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Caius ging auf einen herumstehenden Centurio zu und hob die Hand zum Gruß. »Ich suche Publius Cornelius Silanus«, sagte er.

»Den Tribun? Der ist verwundet. Kommt aber durch. Liegt in dem kleinen Zelt rechts neben dem von Varus.« Der Centurio musterte ihn mit gerunzelter Stirn. »Dein Onkel, oder?«

Caius nickte.

»Wird sich freuen«, sagte der Offizier und lächelte. »Wir dachten, es hätte dich erwischt.« Caius war überrascht, dass man ihn überhaupt kannte und sich Gedanken über seinen Verbleib gemacht hatte.

Das Kommandozelt in der Mitte des Lagers war hell erleuchtet, Schatten geisterten undeutlich an der Innenseite der Stoffbahnen entlang. Anscheinend war eine große Lagebesprechung im Gange. Rechts daneben befand sich ein kleines Zelt, vor dem zwei Soldaten Wache hielten. Sie ließen Caius passieren, ohne Fragen zu stellen.

Im dämmerigen Fackelschein lag Silanus ausgestreckt auf einer Kline. Seine schmutzige Tunika war bis unter die Brust hochgeschoben. Ein Sklave kniete vor ihm und war damit beschäftigt, eine Bauchwunde zu versorgen. Ohne sich umzuschauen, warf er blutige Binden hinter sich in einen Metalleimer. Caius trat näher. Silanus war bei Bewusstsein. Er sah bleich aus, brachte aber ein schiefes Grinsen zustande, als er seinen Neffen erblickte.

»Wie geht’s?«, fragte Caius unsicher.

»Zum Kotzen. Und selbst?«

»Naja.«

Silanus scheuchte den Sklaven mit einer Handbewegung weg und setzte sich stöhnend auf. Um die Lenden hatte er ein Tuch gewickelt, darüber war auf der rechten Bauchseite ein kleines Loch zu sehen. »Ich dachte schon, ich sehe dich nicht wieder«, sagte er lächelnd. »Direkt nachdem das Pferd dich erwischt hat, habe ich einen Pfeil abbekommen. Ging knapp unter der Kante des Brustpanzers durch. Tja. Und hier bin ich aufgewacht. Ich habe sofort nach dir gefragt. Diese Idioten von Prätorianern konnten sich angeblich nicht an dich erinnern. Sie hätten dich nicht dort zurücklassen dürfen.«

»Vielleicht dachten sie, ich wäre tot.«

Silanus lachte gehässig. »Soweit ich weiß, lässt es sich mit recht geringfügigem Aufwand feststellen, ob jemand tot ist oder nicht. Und selbst wenn du tot gewesen wärst, hätten sie dich mitnehmen müssen. Ich werde mir die morgen vorknöpfen. Aber Hauptsache, du bist durchgekommen.« Caius war überrascht, dass sein scheinbar über allen Gefühlsregungen stehender Onkel überhaupt zu Empfindungen wie Sorge oder Freude in der Lage war.

Silanus wies auf seine Verletzung. »Typisch Germanen«, sagte er, und die vertraute Spottlust kehrte in seine Stimme zurück. »Immer nur halbe Sachen.« Er holte Luft, um zu einer seiner längeren Tiraden anzusetzen, da drang aufgebrachtes Geschrei zu ihnen herein. Silanus fuhr mit einem Ruck hoch, zuckte aber im selben Moment zusammen und verzerrte das Gesicht. »Geh nachschauen!«, presste er hervor.

Caius rannte ins Freie. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Leibwächter und Stabsoffiziere aus dem Zelt des Statthalters stürzten, alle schrien durcheinander und blickten nach oben, wo der Himmel zischend in einem rasenden Gesprenkel aufglühte. Im nächsten Moment prasselte ein Regen von Brandpfeilen herab, die meisten blieben im Boden stecken und flackerten wie kleine Irrlichter weiter, andere durchschlugen die Zeltplanen oder prallten davon ab, hier und da schrien Getroffene auf.

»Holt Löschwasser!«, brüllte jemand, eine Stoffbahn fing Feuer, erneut ertönten Warnrufe, und schon leuchtete eine zweite Salve am Himmel auf, der von einem Moment auf den anderen in Flammen zu stehen schien.

32

Gierig verschlang Fastrada den Kaninchenbraten, den der Alte über dem Feuer für sie aufgewärmt hatte. Der Uhu saß auf einer Stange und beobachtete sie unverwandt. Wieder kam es ihr vor, als ob der Vogel mit seinem unerbittlichen Bernsteinblick jeden ihrer Gedanken aus ihrem Kopf saugte. Der Alte dagegen schien ohnehin schon alles zu wissen. Er stellte keine Fragen und quittierte ihren Hunger und die sofort nach dem Essen über sie hereinbrechende Müdigkeit mit einem unergründlichen Lächeln. Das Feuer war fast heruntergebrannt. Der Uhu schloss die Augen und stellte die Ohren auf.

