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»Spar dir deine Andeutungen.«

»Na gut. Dritter Auftritt: Segestios kocht vor Wut und schwärzt Arminios bei Vareios an, dem König der Perser.«

»Sehr witzig.«

»Leider nicht.« Silanus wurde ernst. »Dieser Segestes ist gestern in die Besprechung geplatzt und hat Varus beiseitegenommen. Der Statthalter ist ziemlich blass geworden und dann rot angelaufen vor Wut. Er hat Segestes rausgeschickt und uns erzählt, was der Alte ihm zugeraunt hat, und jetzt halt dich fest: Segestes hat behauptet, Arminius wolle das ganze Heer in eine Falle locken. Von wegen Aufstände an der Grenze zu den Amsivariern. Er will uns im Wald einkesseln und niedermachen. Drei Legionen. Wenn das stimmen würde, dann litte unser Arminius unter einem fast schon wieder bewundernswerten Größenwahn.«

»Das kann doch nicht wahr sein!«

»Haben wir auch gesagt. Riesenaufregung im Stab. Aber keiner wollte es so richtig glauben, zumal die Geschichte mit Thusnelda bekannt war. Anscheinend will Segestes uns dafür einspannen, seinen Familienkrach zu bereinigen. Varus hat ihn dann noch mal reingeholt, damit er seine Anschuldigungen wiederholt. Das hat er auch getan, und zu allem Überfluss hat er uns geraten den ganzen Stammesadel der Cherusker verhaften zu lassen. Einschließlich seiner selbst.«

»Einschließlich seiner selbst? Wozu das denn?«

»Na, wozu wohl? Damit kein Verdacht auf ihn fällt. Er meinte wohl, dass er damit an Glaubwürdigkeit gewinnt. Wir haben es eher als ein Zeichen für die Haltlosigkeit seiner Vorwürfe gesehen. Anscheinend hat er nicht den Mut, sie offen zu äußern. Der Einzige, der die Ansicht vertrat, man sollte sie tatsächlich alle festnehmen, war übrigens Rullianus.«

»Rullianus?« In Caius arbeitete es. Hatte Rullianus mit dieser Empfehlung einen bestimmten Zweck verfolgt, der in irgendeinem Zusammenhang mit dem Geheimnis des Statthalters stand?

»Ja, Rullianus. Aber das war von ihm auch nicht anders zu erwarten. Er hasst diese Cherusker.«

»So wie du.«

»Ich hasse sie ganz und gar nicht, mein Lieber. Ich finde sie beschränkt, ungehobelt und nichtsnutzig, aber ich hasse sie nicht. Das ist ein Unterschied, auf den ich Wert lege.«

»Na dann.«

»Na dann. Also, Rullianus war dafür, sie gefangen zu nehmen und dazu ein paar kleinere Lichter, die hinterher niemand vermisst, und die sollten wir dann etwas eingehender befragen, wie er sich ausdrückte. Seine Argumentation hatte durchaus etwas für sich. Hat Segestes die Wahrheit gesagt, so Rullianus, werden die Verschwörer gekreuzigt, und der Aufstand bricht in sich zusammen. Hat er gelogen, lassen wir sie laufen, übergeben ihnen Segestes als Sündenbock zur Bestrafung, und Arminius kann uns obendrein noch dankbar sein, dass wir ihm seinen Schwiegervater vom Hals geschafft haben. Das wäre die Fortsetzung des Stückes nach Rullianus. Vierter Auftritt: Hinrichtung des Verräters. Fünfter Auftritt: Arminius und Thusnelda reiten in den Sonnenuntergang.«

»Das wäre dann aber keine Tragödie mehr.«

»Ach, Caius«, seufzte Silanus. »Bei den Cheruskern gerät ohnehin jeder Auftritt zur Komödie.«

»Und wie ging es weiter?«

»Wir haben alle Möglichkeiten durchgespielt und sind zu dem Schluss gekommen, das Segestes uns eine erfundene Geschichte aufgetischt hat. Und dass es sich nicht lohnt, aufgrund der durchschaubaren Lüge eines alten Mannes, dem seine Tochter auf der Nase herumtanzt, unser gutes Verhältnis zu Arminius aufs Spiel zu setzen. Also hat Varus der Diskussion ein Ende gemacht und entschieden, dass wir nach Plan aufbrechen. Einige meinten, wir sollten wenigstens in Gefechtsformation marschieren. Aber noch nicht einmal darauf wollte Varus sich einlassen. Für Arminius würde er seine Hand ins Feuer legen.«

»Du auch?«

»Mein lieber Caius«, sagte Silanus. »Wie die meisten Menschen verfüge ich nur über zwei Hände. Und es würde die vollendete Symmetrie meines überaus wohlgestalteten Körpers erheblich stören, wenn eine davon verkohlt wäre. Und jetzt solltest du dein Pferd aufzäumen lassen. Die Spitze der Marschkolonne zieht gerade ab. Wir wollen doch den vierten Auftritt unseres Stückes nicht verpassen.« Er legte eine Hand ans Ohr und beugte sich verschwörerisch zu Caius. »Ich höre den Chor der Cherusker im Wald murmeln. Vielleicht wird’s ja doch eine Tragödie?« Damit schlug er Caius auf die Schulter und verschwand zwischen den Packwagen.

