Silanus brachte sein Pferd vor Caius zum Stehen und saß ab. Er grinste, und Caius grinste zurück. Heute konnte ihn sein Onkel mit seinem überheblichen Getue nicht auf die Nerven fallen – Caius hatte das Gefühl, die ganze Welt zu mögen.
»Na?«, fragte Silanus, nachdem er ihm kumpelhaft auf die Schulter geklopft hatte. »Alles überstanden, wie ich sehe.«
»Ja. Für dich war es wahrscheinlich schwieriger.«
»Das kannst du laut sagen«, gab Silanus zurück und verdrehte die Augen. »Wir konnten uns unsere Gesellschaft im Gegensatz zu dir nicht aussuchen.« Es klang wie eine Anspielung.
»Hoffentlich war wenigstens das Essen gut«, erwiderte Caius, ohne auf die Bemerkung einzugehen.
»Die Cherusker lieben es fettig«, dozierte Silanus blasiert. »Was dem einen oder anderen gestern möglicherweise das Leben gerettet hat. Zum Glück saß ich die ganze Zeit neben einer alten Essigamphore, wie auch immer die in dieses windschiefe Haus gekommen ist. Lehnte an der Wand. Anstoßen, einmal nippen und auskippen. Ganz einfach.«
Caius lachte. »Sie werden sich ganz schön wundern, wenn sie das nächste Mal Essig brauchen.«
»Werden sie nicht. Geschmacklich gab es da keinen Unterschied. Übrigens durften wir hinterher noch eine kleine Gesangsdarbietung zu Ehren von Wodan genießen. Das muss man nüchtern erst mal überstehen. Es hat geklungen wie das Brunftgebrüll einer Herde von Auerochsen. Zum Glück ist Varus nicht auf die Idee gekommen, uns auch noch singen zu lassen. Aber die Muse hat ja gestern Abend jemand anderen geküsst, wie man hört.« Silanus lächelte hintergründig.
»Wie bitte?«
»Man hat dich gesehen.«
Caius konnte es nicht glauben. Seine Gedanken rasten. Er fühlte sich ertappt. Gleichzeitig fürchtete er, dass irgendwelche Gerüchte die Runde gemacht hatten, die Fastrada in Schwierigkeiten bringen könnten. Außerdem hatte er keine Lust, sich von Silanus in ein schlüpfriges Gespräch über das verwickeln zu lassen, was er am Abend zuvor getan oder nicht getan hatte.
»Du bist mit einer kleinen Cheruskerin im Wald verschwunden, heißt es. Nicht dass es mich etwas anginge. Kompliment, würde ich eher sagen. Soll ja eine ganz Hübsche gewesen sein. Aber das ist eben auch das Problem. Deine Kleine ist nämlich so einigen von unseren Leuten aufgefallen. Und einer hat behauptet, er hätte sie zwischendurch mit Arminius gesehen.«
»Was soll denn das heißen?«
Silanus zog eine Augenbraue hoch. »Muss ich noch deutlicher werden? Wenn du schon jemandem die Braut ausspannst, dann doch vielleicht nicht unbedingt unserem wichtigsten Verbündeten.«
Caius stand wie versteinert da. »Das kann nicht sein«, sagte er leise.
»Du weißt offensichtlich, wovon ich rede. Falls es ein nächstes Mal gibt, solltest du dich erkundigen, mit wem du es zu tun hast. Ansonsten weiß ich natürlich von nichts.« Silanus zwinkerte ihm zu und sprang wieder auf sein Pferd. »Und jetzt bringe ich mal den verkaterten Haufen von Nichtsnutzen im Zeltlager auf Vordermann.« Damit sprengte er davon.
Caius war wie gelähmt. Schlimme Befürchtungen stiegen in ihm auf. Du bist dabei, dir ganz schön den Kopf verdrehen zu lassen, hatte Lucius gesagt. Jetzt merkte Caius, wie recht sein Freund hatte.
Er setzte sich auf einen Felsbrocken. Konnte es wirklich sein, dass Fastrada etwas mit diesem Arminius zu tun hatte? Das ist völlig absurd, versuchte er sich zu beruhigen. Die Vermutung von Silanus basierte auf einem Gerücht, das irgendein Betrunkener nach einer im Halbdunkel gemachten Beobachtung in die Welt gesetzt hatte. Andererseits: Warum hatte sie nicht von ihrer Familie sprechen wollen?
Der Tag zog sich endlos in die Länge, und Caius, in dessen Kopf Vorfreude und Angst in schnellem Wechsel die Oberhand gewannen, war zu keiner sinnvollen Tätigkeit in der Lage.
Zusammen mit Lucius kletterte er zwischen den Steinen herum, und sie spekulierten darüber, wie Arminius auf den Felsen gekommen war. Irgendwann entdeckte Lucius ein paar Haken auf der Rückseite der steinernen Säule. Damit schien auch dieses Rätsel gelöst.