Fastrada streckte sich auf dem Boden aus und fiel fast augenblicklich in einen unruhigen Schlaf. Im Traum fand sie sich unter einem Tuch liegend wieder. Sie richtete sich auf und erblickte Caius dicht vor sich. Hinter ihm stand Irmin, er trug eine Maske aus Metall und hatte ein Schwert in der Hand, Stahl blitzte auf, Fastrada rief, versuchte Caius ein Zeichen zu geben, und er drehte sich um, doch die Gestalt mit der Maske blieb immer hinter ihm. Fastrada schrie auf. Im gleichen Moment erklang wie von fern eine Stimme.

»Du träumst, Mädchen.« Es war der Alte, der sich auf seinem Strohsack herumwälzte.

Als Fastrada das nächste Mal erwachte, drang Tageslicht durch die Ritzen der Bretterwand. Sie stemmte sich hoch und rieb sich die steifen Beine. Der Alte war weg, nur der Uhu hockte wie am Abend auf seiner Stange.

Sie ging zur Tür und spähte hinaus. Der moosige Waldboden glänzte vor Nässe, während der Himmel fahlgrau über den Baumwipfeln hing und unerbittlich seinen Regen ausschüttete, der vom Rand des Daches troff und langgestreckte Pfützen bildete.

Ein vertrautes Schnauben ließ sie aufblicken. Kurz darauf erschien der Alte mit ihrem Pferd. Er lächelte sein freundliches Eissplitterlachen, während er ihr die Zügel reichte. Mechanisch saß Fastrada auf.

»Du solltest dich beeilen«, sagte er. »Schlag einen weiten Bogen. Sie haben Beobachtungsposten auf der Hügelkette. Reite südlich daran vorbei. Nach einem halben Tag kommst du an einen kleinen Bach. Dem folgst du bis zur Quelle und dann den Kamm hinauf und auf der anderen Seite wieder herunter. Meide freie Flächen und weich den Dörfern aus. Wenn du immer nach Nordwesten reitest, bist du gegen Abend am Lager.« Er klopfte auf die Satteltasche. »Ich habe dir was eingepackt – wenn du Hunger bekommst.«

»Wie kann ich dir danken?«, fragte Fastrada gerührt.

Der Alte schüttelte nur den Kopf. »Nun reite schon los«, sagte er ungeduldig.

Fastrada lenkte das Pferd auf den Hang zu. Als sie noch einmal hinter sich blickte, war der Alte verschwunden, und die Hütte lag da, als hätte sie nie einen Bewohner gehabt.

Der Ritt durch den Regen war unendlich anstrengend. Bald war Fastrada bis auf die Haut durchnässt, und die Kleider hingen ihr am Leib wie ein Umhang aus Blei. Sie trieb das Pferd unermüdlich an. Irgendwann erreichte sie den Bach, von dem ihr sonderbarer Gastgeber gesprochen hatte. Sie machte eine kurze Pause, bevor sie dem Wasserlauf bis zu dem Hügelkamm folgte, den sie überquerte. Als sie wieder in die Ebene hinabtrabte, begann der Himmel aufzureißen, und eine fahle Sonne senkte sich dem Horizont entgegen. Es waren höchstens noch ein paar Stunden bis zur Dämmerung, und von einem Lager war nichts zu sehen.

Irgendwann tauchte vor ihr wieder die Spur des Heeres auf. Im Näherkommen entdeckte sie eine Gestalt am Boden. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Es war ein römischer Legionär, in dessen Rücken ein Pfeil steckte. Er lag mit dem Gesicht in einer rot eingefärbten Pfütze. Vor ihm war ein Wagen umgestürzt, daneben hatte ein totes Pferd einen Soldaten halb unter sich begraben. Fastrada lief ein kalter Schauer über den Rücken. Der Angriff hatte begonnen. Ob Caius noch lebte? Sie ritt weiter, bald kamen erneut Leichen in Sicht, an einer Stelle waren es Dutzende, schrecklich zugerichtete Männer, die über den ganzen Weg verstreut lagen, sodass Fastrada in den Wald ausweichen musste.

Plötzlich hörte sie von irgendwoher Stimmen. Schnell sprang sie vom Pferd und zog das Tier hinter ein Gebüsch, das direkt am Knick des Weges zwischen den Bäumen lag wie eine natürliche Deckung. Sie kauerte sich zwischen die Sträucher und lauschte. Einzelne Gesprächsbrocken drangen an ihr Ohr, die keinen Sinn ergaben, von einem Reiter war die Rede. Dann entfernten sich die Stimmen wieder. Fastrada blieb noch eine Weile in ihrem Versteck, bevor sie wieder aufsaß. Sie ritt tiefer in den Wald hinein, ließ die Spur der Römer jedoch nicht aus den Augen.