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»Worauf willst du hinaus?«, fragte Caius.

»Na, nehmen wir mal an, die Geschichte von diesem Segestes ist wahr. Wäre das für Arminius nicht der richtige Zeitpunkt, um sich abzusetzen?«

»Das würde er sich nicht trauen!«

»Das denken alle. Der Plan ist so ungeheuerlich, dass niemand ihn für möglich hält.«

»Wir sind viel zu viele.«

»Und viel zu leichtgläubig. Hast du nicht gehört, was der Wachposten auf dem Turm gesagt hat? Überall ziehen germanische Krieger auf. Möglicherweise sitzen die schon in ihrem Hinterhalt und wetzen die Speerklingen.«

»Du willst unbedingt, dass es diese Verschwörung gibt, oder? Damit endlich was passiert!«

Lucius grinste schief und griff sich einen Hähnchenschenkel. »Klar«, sagte er kauend. Seine Augen leuchteten. »Die Germanen greifen an. Und im Getümmel schnappen wir uns die Kiste von Varus und bringen sein vergiftetes Geschenk in Sicherheit. Wir könnten ihm nebenbei noch ein bisschen das Leben retten, und als Dankeschön überträgt er mir die Nutzungsrechte an allen bereits entdeckten und noch zu entdeckenden Erzlagerstätten in der Provinz.«

»Du denkst auch an nichts anderes«, sagte Caius, nahm sich ebenfalls einen Schenkel und riss mit den Zähnen das Fleisch vom Knochen. Warmer, würziger Saft lief ihm übers Kinn.

»Was bleibt mir auch anderes übrig? Das einzige passable Cherumplerpüppchen hast du dir ja an Land gezogen. Du die Braut, ich das Blei. Hatte ich mir auch anders vorgestellt.« Er lächelte versöhnlich, als Caius niedergeschlagen seufzte. »Vielleicht hat sie ja von dem Plan ihrer Verwandten Wind bekommen und ist schon unterwegs, um dich zu retten?«

Caius versuchte sich vorzustellen, dass Fastrada tatsächlich gerade irgendwo durch die Landschaft ritt und ihn suchte. Es war völlig abwegig. Genau wie die Sache mit dem Hinterhalt.

Lucius schaute ihn plötzlich ernst an. »Ich bin mir sicher, dass du sie wiedersiehst«, sagte er. »Wir sind hier schließlich nicht am Ende der Welt, auch wenn es den Anschein hat. Möglicherweise kommt im nächsten Jahr dein Vater und tritt seinen Posten an. Der kann sofort rausfinden lassen, wo sie ist.«

Die Bemerkung genügte, um die trüben Gedanken etwas aufzuhellen. Eigentlich hatte Lucius recht. Das Abenteuer war noch lange nicht vorbei. Es hatte gerade erst angefangen. Sie würden mit dem Heer zum Rhein reiten, und die Soldaten würden ihre Winterquartiere beziehen, aber eventuell ergab sich noch vor dem Ende des Herbstes eine Gelegenheit, ins Land zurückzukehren. Schließlich wurden dort Städte gebaut. Germanien blieb eine römische Provinz, mit oder ohne Legionen.

Caius war überrascht, wie schnell seine Stimmung sich hob. »Und was ist, wenn sie uns doch überfallen?«, fragte er, um die Gedankenspielerei weiterzuführen.

Sein Freund grinste. »Dann töten wir Arminius und verschleppen seine Familie. Und deine Fastrada kaufen wir frei. Ganz einfach.«

Caius lachte und nagte die letzten Fleischreste vom Knochen. Ganz einfach, dachte er. Es gab kein Problem, für das sein Freund keine Lösung hatte.

Am nächsten Tag war Caius trotz des Dauerregens und der zunehmenden Kälte zum ersten Mal seit langer Zeit etwas besser gelaunt. Sie passierten kaum noch Siedlungen. Der bleigraue Himmel schien wie ein gewaltiges, nasses Tuch direkt über den Wipfeln der Buchen zu hängen.

Caius hätte kaum sagen können, wie lange er schon wieder im Sattel saß, denn der unablässig trommelnde Regen ließ einen das Zeitgefühl vollständig verlieren. Der Weg durch den Wald war nicht mehr als eine schmale, von Unterholz gesäumte Schneise, deren Boden durch Tausende von Hufen und Wagenrädern zu einem einzigen schlammigen Brei aufgewühlt war. Schweigend ritten Caius und Lucius nebeneinanderher. Zusammen mit dem Reisewagen des Statthalters und dessen Leibwache quälte sich eine Kette von Maultierkarren durch den Matsch.

