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»Du glaubst, dass Varus nicht hart genug durchgreift?«, fragte Quintus.

»Durchgreifen ist nicht seine Stärke, aber auch nicht seine Aufgabe. Varus verwaltet. In ihm haben die Willigen jemanden, den sie schätzen können. Aber die Unwilligen brauchen Leute, die sie fürchten können.«

»Leute wie Appius Aemilius Rullianus.«

»Genau. Rullianus besitzt die Rücksichtslosigkeit, die Varus fehlt. Leute wie Varus und Rullianus sind im Zusammenspiel unschlagbar.«

»Solange sie sich nicht ins Gehege kommen.«

In diesem Moment erschien ein Sklave mit einer Papyrusrolle in der Hand in der Tür. Augustus winkte ihn heran. Der Sklave reichte ihm wortlos das Schriftstück, der Princeps entrollte es und überflog den Text. Dann nickte er und blickte zu dem wartenden Sklaven auf. »Das läuft nicht über den normalen Kurier.«

»Patroklos?«, fragte der Sklave.

Der Princeps nickte. »Wenn es geht, sofort.«

Der Sklave verschwand wieder. Eine Weile war es still. Caius ließ seinen Blick über die Wandmalereien schweifen. Apollo und Daphne, die zum Lorbeerbaum wurde. Artemis mit einem Jagdhund, der fragend zu ihr aufschaute. Poseidon, lässig auf den Dreizack gestützt.

Nach wenigen Augenblicken tauchte ein kleiner, drahtiger Sklave mit pechschwarzen, etwas unordentlichen Haaren in der Tür auf. In der Hand hatte er eine runde Schatulle aus Leder, in die ein geometrisches Muster geprägt war.

»Das geht an den Propraetor in der Lugdunensis«, sagte Augustus mit leicht gedämpfter Stimme, während er den Papyrus mit geübten Händen wieder zusammenrollte und dem Sklaven überreichte. »Warte die Antwort ab.«

Der Sklave nickte, schob die Rolle vorsichtig und etwas umständlich in die Lederschatulle, zog an einem Band am oberen Rand des röhrenförmigen Behälters und setzte einen Deckel darauf, auf den eine ähnlich schlichte Verzierung geprägt war wie auf die Schatulle selbst. Dann entfernte er sich.

Augustus blickte auf seinen Becher. »Patroklos ist mein schnellster Bote«, sagte er mit einem anerkennenden Lächeln. »Er hat es mal fertiggebracht, die Strecke von hier nach Lugdunum und zurück in neun Tagen zu reiten. Wie er das geschafft hat, ist mir bis heute ein Rätsel. Seitdem überrascht er mich immer aufs Neue. Auch diese doppelwandige Schatulle ist eine Idee von ihm. Alle meine persönlichen Boten verwenden sie inzwischen für wichtige Nachrichten. Falls sie überfallen werden, findet man nur ein paar belanglose Briefe, in denen von Getreidehandel die Rede ist.« Augustus leerte den Becher mit einem Zug und nahm den Faden des Gesprächs mühelos wieder auf. »Solange sie sich nicht ins Gehege kommen«, rekapitulierte er, und Caius brauchte etwas, um zu begreifen, dass erneut von Varus und Rullianus die Rede war. »Früher oder später werden sie sich ins Gehege kommen. Rullianus ist ehrgeizig. Er wird nach dem Posten des Provinzstatthalters schielen. Das wiederum wird Varus anspornen. Ich denke, es werden noch zehn Jahre ins Land gehen, dann können wir die Lager vom Rhein an die Albis verlegen. Damit wäre die Grenze zu Gallien gesichert. Leider haben wir noch nicht viele genaue Informationen über das Land. Es heißt, vom Rhein bis zur Albis sind es dreitausend Stadien, aber nach neueren Berechnungen scheint es eher etwas weniger zu sein. Wie es weiter im Osten aussieht, darüber wissen wir fast gar nichts. Die Stämme dort sind angeblich noch zügelloser und kriegerischer als die Germanen, mit denen wir zu tun haben. Wenn das stimmt, dann frage ich mich: Kann es Menschen geben, bei denen jeder Versuch aussichtslos ist, sie an unsere Lebensweise zu gewöhnen?«

Quintus schwieg, und Augustus wandte sich völlig unerwartet an Caius und legte ihm die Hand auf den Arm. »Fragen wir doch mal die Jugend. Gibt es Menschen, die sich nicht zähmen lassen?«

Caius war völlig überrumpelt und die Gedanken rasten durch seinen Kopf. Augustus lächelte ihn aufmunternd an. »Sag mir, was du denkst!«

