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Die Stimmung schaukelte sich auf, und als Varus, der sich durch die Drohgebärden nicht im Mindesten beeindrucken ließ, seinen Liktoren befahl, die beiden Soldaten zu übernehmen, sah es für kurze Zeit so aus, als ob es zu Handgreiflichkeiten kommen würde. Während Germanen und Römer sich anschrien, ohne sich zu verstehen, blickte der Statthalter zu seinen Soldaten herüber, die auf den Befehl zum Eingreifen warteten. Die Germanen bemerkten es und zögerten. Diesen Moment nutzten die Liktoren, entrissen den Germanen mit entschlossenem Griff die beiden Gefangenen und zerrten sie zu sich herüber. Augenscheinlich trauten sich die Germanen nicht, mit Gewaltanwendung darauf zu reagieren, und so beruhigten sie sich wieder etwas, nicht ohne finstere Verwünschungen auszustoßen.

In der Zwischenzeit war in der Menge ein hochgewachsener, massiger Germane erschienen, der sich einen Weg durch seine Leute bahnte, bis er vor dem Statthalter stand. Varus war bemüht, die Wogen zu glätten, während die Prätorianer rechts und links von ihm, die Hand am Schwertgriff, nervös um sich blickten und die Liktoren die Gefangenen in die Mitte nahmen. Wieder wurde mithilfe des Dolmetschers debattiert. Schließlich schien eine Einigung zustande zu kommen: Der Hüne nickte einmal kurz, sagte noch etwas zu dem Dolmetscher und wandte sich dann grußlos zum Gehen. Er gab seinen Leuten ein Zeichen, und sie folgten ihm mit feindseligen Mienen zum Waldrand. Caius atmete auf.

Als die letzten Gestalten zwischen den Bäumen verschwunden waren, bedeutete Varus den Liktoren die beiden Legionäre loszubinden. Sie standen vor ihm und rieben sich die Handgelenke. Die Erleichterung darüber, dass Varus sie nicht den Germanen überlassen hatte, stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Angst hatten sie trotzdem.

Die angestaute Wut des Statthalters brach nun aus ihm heraus. Er baute sich vor den Soldaten auf und schlug ihnen mehrmals und mit voller Wucht mit dem Handrücken ins Gesicht. Sie ertrugen es, ohne auch nur zu zucken. »Habt ihr euer bisschen Verstand verloren?«, brüllte Varus. »Wir verhandeln wochenlang mit diesen Barbaren, sitzen in ihren zugigen Hütten, trinken ihren sauren Wein und versichern ihnen, dass wir ihre Bräuche respektieren, und ihr versaut alles!« Die beiden sagten nichts. »Alles!«, schrie der Statthalter und schlug noch einmal zu. Er wies mit dem Daumen hinter sich. »Das versoffene Pack hat gerade verstanden, dass ein Bündnis mit uns von Vorteil ist, und dann kommen zwei Idioten wie ihr und plündern den Opferteich! Nichts Besseres fällt euch ein? Ist das die erste Centurie?« Schließlich beruhigte er sich einigermaßen. Mit zusammengepressten Lippen blickte er zur Seite, als könnte er den Anblick nicht mehr ertragen. Schließlich straffte er sich. »Geht mir aus den Augen!«, herrschte er die Legionäre an. »Ich werde mir für euch was überlegen.« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand in seiner Unterkunft.

Später traf Caius den Statthalter wieder, als dieser gerade dabei war, sein Pferd an einem Wassertrog zu tränken.

»Schwachköpfe wie die beiden bringen die Stämme gegen uns auf«, sagte Varus. »Sie glauben, sie können sich hier benehmen, wie sie wollen. Am einfachsten wäre es gewesen, ich hätte sie diesen Marsern überlassen.«

»Warum hast du es nicht getan?«, fragte Caius.

Varus blickte ihn an, als hätte er gerade die dümmste Frage aller Zeiten gehört. »Weil ich die Justiz in dieser Provinz bin.«

»Sie werden nach Rache verlangen«, wandte Caius ein.

»Die meisten ihrer Anführer haben einen Sinn fürs Praktische«, erwiderte Varus. »Wenn sie der Ansicht sind, dass das Bündnis mit uns ihnen nützt, lassen sie sich von solchen Vorfällen nicht beirren.«

»Wenn sie schon selbst nicht nach Rache verlangen, dann vielleicht ihre Götter«, setzte Caius nach.