28

In der Nacht nach dem Überfall machte Fastrada fast kein Auge zu. Sie hatte sich gründlich gewaschen, Gesicht, Hände, Arme, hatte den ganzen Körper mit einem feuchten Tuch abgerieben, bis ihre Haut brannte, als könnte sie damit die Erinnerungen an die letzte Nacht auslöschen, an das Kratzen der Bartstoppeln auf ihrem Gesicht und an den widerlichen Geruch des Römers, der sie wie eine Wolke zu umwehen schien. Abstoßende, abgehackte Bilder flackerten vor ihrem inneren Auge auf und verpesteten ihre Gedanken.

Sie fühlte sich so elend wie in ihrem ganzen Leben noch nicht. Und das Schlimmste war, dass sie sich niemandem anvertrauen konnte. Ihre Mutter würde sie mit ungnädigen Vorwürfen bestürmen, wegen ihres Leichtsinns und der Unverantwortlichkeit, mit der sie sich aus dem Haus geschlichen und den Ruf der ganzen Familie gefährdet hatte. Ihre Schwestern waren zu jung, um mit Dingen belastet zu werden, von denen sie nichts verstanden. Und selbst von ihren Freundinnen war kaum Hilfe zu erwarten – zu unausgegoren waren ihre Vorstellungen von Männern und dem, was man von ihnen zu erwarten und zu fürchten hatte, außerdem bestand die Gefahr, dass die Geschichte im Dorf die Runde machte.

Noch bedrückter wurde Fastrada, wenn sie an Caius dachte. Seine Abwesenheit tat körperlich weh, und die Gewissheit, dass sie ihn nie mehr wiedersehen würde, zog eine Furche der Verzweiflung durch die wenigen klaren Gedanken, die sie fassen konnte. Warum war er nicht zum Treffpunkt gekommen? War er selbst überfallen worden? Lag er womöglich irgendwo dort im Wald? Fastrada weinte lautlos, und erst als sich trübes Tageslicht durch die Ritzen im Strohdach tastete, fiel sie in einen unruhigen Dämmerschlaf. Als sie erwachte, war es schon fast Mittag.

Im Dorf herrschte in diesen Tagen ein rastloses Kommen und Gehen, doch Fastrada täuschte Unwohlsein vor und verließ kaum das Haus. Ab und zu hörte sie die heiseren Grüße der Eintreffenden und das sich entfernende Hufgetrappel der Aufbrechenden.

Am dritten Tag stand plötzlich Irmin in der Tür. Er trug einen Lederpanzer und sein Schwert an der Seite, war unrasiert und sah übernächtigt aus. Seine Haare hatte er schon länger nicht mehr geschnitten und den Siegelring von Tiberius hatte er abgelegt. Er setzte sich neben sie und strich ihr über die Wange. Sie wollte instinktiv zurückzucken, beherrschte sich aber. »Dir geht’s nicht gut, wie ich höre«, sagte er.

»Na ja. Schon etwas besser.«

»Ich nehme an, das sind Dinge, von denen nur Frauen etwas verstehen?«

Sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Ich wollte mich verabschieden«, sagte er. Morgen früh reiten wir los.« Eine Spur von Unbehagen schwang in seiner Stimme mit. »Ich weiß, was du davon hältst«, fuhr er fort. »Aber wir können nicht mehr zurück.«

»Ihr wollt nicht mehr zurück«, sagte sie kalt.

Er dachte eine Weile nach. »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht verstehst du das eines Tages.«

Fastrada spürte die Wut in sich aufsteigen. »Das ist doch alles nur hohles Gerede!«, rief sie. »Ich werde das nicht verstehen, jetzt nicht und später auch nicht. Überhaupt, später!« Sie lachte bitter. »Was soll denn das heißen, später? Wenn ihr euch alle gegenseitig umgebracht habt?«

Er schwieg. Langsam schien er zu begreifen, dass alles, was er sagen würde, den Graben zwischen ihnen nur weiter aufreißen würde. Er holte tief Luft, stand auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Frauen und Kinder lassen wir laufen«, sagte er, als sei das ein an sie persönlich gemachtes Zugeständnis, ein letztes Angebot, mit dem er sich ihr Verständnis erkaufen wollte.