Caius überlegte fieberhaft. »Ja«, antwortete er schließlich. »Ich glaube, dass es solche Menschen gibt.«

Augustus schien mit der Antwort gerechnet zu haben. »Aber haben wir das von den Germanen hinter dem Rhein nicht auch gedacht? Erleben wir mit ihnen nicht gerade genau das Gegenteil – mit Leuten wie Arminius?«

Alles, was Caius dazu einfiel, kam ihm unsagbar dumm vor. Da streifte ihn ein viel grundsätzlicherer Gedanke. Die Stimme seines Vaters klang ihm noch im Ohr: Er liebt es, wenn man ihm widerspricht. Caius nahm seinen Mut zusammen, doch gerade als er antworten wollte, betrat wieder einer der Sklaven den Raum. Die drei blickten auf.

»Appius Aemilius Rullianus ist soeben angekommen«, sagte der Sklave mit einem melodischen Singsang in der Stimme.

»Dann sind wir ja vollzählig«, gab Augustus zurück und erhob sich. Caius und sein Vater standen ebenfalls auf.

Ein paar Augenblicke später erschien ein keine vierzig Jahre alter, großer und massiger Mann mit sehr kurzen schwarzen Haaren im Schatten der Säulen. Er trug eine Feldherrenuniform, an deren Brustharnisch ein weißer Umhang mit Spangen befestigt war. Während der Sklave rückwärtsgehend aus der Tür verschwand, kam von der Seite ein zweiter Sklave, der dem Ankömmling schweigend Mantel, Harnisch und Schwertgehänge abnahm, während ein dritter dem neuen Gast eine Schale mit Wasser reichte. Achtlos tauchte Rullianus seine Hände hinein, rieb nachlässig die nassen Handflächen aneinander und ließ sie sich von einem vierten Sklaven umso ausgiebiger abtrocknen. Anschließend trat er mit einem breiten Lächeln in den Türrahmen.

»Rullianus«, sagte Augustus freundlich. »Deine neue Aufgabe steht dir.« Rullianus verneigte sich leicht. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn und atmete schwer. »Keine Sorge«, setzte Augustus nach, dem nichts entging. Dann lächelte er vieldeutig. »Es wartet Kühlung auf dich.«

3

Nach der Begrüßung reichte ein Sklave Rullianus einen Becher mit goldfarbenem Wein, bevor er sich wieder entfernte.

Rullianus machte es sich auf dem Sessel links neben Caius bequem und blickte in sein Glas. Trotz seiner Statur hatte er ein fein geschnittenes Gesicht, das jedoch durch den militärisch kurzen Haarschnitt und einen überheblichen Zug um seine Mundwinkel eine unnahbare Härte bekam. Kurz begegnete Caius seinem abschätzigen Blick.

Dann schauten alle zu Augustus, der jetzt seinen Becher hob, den Gästen zutrank und sofort den Faden der Unterhaltung wieder aufnahm. »Wir sprachen über die Aufgaben, die in Germanien warten«, sagte er sachlich. Rullianus schwieg abwartend, und der Princeps fuhr fort: »Seit ein paar Tagen bekomme ich Nachrichten, dass Krieger einiger suebischer Teilstämme westlich der Albis aufgetaucht sind. Unsere cheruskischen Verbündeten glauben, es könnte sich um Anhänger von Marbod handeln. Sie wollen nicht ausschließen, dass von dieser Seite ein Angriff droht.«

Caius sah aus dem Augenwinkel, wie Rullianus Luft holte und seine Gedanken ordnete. Die Ankunft des Legaten hatte dazu geführt, dass er sich in Gegenwart von Augustus wieder klein und überflüssig vorkam. Er spürte, dass sich die Aufmerksamkeit des Princeps von einem Moment zum anderen vollständig auf die Angelegenheiten in Germanien konzentrierte.

»Ich habe gerade die Berichte der Kundschafter gelesen«, entgegnete Rullianus schließlich. »Marbod hält sich zurzeit am ganz anderen Ende seines Reiches auf.«

»Wie es der Zufall will, habe ich die Berichte auch gelesen«, gab Augustus spöttisch lächelnd zurück. »Marbod selbst wird dort ohnehin nicht angreifen. Vielleicht schickt er seine Freunde vor, um zu zeigen, dass man jederzeit mit ihm rechnen muss.«

Rullianus überlegte wieder. »Ich sehe da noch ein ganz anderes Problem«, sagte er. »Wie lange sind diese Cherusker schon unsere Verbündeten?«