Bei Einbruch der Dämmerung machte Caius sich auf den Weg zum Treffpunkt. In seinem Bauch vibrierte und flatterte es. Hier und da saßen Leute auf der Wiese, aber die meisten germanischen Krieger waren schon wieder nach Hause gezogen, bis auf ein paar wichtige Leute, die mit Varus und seinem Stab endlos lange Besprechungen führten.
Zwischen den Bäumen war es ziemlich dunkel. Von Fastrada war weit und breit nichts zu sehen, und sofort bekam Caius wieder Zweifel, ob sie überhaupt auftauchen würde. Er hatte das Gefühl, schon eine Ewigkeit gewartet zu haben, als es plötzlich vor ihm im Gehölz knackte.
Sein Herz machte einen Sprung. Und dann trat sie hinter einem Baum hervor, als hätte sie dort bereits länger gestanden. Sie war schön, viel schöner noch als in seiner Erinnerung.
Sie trug ein langes weißes Kleid und ihr geflochtenes Haar umspielte ihr sanftes Gesicht. Eine Welle der Erregung überschwemmte ihn und raubte ihm fast den Atem. Dann war sie bei ihm. Er fühlte die Wärme ihres Körpers, ihre Hände in seinem Nacken. Ihre Küsse waren von einer umwerfenden Selbstverständlichkeit.
Nach einiger Zeit trat sie einen halben Schritt zurück, nahm seine Hände und zog ihn mit sich. Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinanderher. Caius war wie berauscht.
Auf einer kleinen Lichtung blieben sie stehen und küssten sich erneut. Irgendwann fiel Caius wieder ein, was ihn den ganzen Tag über umgetrieben hatte. Er löste sich sanft aus der Umarmung.
»Ist dein Dorf hier in der Nähe?«, fragte er, weil er nicht wusste, wie er anfangen sollte.
»Ja«, sagte sie. »Aber da können wir nicht hin.«
Wieder hatte er den Eindruck, dass ihr dieses Thema unangenehm war. Schließlich nahm er seinen Mut zusammen. »Dein Vater ist einer der wichtigsten Leute bei euch, oder?«
Sie nickte.
»Aber mit Arminius bist du nicht zufällig verwandt?« Seine Frage sollte wie ein Scherz klingen. Caius wollte auf keinen Fall, dass Fastrada erfuhr, was irgendwelche Soldaten über sie redeten.
Sie blickte ihn zuerst erschrocken, dann misstrauisch an. »Du hast dich doch nicht über mich erkundigt, oder?«
»Nein, nein«, erwiderte er schnell. »Wie heißt denn dein Vater?«
»Inguiomer.«
Der Name sagte ihm etwas, er war vor der Abreise mehrmals gefallen, als vom Adel der Cherusker die Rede gewesen war. Inguiomer. Bruder von Segimer. Segimer. Vater von Arminius. Auf die blitzartige Erkenntnis folgte Erleichterung. Cousine. Nicht Braut.
»Irmin, oder Arminius, wie er bei euch heißt, ist mein Cousin«, sagte sie.
26
Fastrada hatte schon am zweiten Tag aufgehört, sich zu fragen, ob es richtig war, sich mit dem jungen Römer zu treffen. Natürlich war es nicht richtig. Die Eltern hatten darüber zu bestimmen, mit wem man sich einließ. Man hatte sich überhaupt nicht mit Männern abzugeben, bevor nicht etwas arrangiert war, was verhinderte, dass es Gerede gab, durch das die ganze Familie in Verruf kam. Es war also nicht richtig, und sie würde es trotzdem tun. Niemand würde Verständnis für ihr Verhalten haben, wie so oft. Fastrada hatte sich längst daran gewöhnt, anderen Menschen die meisten ihrer Gedanken und Gefühle vorzuenthalten, um Streitereien zu vermeiden.
Dreimal hatte sie sich mit Caius im Schutz der Dunkelheit in dem kleinen Wald bei ihrem Dorf getroffen, und jedes Mal hatte sie sich vorher unbemerkt davonstehlen und hinterher ebenso unbemerkt ins Haus zurückschleichen müssen, was gar nicht so einfach gewesen war. Lange konnte das nicht mehr gut gehen, aber die Tage ihrer heimlichen Treffen waren ohnehin gezählt. Morgen sollten die Römer in ihr Sommerlager an der Weser zurückkehren, um von dort aus ahnungslos in die Falle zu marschieren, die Irmin gerade auslegte. Selbst wenn der Hinterhalt misslang, war ein Wiedersehen mit Caius nicht sehr wahrscheinlich, denn schon der Versuch eines Überfalls auf die Römer würde einen längeren Krieg nach sich ziehen, an dem er wohl nicht mehr teilnehmen würde. Sein Vater hatte ihn in dieses Land geschickt, damit er die Praxis von Verwaltung und Justiz kennenlernte und nicht, um ihn Augenzeuge von Massakern werden zu lassen. Aus dieser Sicht gab es für ihn zwei Möglichkeiten: Entweder er würde in dem Hinterhalt ums Leben kommen. Oder er würde nach Rom zurückkehren – und sie vergessen.