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Aber es war aufregend. Hoffentlich verstand er das nicht falsch. Dann waren sie außer Sichtweite. Zwischen den Stämmen loderten die Feuer hindurch und das Stimmengewirr drang nur gedämpft herüber. Sie blieben an einer dicken Buche stehen.

»Was hast du eigentlich bei denen da zu tun?«, fragte sie und wies mit dem Kopf zur Lichtung. »Soldat bist du nicht. Und arbeiten musst du anscheinend auch nicht.«

Er lachte. »Das ist eine ganz schön lange Geschichte.«

»Dann lass mal hören!«

Und er begann zu berichten. Was er sagte, klang unglaublich. Sein Vater musste in Rom ein furchtbar wichtiger Mann sein, dass er von Augustus persönlich einen Auftrag bekommen hatte, der ihn nach Varus zum mächtigsten Mann in Germanien gemacht hätte. Und jetzt, wo er krank war, war sein Sohn mit einem Freund aufgebrochen. Sie beneidete ihn um seine Freiheit. Er war fünfzehn, und er konnte tun und lassen, was er wollte. War das normal bei den Römern?

»Und du?«, fragte er plötzlich unvermittelt. »Du spielst die Bäuerin, aber du sprichst ausgezeichnet Latein. Es kann ja sein, dass wir euch unterschätzen. Aber eine Gemüseverkäuferin, die Flaccus aus dem Gedächtnis rezitiert, findest du noch nicht mal in Rom.« Er kam ein Stück näher und sah ihr in die Augen. »Wer bist du?«, fragte er.

Ihre Gedanken rasten. Sein Gesicht war nur noch zwei Handbreit von ihrem entfernt.

»Soll ich raten?«, setzte er nach.

»Rate«, erwiderte sie, um Zeit zu gewinnen.

»Du bist keine Bäuerin. Du gehörst zum Stammesadel. Jemand aus deiner Familie arbeitet mit uns zusammen.« Sein Gesicht war nun ganz dicht an ihrem und ihr Herz fing so wild an zu klopfen, dass sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. »Dein Vater?« Er stützte sich mit den Händen an dem Baumstamm ab, an den sie gelehnt stand, und sein Atem streifte ihre Wange.

»Nein«, sagte sie leise.

Er kam noch näher, sodass sich ihre Nasenspitzen berührten. »Dein Bruder.« Er flüsterte fast.

In ihrem Kopf blitzte der Gedanke auf, dass sie sich von ihm küssen lassen könnte, nur um zu verhindern, dass er weiterfragte. Andererseits warnte ein Instinkt sie, dass es besser war, ihn nicht zu schnell seinen Willen bekommen zu lassen.

Sie schlüpfte unter seinem rechten Arm durch und trat rückwärts neben den Baum. »Machst du das bei allen so?«, fragte sie.

Er lächelte und ging einen Schritt auf sie zu. Sie wich hinter den Baumstamm zurück. Er setzte nach. »Wie, bei allen?«

»Frag nicht so dumm. Bei allen Mädchen in Rom.«

Er lachte schelmisch. »Das fragen alle.« Die Antwort war eigentlich ziemlich unverschämt, dabei aber so entwaffnend ehrlich, dass einen Augenblick lang ihre Verblüffung stärker war als ihre Vorsicht.

»Fragen das wirklich alle?« Sie wich ihm wieder aus.

Er rückte nach. »Eigentlich nicht.«

»Was heißt denn eigentlich

»Na, so viele waren es jetzt auch nicht.«

Sie versuchte streng zu blicken. »Du lügst. Du und dein Freund da. Der ist bestimmt genauso schlimm wie du.«

Caius lachte jetzt lauthals auf, ohne dass sie verstand warum.

»Was gibt’s da zu lachen?«

»Du kennst Lucius nicht. Der ist viel schlimmer als ich.« Er lachte noch einmal, als erinnerte er sich an eine Anekdote, die das belegen konnte. Sie hatten den Baum inzwischen einmal umrundet.

»Wie gemein. Du verleumdest ihn.«

»Ich glaube, er wäre eher stolz drauf.« Er war nun dicht vor ihr. Sein Mund schob sich vor, sie drehte den Kopf weg, und sein Kuss traf sie auf der Wange.

»Und du natürlich nicht.«

Er arbeitete sich sanft auf ihre Lippen zu. Fastrada spürte eine Gänsehaut am ganzen Körper, als er sie erreichte. Diesmal drehte sie den Kopf nicht weg, sondern erwiderte seinen Kuss.

Ihre Hände, die sich zuerst gegen seine Brust gestemmt hatten, sanken herab und wanderten um seine Taille. Auch er umschlang sie, nicht fordernd und gierig, sondern sanft.

Fastrada schloss die Augen. Ein aufregendes Kribbeln breitete sich in ihrem Körper aus, benebelte ihre Sinne und betäubte ihren Verstand. Sie vergaß alles um sich herum. Er nahm ihr Gesicht in die Hände und bedeckte es mit Küssen.

