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Als Caius zu Silanus ging, hatte er einen Kloß im Hals. Ihre erste Begegnung in Oppidum Ubiorum fiel ihm wieder ein, wie sein Onkel an dem Tisch dieses Gasthauses gesessen hatte, arrogant, selbstgefällig und gelangweilt. Wie man sich täuschen kann, dachte er. Am liebsten hätte er Silanus gebeten, sie zu begleiten, aber er wusste, dass das nicht ging.

Silanus schien seine Gedanken zu erraten. »Ich würde ja mitkommen«, sagte er und seufzte. »Wenn nur nicht alle so tun würden, als sei es die höchste Auszeichnung, mit dem Schwert in der Hand zu sterben. Dabei ist es doch gerade um mich wirklich schade.«

Caius grinste, obwohl ihm zum Weinen zumute war. Er schob den schweren Kasten in seine Satteltasche.

Silanus’ Blick fiel darauf. »Ich wüsste ja schon gern, was der Statthalter da so Wichtiges zu verbergen hat«, sagte er und zog eine Augenbraue hoch.

Caius spürte trotz seiner Beklommenheit eine tollkühne Lust, mit dem Feuer zu spielen. »Die drei bei Carrhae von Crassus verlorenen Legionsadler«, sagte er todernst. »Im Marstempel lagern nämlich Attrappen.«

»Ach die«, sagte Silanus. »Ich hätte jetzt auf Apollos Kithara getippt. Wäre ja zu schade, wenn die den Barbaren in die Hände fiele. Diese Katzenmusik möchte man sich lieber gar nicht vorstellen.« Er grinste Fastrada an. »Nichts für ungut«, sagte er, nahm sie in die Arme und strich ihr über die Haare wie einer kleinen Schwester. »Pass auf ihn auf. Er lässt sich gerne mal was auf den Schädel hauen.« Dann wandte er sich an Caius, der Tränen in den Augen hatte. »Weinen kannst du, wenn du mich wiedersiehst«, sagte er mit stoischer Ruhe. »Aber bitte vor Rührung.«

Caius lächelte und saß auf. Silanus reichte ihm eine weitere Satteltasche mit Proviant und Wasser hoch, die Caius mit einem Riemen an seinen Sattel band. Er hob die Hand zu einem letzten Gruß, bevor er sein Pferd antrieb. Fastrada blieb neben ihm. Das Spalier der Legionäre teilte sich. Sie ritten über Tote und umherliegende Waffen und Schilde. Nach kurzer Zeit waren sie in den Wald eingetaucht, der sie im Licht der tief stehenden Sonne empfing wie zu einem harmlosen Ausflug.

38

Fastrada ritt neben Caius und blickte sich dabei unentwegt nach allen Seiten um. Caius schien beschlossen zu haben, alle Erklärungen über sein Gespräch mit Varus und den merkwürdigen Kasten in seiner Satteltasche auf später zu verschieben. Auch er behielt nervös die Umgebung im Auge. Niemand war zu sehen, doch irgendwo vor ihnen mussten Tausende von Kriegern sich zum letzten Angriff sammeln. Leute von ihrem eigenen Stamm. Langsam wurde Fastrada klar, dass es wahrscheinlich nie wieder ein Zurück zu ihrer Familie geben würde.

Plötzlich tauchte vor ihnen eine Gruppe von Reitern auf, die genau auf sie zuhielt. Es waren an die dreißig schwer bewaffnete Männer.

Fastrada hoffte, ihnen unbemerkt ausweichen zu können, doch auch der kleine Tross änderte seine Richtung und hielt direkt auf sie zu.

Eine Flucht war unmöglich.

Caius blickte fragend zu Fastrada herüber, während ihr Herz zu rasen begann.

»Lass mich machen«, sagte sie leise und versuchte sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. »Ich rede mit ihnen.« Im Näherkommen fiel ihr ein Reiter in der Mitte der Gruppe auf. Einen Moment später erkannte sie, dass es Irmin war.

Es darf nicht wahr sein, dachte sie. Als ob dieser Wald nicht groß genug wäre, um diesem einen Mann aus dem Weg zu gehen. Ihr Herz klopfte wie wild. Dann trafen sie aufeinander. Die Reiter lösten ihre Formation auf und kreisten sie ein.

Fastrada konnte nicht erkennen, was in Irmin vorging. Sie standen sich schweigend gegenüber. Die Pferde schnaubten und scharrten mit den Hufen. Aus den Augenwinkeln sah Fastrada, dass Caius eine Hand auf die Satteltasche legte, die von dem merkwürdigen Kasten ganz ausgebeult war. Fastrada hatte das Gefühl, dass jeder auf den ersten Blick bemerken musste, dass er etwas zu verbergen versuchte.

