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Stimmengewirr brandete auf. Empörung überall. Fäuste hieben auf die Tische. Einige schienen Lust zu haben, den Römer auf der Stelle zu erschlagen.

Nachdem er eine Zeit lang unbeeindruckt in die Runde geblickt hatte, hob er die Hand. »Ich erwarte die Geiseln morgen früh im Lager. Und jetzt will ich hier nicht länger stören.« Damit wandte er sich zum Gehen.

»Du nimmst ein ziemliches Risiko auf dich, Rullianus!«, rief Irmin ihm hinterher.

Der Römer drehte sich in der Tür noch einmal um. »Du auch«, sagte er. Dann verschwand er in der Dunkelheit.

Augenblicklich brach eine laute Diskussion los.

Irmin musste mehrmals gegen das Gewühl aus aufgebrachten Stimmen anschreien, damit endlich wieder Ruhe einkehrte. Er war aufgestanden und in die Mitte des Raumes getreten, ohne den reglos daliegenden Mann zu beachten. »Wir müssen sofort handeln«, sagte er. »Die Geiseln werden ausgelost. Ein paar von uns reiten noch heute Nacht mit ihnen los.«

»Du willst also auf seine Bedingungen eingehen?«, rief einer.

»Was denn sonst? Wir haben keine Wahl.«

»Dann müssen wir unsere Pläne umschmeißen«, warf ein anderer ein. »Das geht nicht einfach so. Die Treffpunkte sind schon vereinbart.«

Irmin sah ihn kalt an. »Nichts müssen wir ändern. Alles läuft wie besprochen.«

»Heißt das, du willst die Geiseln opfern?«, fragte ein ziemlich junger Mann, den Fastrada nicht kannte.

»Natürlich nicht. Wir holen sie uns wieder.«

»Und wenn das schiefgeht?«

»Das wird es nicht.«

»Du hast leicht reden«, ertönte die Stimme eines der Stammesältesten. »Du hast keine Kinder!«

»Aber ein paar hübsche Cousinen!«, warf ein anderer ein.

Inguiomer sprang auf. »Hört auf zu streiten!«, rief er. »Die Geiseln werden ausgelost.«

Fastrada konnte nicht glauben, mit welcher Selbstverständlichkeit die Männer sich daranmachten, um die möglichen Geiseln zu schachern. Jeder versuchte seine eigene Familie herauszuhalten, das Verfahren aber stellte niemand infrage. Als ihr Name und kurz darauf der einer ihrer Schwestern fiel, rieselte ein eiskalter Schauer über Fastradas Rücken. Dann begannen die Männer Zweige zu suchen und zurechtzubrechen, bis zwölf kurze dabei waren. Irmin bündelte die Zweige, nahm sie in die Faust, und für jeden Namen wurde ein Stöckchen gezogen. Fastrada spürte, wie der Schweiß ihr den Rücken hinunterlief. Name um Name wurde genannt, unerbittlich, bald waren elf kurze Hölzchen gezogen, und weder sie noch ihre Schwester war dabei gewesen. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als der nächste Name verlesen wurde.

»Fastrada, Tochter von Inguiomer«, sagte Irmin, während jemand anders einen Zweig zog. Kurz.

29

Der Aufbruch hatte fast einen ganzen Tag in Anspruch genommen. Caius und Lucius ritten wieder im Gefolge des Statthalters. Varus saß mit Caius Numonius Vala in einem Reisewagen, dahinter kamen sein persönliches Gepäck und Teile des Stabes zu Pferd, eingerahmt von den Prätorianern. Sie zogen am Rand der Visurgis entlang, die sich als braune Brühe dahinschleppte. Trübe Tümpel, Überbleibsel der im Sommer eingetrockneten Nebenarme glänzten matt. Manchmal entfernten sie sich vom Fluss, um Schleifen abzuschneiden.

Der Heerzug fraß sich durch Schneisen im Wald, der meistens bis an das Ufer heranreichte und zum Binnenland hin in sanften Hügeln aufstieg. Zahlreiche von den vorausgeschickten Pionieren gefällte Bäume lagen am Rand des Weges, der in manchen Abschnitten so schmal war, dass nur zwei oder drei Reiter nebeneinanderpassten. Dadurch kam es immer wieder zu Stauungen, die sich nach hinten fortpflanzten und die ganze Kolonne verlangsamten. Der Wagen des Statthalters geriet bisweilen ganz außer Sicht. Varus selbst ließ sich ohnehin selten blicken, er schien sogar das Essen im Wagen einzunehmen.

An den ersten beiden Abenden hatten sie für die XVII. und die XVIII. Legion jeweils ein Lager in der Nähe des Ufers aufgeschlagen, während der Abbau des Sommerlagers die XIX. unter dem Kommando von Rullianus so lange aufgehalten hatte, dass sie weit zurückgefallen war. Sie sollte im weiteren Verlauf der Reise aufschließen.