Varus schnaubte verächtlich. »Die Götter«, sagte er und lachte bitter. »Die Götter leben im sorgenfreien Ruhestand.«

23

Lucius war mit einem seiner Vorarbeiter zu einem nahe gelegenen Dorf geritten, um über die Lieferung von Lebensmitteln an die Minenarbeiter zu verhandeln, sodass Caius ihm erst am Nachmittag berichten konnte, was er in der Nacht beobachtet hatte und wie es am Morgen fast zu einer handfesten Auseinandersetzung mit den Marsern gekommen war.

»Donnerwetter«, sagte Lucius, nachdem er die Geschichte angehört hatte. »Wir haben ja ein ganz besonderes Talent, uns beliebt zu machen. Ich hoffe nur, dass die Marser nicht aus purer Lust auf Rache auf die Idee kommen, meine Bleitransporte zu überfallen.«

»Was sollen sie denn mit Blei? Sich ein paar Legionsadler gießen?«, fragte Caius spöttisch, der noch immer nicht glauben konnte, was sein Freund ihm bei der Führung durch die Mine erzählt hatte.

Lucius ging nicht auf die Anspielung ein. »Ich fürchte, sie würden die Barren wohl einfach in den Fluss werfen. Wäre schade drum.«

»Wäre doch schön für dich, wenn ein paar davon nicht eingeschmolzen werden und Leute in zweitausend Jahren Bleibarren mit deinem Namen drauf fänden. Es würde dich unsterblich machen.«

»Schöne Unsterblichkeit«, gab Lucius missgestimmt zurück. »Ich lege mehr Wert auf Ruhm in dieser Welt.«

»Dann solltest du anfangen deine Sachen zu packen. Wir brechen morgen früh ins Sommerlager der Legionen auf.«

Lucius lachte schon wieder. »Ist bereits alles erledigt.«

Sie plauderten noch eine Weile über den Betrieb, danach gingen sie zum Essen und verbrachten den Rest des Nachmittags mit Vorbereitungen für den Aufbruch. Lucius hatte beschlossen seinen Sekretär Leandros bis auf Weiteres als Verwalter der Mine einzusetzen. In zwei Monaten wollte er noch einmal nach dem Rechten sehen.

Am nächsten Morgen machte sich die Reisegesellschaft auf den Weg, der erneut zuerst durch bergiges Gelände, an einem kleinen Fluss entlang und schließlich über sanftes Hügelland führte. Wieder übernachteten sie in den Gehöften der germanischen Verbündeten, während die Soldaten ihr Lager auf Wiesen und Waldlichtungen aufschlugen.

Am vierten Tag zeichnete sich am Horizont das Sommerlager als gewaltiger Komplex ab. Caius schätzte, dass es mindestens doppelt so groß war wie Castra Lupiana, denn alle drei Legionen waren innerhalb der Palisade untergebracht, wenn auch nicht in Baracken, sondern in Zelten. Caius und Lucius mussten sich ebenfalls mit einem Zelt zufriedengeben, das allerdings ziemlich geräumig und komfortabel eingerichtet war. Der gesamte Tross kampierte vor dem Lager. Sonst glich der Betrieb dem in Castra Lupiana. Als Kommandantur erhob sich im Zentrum der Anlage ein schmuckloses Fachwerkgebäude mit Anbauten aus Lehm. Es war das einzige fest errichtete Haus in der ganzen Umgebung.

Sie waren nun mitten im Land der Cherusker, die das Lager täglich mit endlosen Wagenkolonnen beschickten, von denen Lebensmittel abgeladen und verkauft wurden. Weiterer Nachschub wurde von Transportkähnen über die Visurgis angeliefert, die sich wenige hundert Meter von der Umwallung entfernt träge dahinschleppte. Insgesamt gab es um die fünfundzwanzigtausend Mäuler zu stopfen.

Für lange Wochen geschah nichts Aufregendes. Beinahe täglich wurden Stammesführer bei Varus vorstellig, um mit ihm die politische und militärische Lage zu erörtern. Ab und zu durften Caius und Lucius bei den Besprechungen dabei sein, ansonsten wurden sie vor allem von Silanus mit Neuigkeiten aus der Kommandantur versorgt, eingebettet in lange und immer gleiche Tiraden über die primitiven Zustände im Lager und die noch primitiveren Barbaren, mit denen man sich abgeben musste, weil man ja mit ihnen verbündet war.