Plötzlich knackte in einiger Entfernung ein Zweig. Erschrocken öffnete Fastrada die Augen. Zwischen den Bäumen erschien eine leicht schwankende Gestalt und verschwand hinter einem Gebüsch. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, wo sie eigentlich waren. Sie löste sich widerwillig aus der Umarmung. »Ich muss zurück«, sagte sie.

Er nickte. »Treffen wir uns morgen Abend wieder hier?«, fragte er.

Sie lächelte und zog eine Augenbraue hoch. »Mal sehen.«

25

Lucius seufzte, nachdem Caius ihm von seinem Treffen mit Fastrada im Wald erzählt hatte. Fastrada. Das Gesicht hatte endlich einen Namen.

Die beiden Freunde lagen in einem Lederzelt, das hinter den Elstersteinen mit mehr als dreihundert anderen für die römischen Soldaten errichtet worden war. Nur der Statthalter, die Legaten und ihr Gefolge hatten etwas komfortabler in einem Gehöft übernachtet. Lucius hatte die längere Abwesenheit seines Freundes auf dem Fest gar nicht bemerkt, weil er von einem der Standartenträger in ein längeres Gespräch verwickelt worden war. Dabei hatten sie ziemlich viel getrunken. Wie hätte man vor den Cherumplern denn sonst dagestanden, hatte sich Lucius auf dem Weg ins Zelt mit schwerer Zunge gerechtfertigt. Dementsprechend übel war ihm jetzt, und die Hitze, die sich unter den zusammengenähten Häuten gestaut hatte, machte ihm zusätzlich zu schaffen. Es musste schon Mittag sein. Lucius rieb sich den Schädel, während Caius’ Gedanken unaufhörlich um Fastrada kreisten. Was wusste er von ihr? Wenn er das Gespräch, das dem Kuss vorangegangen war, noch einmal Revue passieren ließ, hatte er fast den Eindruck, dass sie ihm etwas verheimlichte. Fragen über ihre Familie war sie ausgewichen. Lucius hatte eingeworfen, dass sie vielleicht jemandem versprochen war. Wenn man bedachte, dass sie ungefähr in seinem Alter war, dann war diese Möglichkeit gar nicht so abwegig.

Caius richtete sich auf und kämpfte sich durch Decken und Kleidungsstücke aus dem Zelt. Als das Tageslicht durch den Eingang drang, stöhnte Lucius hinter ihm auf und vergrub den Kopf unter den Armen.

Draußen war es schwül und etwas diesig. Die Sonne stand hoch am Himmel. Es herrschte der übliche träge Betrieb nach einem Festgelage. Legionäre saßen in kleinen Gruppen auf dem Boden und sprachen heiser miteinander. Zeltplanen wurden zur Seite geschlagen und verkaterte Gestalten krochen stöhnend ins Freie, rieben sich Nacken und Gelenke und grinsten den bereits halbwegs zum Leben erwachten Kameraden zu. Wenn die Cherusker ein Fest daran maßen, wie viel getrunken wurde, dann war es eine gelungene Veranstaltung gewesen.

Caius umrundete die riesigen Felsen und atmete die feuchtwarme Luft ein. Er fühlte sich glänzend. Der Gedanke an Fastrada und die Vorfreude auf das Wiedersehen beschwingten ihn. Es war anders gewesen als mit seinen Eroberungen in Rom, die man in irgendwelchen Gassen küsste, um hinterher seinen Freunden davon zu erzählen, mit allen dazugeflunkerten Ausschmückungen, die die unausgegorene Fantasie der gleichaltrigen Zuhörer verlangte. Es schien ihm nicht nur unpassend, sondern geradezu abwegig, so über Fastrada zu reden, und er war Lucius dankbar, dass er nicht versucht hatte ihn in diese Richtung zu drängen. Wieder einmal hatte sein Freund bewiesen, dass er ein Gespür für Zwischentöne hatte. Mein Lieber, du bist dabei, dir ganz schön den Kopf verdrehen zu lassen, das hatte er mit einer Mischung aus freundschaftlichem Neid, Anerkennung und Besorgnis gesagt.

Caius blickte zu den Felsen auf, die im dunstigen Tageslicht klobiger wirkten als am Abend, als das einfallende Sonnenlicht seine tastenden Schatten in die Zwischenräume geschoben hatte. Es war, als seien selbst die Steine ernüchtert, gerade gerückt und entzaubert. Während Caius sich noch fragte, wie Arminius auf die schräg stehende Felsnadel gekommen war, hörte er den gedämpften Klang von Pferdehufen hinter sich am Waldrand. Er drehte sich um. Ein paar römische Offiziere trabten auf die Lichtung. Als sie sich der Mitte näherten, erkannte er Silanus, der ihn im gleichen Augenblick entdeckte und den anderen Reitern ein Zeichen gab, sich zu entfernen.