Irmin blickte sie finster an. »Warum bist du weggelaufen?«, fragte er bellend.

Fastrada hielt seinem Blick stand und ging sofort zum Gegenangriff über. »Weil ich keine Lust hatte, als Geisel diesem Rullianus ausgeliefert zu werden. Ich habe euch beobachtet in dieser Nacht. Ihr habt uns ausgelost wie Schlachtvieh.«

Irmin löste sich aus der Gruppe, die die beiden umzingelt hatte. Dann lenkte er sein Pferd zur Seite und begann im Kreis um Caius und Fastrada herumzureiten.

Fastrada folgte ihm nicht mit ihrem Blick, sondern redete weiter, ohne ihn anzusehen. »Es reicht euch wohl nicht, dass ihr euch selbst mit eurem wahnsinnigen Plan in Lebensgefahr bringt«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ihr seid so selbstgefällig und rücksichtslos, dass ihr noch eure eigenen Kinder verschachert, nur damit ihr euren Krieg in Ruhe führen könnt!«

»Die Geiseln sind längst in Sicherheit«, tönte Irmin. »Wir haben sie diesem Rullianus bei einem Überfall auf seine Wagenkolonne abgenommen, bevor er es gemerkt hat.« Irmin lachte hämisch. »Er hat etwas kopflos reagiert.«

»War eine meiner Schwestern dabei?«

»Nein. Deine Schwestern sind im Dorf, wo sie hingehören«, sagte Irmin. »Dort solltest du jetzt auch sein!«, schrie er wütend.

»Dort will ich nie wieder hin!«, schrie Fastrada zurück.

Irmin verkürzte seine Bahn, sodass er dicht an Caius vorbeiritt. Caius musste sich beherrschen, nicht zur Seite zu schauen. Er starrte geradeaus. Erst jetzt begriff Fastrada, dass er kein Wort verstand.

»Nun wissen wir wenigstens, wer dir diese Flausen in den Kopf gesetzt hat«, sagte Irmin drohend, dann blieb er vor ihnen stehen. »Eins muss man dir lassen. Du hast wirklich Mut. Aber dein ganzer Mut nützt dir nichts, weil du einfach nicht verstehen willst, was wir hier tun«, fuhr er schließlich fort. Der schlecht unterdrückte Ärger kehrte in seine Stimme zurück, er redete sich zunehmend in Rage. »Weil du nicht verstehen willst, dass wir keine Rücksichten nehmen können auf Leute, die an ihrem Leben hängen wie die Käfer an einem ins Wasser gefallenen Zweig. Weil du nicht verstehen willst, dass man aus dem Leben nur etwas machen kann, wenn man die Gelegenheiten ergreift, die sich einem bieten. Und dieses Leben besteht für uns nicht darin, dass man hinter den Ochsen über die Äcker schlurft, auf den Pflug stiert und sich Sorgen macht, ob man genug nach Hause bringt, um den nächsten Winter zu überstehen.«

»Hast du dir um so etwas jemals Sorgen gemacht?«, fragte Fastrada spöttisch. »Natürlich nicht. Wie denn auch? Du warst doch viel zu sehr damit beschäftigt, Kriege zu führen! Und genau darum müssen sich andere überhaupt erst Sorgen machen – frag doch die Leute, was sie wollen!«

»Frag sie doch selbst!«, schrie Irmin. »Frag sie, was sie wollen! Fang gleich bei ihm hier an!« Er deutete auf den Reiter, der ihm am nächsten stand. Fastrada reagierte nicht. Ihr Cousin blickte sie lauernd an. »Soll ich dir sagen, was sie antworten werden? Ja, werden sie sagen, wir wollen die Römer aus dem Land jagen mit ihrer ganzen Verwaltung, die Steuern von uns erpresst, mit ihren Gesetzen, die nicht unsere sind! Mit ihren nichtsnutzigen Beamten, mit ihren arroganten Offizieren, mit ihren sittenlosen Weibern, mit ihren albernen Lorbeerkränzen und ihrem Massageöl, mit ihren Austern und Oliven und mit ihrem verdünnten Wein, mit dem sie verdünnte Männer aus uns machen wollen!«

»Oliven und Wein haben euch doch jahrelang gut geschmeckt«, sagte Fastrada höhnisch.

Irmin lachte. »Du willst es nicht verstehen«, sagte er.

»Was?«, fragte Fastrada. »Dass es euch eigentlich nur darum geht, euch als die großen Krieger aufzuspielen? Dass ihr immer weitermachen wollt, wenn ihr die Römer erst aus dem Land gejagt habt? Dass du ein neuer Marbod werden willst, weil du es nicht ertragen kannst, ein kleiner Hilfstruppenpräfekt zu sein, der von den Legaten aus dem Zelt geschickt wird, wenn die Stabsbesprechung beginnt?«