohem Druck Rauch ausspien – die Rauchfahnen, die sie schon vom gegenüberliegenden Hang aus gesehen hatten. Aus dem Berg drang undeutlich der helle Klang von Metall. Sklaven erschienen mit Handkarren, auf denen sich dunkle und teilweise silbrig glänzende Gesteinsbrocken häuften, die sie vor den Brennöfen in hölzerne Kästen kippten. Wieder andere verschwanden in den schräg in den Boden getriebenen Rampen, die zum unteren Teil der Öfen führten, reichten die Kästen mit dem Erz nach unten, zogen eiserne Pfannen hervor oder kippten Schlacke in Gruben. Alles in allem waren an die siebzig Männer hier beschäftigt. Ihre ausdruckslosen Gesichter waren von Ruß geschwärzt und ihre Kleidung starr vor Schmutz.

Lucius hatte seine Besprechung vorläufig beendet und kam zurück. Er war ganz in seinem Element und darüber hinaus froh endlich seine Aufgabe wahrnehmen zu können. Wahrscheinlich befeuerte auch die Aussicht, seinem Vater vom reibungslosen Ablauf der Geschäfte berichten zu können, seinen Eifer wie die ständig von den Sklaven nachgelegten Holzscheite die Brennöfen. »Komm«, sagte er mit leuchtenden Augen. Er, der fast die ganzen letzten Wochen von Mädchen schwadroniert oder zusammen mit Caius über den rätselhaften Brief des Statthalters spekuliert hatte, war kaum wiederzuerkennen. »Ich zeige dir den Betrieb«, sagte er voller Stolz. Er fasste Caius am Ärmel und zog ihn mit sich zwischen die planlos wuchernden Häuser.

Bei den Sklaven schien sich die Nachricht von dem hohen Besuch herumzusprechen, denn sie grüßten den jungen Mann, der jetzt tatsächlich mit dem Gebaren eines Geschäftsführers einherschritt, durch ehrerbietiges Kopfnicken.

Am hangseitigen Rand der Siedlung kamen sie an eine große Feuerstelle, neben der sich winzige tönerne Formen auf der einen Seite und Scherben auf der anderen stapelten. Ein Sklave war damit beschäftigt, mit einem Schaber einen silbrig grauen Bodensatz aus den Eisenpfannen zu kratzen, die Caius vorher bei den Brennöfen gesehen hatte. »Blei«, sagte Lucius fast andächtig.

Der Sklave blickte kurz auf und arbeitete dann weiter. Das ausgeschabte Blei legte er in die Formen, die auf einem Rost über dem Feuer standen. Wenn die Klumpen geschmolzen waren, nahm der Sklave eine Zange zur Hand, holte die Form behutsam vom Rost und stellte sie in eine flache Metallwanne mit Wasser, dass es zischte. Die erkalteten Formen zerschlug er mit einem Hammer und setzte die trapezförmigen Barren auf eine Holzplatte, die auf vier Ziegelsteinen ruhte.

Lucius hob einen Barren von einer Platte und reichte ihn Caius. Er war kaum größer als eine Kinderhand, wog aber umso schwerer. Auf einer Seite waren durch die Form ein paar Buchstaben eingeprägt worden, ein leicht aufzulösendes Kürzeclass="underline" Lucii Flavii Veruclae plumbum germanicum. Germanisches Blei des Lucius Flavius Verucla.

»Genau zwei Pfund schwer«, sagte Lucius. »Wir machen hier Tausende davon. Für Schleuderbleie und Wasserrohre zum Beispiel.« Er beugte sich verschwörerisch vor. »Und vielleicht demnächst ja auch noch für den einen oder anderen Legionsadler.«

»Die sind aber aus Gold«, entgegnete Caius zögernd.

Lucius lachte triumphierend auf. »Das denken alle.«

»Was denn sonst?«, fragte Caius skeptisch. »Du willst mir in deinem Größenwahn doch wohl nicht erzählen, dass die Adler neuerdings aus Blei sind?«

»Und ob«, gab Lucius grinsend zurück. »Ummantelung, Flügel, Kopf und Klauen sind aus Gold. Der Kern ist aus Blei. Merkt doch keiner.« Caius wollte nicht glauben, was er da hörte. Bevor er jedoch etwas einwenden konnte, sprach Lucius weiter: »Wie der Name schon sagt. Signum. Ein Zeichen. Ein Symbol. Blendwerk, wenn man so will. Warum sollte man das kostbare Gold verschwenden, wenn es auch billiger geht? Man spart beinahe siebenhundert Aurei pro Adler. Davon kann man eine halbe Kohorte fast ein Jahr lang besolden. Eine ganz einfache Rechnung.«

»Aber das heißt ja …«

»Es heißt gar nichts. Weil sich nichts ändert. Wen interessiert denn so was? Hauptsache, es glänzt nach außen. Das funktioniert im Geschäftsleben wie in der Politik.« Lucius klatschte vor Vergnügen in die Hände. Caius musste lachen. Die Rechnung schien wirklich ziemlich simpel.

Ein lautes Poltern riss ihn aus seinen Gedanken. Caius sah auf. Weiter oben am Berghang stand in einem der Stolleneingänge ein Arbeiter, dem die vordere Achse seines Handkarrens gebrochen war. Erzklumpen kullerten zu Boden.

»So muss es sein!«, rief Lucius aus. »Die Achsen brechen vor lauter Blei. Los, ich zeige dir die Stollen.« Damit war er auch schon aufgesprungen und hielt auf den Berg zu.

Caius folgte ihm mit einem etwas merkwürdigen Gefühl im Bauch. Der höhlenartige Eingang gähnte ihn an, und nach wenigen Schritten umfing sie das feuchte Dunkel, das nur vom Leuchten einer kleinen Fackel erhellt wurde, die in einer in die Felswand getriebenen Halterung steckte.

»Hier wird das Erz aus dem Bauch des Berges geschlagen«, setzte Lucius seinen Vortrag in dozierendem Ton fort. Als sie bei der Lichtquelle angelangt waren, sah Caius dünne silbergrau schimmernde und in wüsten Knicken und Windungen verästelte Adern in der mit groben Hackenschlägen behauenen Stollenwand, über der ein feuchter Film lag. Auf dem Boden hatten sich Pfützen gebildet. Der Eingang des Stollens war nur noch ein kleiner heller Fleck.