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Caius stieg von seinem Pferd und stapfte durch den Schlamm auf Silanus zu. »Das kann doch nicht sein«, sagte er unsicher.

Silanus blickte ihn finster an. »Jedenfalls ist das nicht einfach irgendein Überfall der Amsivarier, wie der Herr Statthalter immer noch zu glauben geruht. Sonst hätten sie sich nämlich ein paar Trosswagen unter den Nagel gerissen und wären wieder verschwunden.« Silanus durchbohrte Caius mit seinem Blick. »Überleg mal, sie haben eine ganze Legion abgetrennt. Dazu braucht es mehr als eine Räuberbande!«

»Glaubst du etwa, dass es stimmt, was Segestes behauptet hat?«, fragte Caius.

»Ich fange gerade an mich mit dem Gedanken zu befassen«, sagte Silanus. »Arminius hat sich abgeseilt, und wir taumeln durch den Wald hinter ein paar Führern her, die er uns dagelassen hat. Wir sind auf nichts vorbereitet. Die Kolonne ist viel zu lang und zu schwerfällig.«

Caius spürte die Kälte mit einem Mal am ganzen Körper. Er schwieg und blickte ratlos in den Wald, als stünde die Antwort zwischen den Stämmen der Buchen geschrieben, die sich irgendwo hinter den Regenschleiern zu einer Wand verdichteten.

Da plötzlich durchzuckte es ihn wie ein Blitzschlag – für einen kurzen Moment sah er eine Gestalt, die sich wieselflink zwischen den Bäumen bewegte, bevor sie hinter einem Stamm verschwand. »Silanus!«, schrie er und wies in die Richtung.

Sein Onkel folgte irritiert seinem Blick. »Jetzt übertreib mal nicht«, brummte er. Dann erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht, und er riss die Augen in gespielter Erregung auf. »Tatsächlich, da neben dem Baum – zwei Ohren!«, rief er. »Ein Panotier!« Seine Hand fuhr zum Schwertgriff.

Bevor Caius antworten konnte, erhob sich von vorn ein Geschrei, das ihre Köpfe herumfahren ließ.

Ein Reiter war herangaloppiert und brachte sein Pferd neben dem Reisewagen zum Stehen, wo Vala noch immer auf Varus einredete. »Sie sind in die Kolonne eingebrochen!«, schrie er. »Eine halbe Meile von hier! Sie sind überall!«

Wieder war es Vala, der als Erster reagierte, doch seine gebrüllten Kommandos gingen in dem allgemeinen Chaos unter, das nun ausbrach. Während die Leibwache heranstürmte und einen Kreis um Varus und seine Begleiter bildete, geriet der Wald auf der linken Seite plötzlich in Bewegung. Wo Caius eben die Gestalt zu sehen geglaubt hatte, stürzten jetzt Männer zwischen den Bäumen hervor. Pfeile sirrten durch die Luft, einer schlug klackend und knapp über dem Kopf von Varus in die Flanke des Reisewagens ein, zwei oder drei andere trafen die Schilde der Leibwache, die sich zu einem lebenden Schutzwall zusammengezogen hatte. Hinter ihnen ging donnernd ein Maultiergespann durch und riss einen Wagen um. Dann schoss erneut etwas heran.

»Vorsicht!«, schrie Silanus.

Caius duckte sich und spürte, wie sein Pferd getroffen zusammenzuckte, das Tier bäumte sich auf und schlug unkontrolliert mit den Hufen aus. Vor seinen Augen blitzte es, als einer der Hufe ihn an der Stirn erwischte, dann wurde es dunkel und der Waldboden traf sein Gesicht von irgendwoher wie die Ohrfeige eines Riesen.

30

Nach einigen Stunden auf dem Rücken des Pferdes wurde Fastrada so müde, dass sie beschloss, eine Rast einzulegen. Wenn sie die ganze Nacht durchritt, würde die Müdigkeit sie spätestens am nächsten Morgen einholen. Sich tagsüber irgendwo hinzulegen wäre jedoch viel zu gefährlich gewesen. Wahrscheinlich war sie den Männern ohnehin nur knapp entkommen, die ja noch in der Nacht die Geiseln auf die Reise schicken wollten. Wenn sie daran dachte, mit welcher Abgebrühtheit selbst ihr Vater bereit gewesen war, seine eigenen Töchter diesem Römer zu opfern, nur um ihren Plan nicht zu gefährden, kochte die Wut in ihr hoch. Der Römer hatte recht gehabt: Jedem von ihnen machte der Krieg Spaß. Irmin hatte nicht widersprochen. Im Grunde waren sie alle gleich, ob Römer oder Cherusker. Krieg war für sie nichts anderes als ein spielerisches Kräftemessen, in das sie mit unbegreiflicher Selbstherrlichkeit ganze Völker hineinzogen. Sie hassten sich gar nicht. Die einen gaben vor die Zivilisation verbreiten zu wollen und bedienten sich barbarischer Methoden. Die anderen gaben vor ihre Freiheit zu verteidigen und meinten damit doch nur ihre eigene Macht und Eitelkeit.