Das schmatzende Geräusch von Pferdehufen löste sich aus dem Rauschen und Plätschern des Regens. Es war Silanus, der weiter hinten irgendetwas kontrolliert hatte und nun aufschloss. »Germaniens goldener September«, witzelte er. »Ein Jammer, dass Varus in seinem Reisewagen von dem schönen Wetter nichts mitbekommt.« Silanus schien bei bester Laune zu sein. »In diesen Wäldern soll es ja von Zauberwesen nur so wimmeln.«

»Einhörner zum Beispiel«, entgegnete Caius lustlos, weil ihm nichts anderes einfiel.

»Einhörner kennt ja jeder. Hast du schon mal was von Panotiern gehört?«

»Nein.«

»Drollige Kerle. Die haben angeblich so große Ohren, dass sie sich darin einwickeln können.«

»Glaube ich nicht.«

»Warte, bis ich einen erlege. Aus den Ohren könnte man ein tragbares Regendach machen.«

Caius wollte gerade etwas erwidern, da hörte er, wie sich von hinten in halsbrecherischem Galopp ein Reiter näherte. Nur einen Moment später schoss die Gestalt an ihnen vorbei, überholte die Trosswagen und sprengte in unvermindertem Tempo in die Gruppe der anderen Reiter hinein. Sofort begann ein lebhafter Disput.

Silanus war von einer Sekunde auf die andere ernst geworden. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Die Kolonne war inzwischen zum Stehen gekommen. »Da ist was passiert«, sagte er, bevor er seinem Pferd die Sporen gab, dass der Dreck in alle Richtungen spritzte.

Caius, eher neugierig als beunruhigt, folgte ihm in etwas gemäßigterem Tempo, Lucius blieb zurück. Schon von Weitem hörte Caius, dass sich die Stimme des Ankömmlings vor Aufregung fast überschlug. Inzwischen hatte auch der Reisewagen angehalten. Der Schlag öffnete sich und Varus trat heraus, gefolgt von Vala.

»Was ist hier los?«, fragte der Statthalter.

Der Reiter sprang vom Pferd. »Die Nachhut wird angegriffen!«, stieß er hervor.

»Was soll das heißen?«

»Ein Hinterhalt.«

Varus runzelte die Stirn, er schien gar nicht zu glauben, was er da hörte. »Wie viele sind es?«

»Schwer zu sagen. Viele. Kamen von beiden Seiten.«

»Sind die Trosswagen gesichert?«

Der Soldat zögerte. »Schon, aber merkwürdigerweise … haben sie es auf die Wagen offenbar gar nicht abgesehen.«

»Worauf denn sonst?«

Wieder eine kurze Pause. »Es hat den Anschein, dass sie einen Keil in die Kolonne treiben wollen … Wir haben den Kontakt zur XIX. Legion und zur Nachhut verloren.«

»Verflucht!« Varus schlug zornig mit der Faust gegen den Reisewagen.

Augenblicklich nahm Vala mit entschlossenem Gesicht und ruhiger Stimme die Situation in die Hand. Er wandte sich an einen Reiter aus seinem Gefolge. »Die Kolonne soll anhalten.« Der Angesprochene galoppierte los und verschwand im Regen, wo sich irgendwo in drei oder vier Meilen Entfernung die Spitze des Zuges befinden musste. Vala winkte einen zweiten Reiter heran. »Schick Verstärkung nach hinten, aber lass keine Lücken im Zug. Der Rest der Kolonne schließt auf, die Wagen in Zweierreihen. Frauen und Kinder dazwischen, wenn es irgendwie passt.« Auch der zweite Reiter sprengte davon. Vala hielt einen Moment inne, als hätte er noch etwas vergessen, dann drehte er sich um und ging zwei Schritte auf Varus zu, der mit zusammengepressten Lippen in den Wald starrte.

»Dieser Überfall wird uns den ganzen Tag aufhalten«, schimpfte der Statthalter und blickte zu Vala. In dessen gegerbtem Gesicht, das sonst nie eine Gefühlsregung zeigte, leuchtete eine bedrohliche Wut. Er beugte sich zu Varus vor und begann auf ihn einzureden, aber von dem Gespräch verstand Caius kein Wort, weil die anderen Reiter ebenfalls wild durcheinanderzureden begannen und sich um die beiden Befehlshaber scharten.