Schon am ersten Tag war das Wetter schlechter geworden. Eine immer dunkler werdende Wolkendecke hatte sich über die Flusslandschaft herabgesenkt und die Monotonie des pausenlosen Reitens mit einer trübsinnigen Kulisse hinterlegt, die zu der Stimmung passte, in die Caius sich willenlos hineinschaukeln ließ, schläfrig und schwermütig zugleich. Seine Gedanken schweiften wieder zu Fastrada. Dachte sie an ihn, wo immer sie sein mochte? Oder hatte sie die Erinnerungen an ihre gemeinsamen Nächte verdrängt und war dabei, ihn zu vergessen?

Auch Lucius war nicht bei bester Laune. Oft stierte er wütend auf die Wagen mit dem Gepäck des Statthalters, als würden die Planen durch seine bohrenden Blicke durchsichtig und gäben endlich das finstere Geheimnis preis, das sich irgendwo darunter verbergen musste. Ein paarmal fing er davon an, doch Caius blockte das Gespräch mit wenigen Worten ab.

Von seinem anfänglichen Tatendrang war nichts mehr zu spüren. Am liebsten hätte Caius sich abgesetzt und wäre ohne weitere Unterbrechungen quer durch den Wald und über die Berge nach Rom geritten. Wie lange würde das dauern? Fünfzehn Tage vielleicht, wenn er sich beeilte.

Doch ein zermürbender Regen setzte ein und spülte den letzten Rest von Entschlusskraft hinweg. Es ging einfach immer weiter nach Norden, meistens am Fluss entlang, wo irgendwann die Transportkähne mit dem überschüssigen Gepäck in Sicht kamen. Caius wunderte sich erneut, wie wenige Männer nötig waren, um die schweren Boote in Bewegung zu setzen; die Brühe schäumte unter den stampfenden Beinen der Soldaten, die durch das knietiefe Wasser wateten.

Am vierten Reisetag überquerten sie bei starkem Dauerregen einen Höhenzug, von dem aus sich ein weiter Blick über das bewaldete und von Siedlungsinseln durchtupfte Land bot. Sie kamen an einem Wachturm vorbei, der mit zwei Legionären besetzt war. Die beiden meldeten, dass am Vortag germanische Krieger in größerer Zahl vorbeigekommen waren, wahrscheinlich Vorausabteilungen weiterer Hilfstruppenkontingente befreundeter Stämme, die in den nächsten Tagen zum Heer stoßen würden.

Sie zogen weiter durch das Land und folgten dem Nordrand der Hügelkette. Der Wald war dichter geworden, undurchdringlicher und dunkler. Abends hielt die Kolonne auf Rodungen oder im freien Feld, Gräben wurden aushoben, Palisaden aus mitgebrachten Schanzpfählen errichtet, Zelte aufgebaut und Lagerfeuer angezündet. Nach kurzer Nachtruhe bliesen Hornsignale zum Aufbruch.

Am Abend des fünften Tages sprengten einige germanische Reiter zum großen, hausähnlichen Zelt des Statthalters und verschwanden darin. Caius war gerade dabei, ein Feuer anzufachen, als die Besucher zusammen mit Varus wieder ins Freie traten.

Aus der Entfernung erkannte er Arminius, der beruhigend auf den Statthalter einsprach. Dann saßen die Reiter auf und galoppierten, halb aufgebauten Zelten und vorwurfsvoll dreinblickenden Trossknechten ausweichend, davon.

Später, als Caius mit Lucius an der Feuerstelle saß und schweigend einen aufgespießten Hahn über der Glut drehte, schnappte er einige Gesprächsfetzen von vorübergehenden Stabsoffizieren auf: Arminius hatte mit seinen Leuten den Heerzug verlassen, um weitere Hilfstruppen zusammenzutrommeln, die in den nächsten Tagen dazustoßen sollten. Sie näherten sich dem Gebiet der aufständischen Amsivarier.

Lucius nahm seinem Freund den Spieß aus der Hand. »Gib mir mal dein Messer«, sagte er. Gedankenverloren reichte Caius seinem Freund den Dolch, den er in Oppidum Ubiorum gekauft hatte. Mit abwesendem Gesicht begann Lucius das Fleisch von den Knochen zu schneiden und die Stücke in eine Holzschale zu schichten. Er dachte nach. »Ist das nicht merkwürdig?«, fragte er schließlich. »Wir sind hier mit fünfzehntausend Soldaten unterwegs, und dieser Arminius meint, dass es immer noch nicht genug sind. Wie viel Verstärkung will er denn holen? Diese Amselvarier sind doch bloß ein paar halb nackte Bauernkrieger, die ein bisschen Wind machen. Wahrscheinlich haben sie sich längst in den Wald verdrückt.«