Fastrada ritt durch den dichten Wald nach Nordwesten. Sie fand ihren Weg trotz der Dunkelheit, indem sie sich an Lichtungen und Bachläufen orientierte, die sie von früheren Ausflügen kannte. Der Grauschimmel, den sie aus Irmins Stall gestohlen hatte, ging in beruhigender Monotonie durch die Nacht. Seine Muskeln walkten unter dem warmen Fell, und die Bewegungen pflanzten sich durch Fastradas Körper fort, als gäbe das Pferd einen Teil seiner Kraft an sie ab. Sie hatte in aller Eile eine Decke, etwas Proviant und einen Wasserschlauch zusammengerafft, in eine Satteltasche gestopft, das Kleid gegen eine Hose, eine Tunika und einen Umhang aus Wolle eingetauscht und das Dorf verlassen. Sie hoffte inständig, dass die Männer nicht eine ihrer Schwestern mitgenommen hatten. Sie sah Irmin vor sich, wie er wütend im Schein des heruntergebrannten Feuers neue Zweige sammelte, um die makabere Auslosung zu Ende zu bringen. Wahrscheinlich hatten sie längst ein paar Leute losgeschickt, um sie zu suchen. Konnte es sein, dass sie darauf kamen, wohin sie wollte?

Aus einem sanften Hügelkamm zu ihrer Rechten schälte sich eine immer steiler werdende Felskante heraus wie ein von einem Riesen achtlos an den Hang gesetzter Vorbau, umwuchert von Buschwerk und Unterholz. Sie erinnerte sich vage daran, dass in der Nähe eine Höhle war. Angestrengt spähte sie nach rechts und links. Irgendwann klaffte tatsächlich eine Aussparung im konturlosen Grau des Steins auf. Langsam ritt sie auf die Stelle zu, saß ab und zog das Pferd hinter sich her in das Versteck. Das gedämpfte Echo ihrer eigenen Schritte und das Knirschen der Hufe auf dem Geröll umfingen sie wie die Geräuschkulisse eines vertrauten Ortes. Die Anspannung fiel von ihr ab. Sie war so allein wie noch nie in ihrem Leben, aber es war besser, allein gegen den Rest der Welt anzutreten, als nicht zu wissen, auf wen man sich verlassen konnte. Sie rollte ihre Decke auf dem steinigen Boden aus, legte sich hin und schlief sofort ein.

Als sie aufwachte, wanderte der Tag in einem undurchsichtigen grauen Wolkenmantel heran, aus dem ein Schleier aus Nieselregen in die Baumkronen niederschwebte. Sie packte die Decke ein, führte das Pferd aus der Höhle und ritt weiter nach Westen, weil sie sich erinnerte, dass in dieser Richtung ein kleiner Bach verlief. Seine Quelle lag auf einem Höhenzug, den sie überqueren musste. Dahinter begann das Gebiet der Amsivarier, deren angebliche Unbotmäßigkeit gegenüber Rom den Vorwand für den Umweg der drei Legionen geliefert hatte. Fastrada rechnete damit, dort auf den Weg zu stoßen, den das Heer genommen hatte, das sich wie eine riesige Schnecke durch das Land schob. Mehr als zwanzigtausend Menschen, dazu Tausende von Pferden und Wagen mussten eine Spur hinterlassen, die noch nach Tagen und Wochen, wenn nicht gar nach Monaten zu sehen war. Sie stellte sich vor, wie sie das Ende des Zuges erreichte, um sich bei verständnislos dreinblickenden Trossleuten nach einem Caius Cornelius Castor durchzufragen. Würde sie dort sein, bevor der Angriff begann?

Irgendwann fand sie tatsächlich den Bach und folgte seinem Verlauf nach Norden. Sie kam nur langsam voran. Mehrmals musste sie in einem weiten Bogen Siedlungen umgehen. Einmal wurde sie von einer Gruppe von Reitern verfolgt, und als sie sie endlich abgeschüttelt hatte, setzte bereits die Dämmerung ein. Die Nacht verbrachte sie in einem Hünengrab, dessen gewaltiger Deckstein immerhin Schutz vor dem Regen bot.

Am nächsten Tag wurde es nicht besser. Immer öfter musste sie kleinen Gruppen von Bewaffneten ausweichen, die alle in die gleiche Richtung unterwegs waren wie sie. Die Schlinge zog unerbittlich zu. Ob sie es noch rechtzeitig schaffen würde? Als sie den Höhenzug erreichte, brach erneut die Nacht herein, und diesmal fand sie einen Unterschlupf in einem hölzernen Turm, der am höchsten Punkt der Hügelkette stand und von einem Graben umgeben war. Ein verlassener Beobachtungsturm der Römer.