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»Hervorragende Anwälte gibt es viele in Rom«, erwiderte Quintus.

»Aber keinen, der unbestechlich ist.«

Quintus schob das Kinn vor und lächelte. »Es ehrt mich, was du sagst, Princeps. Und es hätte mich doch sehr gewundert, wenn ich heute ungeschoren davongekommen wäre.«

»Du nimmst an?«

»Ja.«

»Du enttäuschst mich. Ich hatte damit gerechnet, dich lange bitten zu müssen.«

»Die Antwort wäre am Ende dieselbe gewesen.«

Mit welcher lässigen Entschlossenheit sein sonst so besonnener Vater eine Entscheidung fällte, die seinem ganzen Leben und dem seiner Familie eine neue Wendung geben würde, erstaunte Caius. Aus dem Augenwinkel musterte er Rullianus, der nicht recht wusste, wo er hinblicken sollte. Sein dünnes Lächeln kostete ihn einige Anstrengung. Die Idee mit dem Sondergesandten hatte ihm ganz offensichtlich schon nicht gefallen; darüber hinaus schien die Lobeshymne des Princeps auf Quintus seine eigene Eitelkeit zu verletzen.

Augustus beugte sich wieder vor und griff nach seinem Glasbecher. »Auf was trinken wir?«, fragte er.

»Auf die neue Provinz«, sagte Quintus.

»Auf die Rheinarmee«, gab Rullianus zurück.

Der Princeps verzog das Gesicht. »Beides nicht sehr einfallsreich.« Plötzlich wandte er sich an Caius. »Weitere Vorschläge?«, fragte er aufmunternd lächelnd.

»Auf die Unbestechlichkeit?«, schlug Caius vor und war überrascht, wie spontan und selbstbewusst sein Mund Antwort gab.

»Sehr gut«, sagte der Princeps anerkennend. »Auf die Unbestechlichkeit.«

Während sie tranken, spürte Caius erneut den abschätzigen Blick, mit dem Rullianus ihn von der Seite musterte.

In diesem Moment erschien wieder ein Sklave in der Tür. Augustus gab ihm ein Zeichen, und der Sklave nickte und verschwand. Augustus lächelte und sah Quintus an, den Becher immer noch in der Hand. »Da ich von deiner Einwilligung ausgegangen bin, habe ich mir erlaubt einen Brief an Varus vorzubereiten, der ihn über deine Ernennung informiert«, sagte er und fügte augenzwinkernd hinzu: »Jetzt kannst du es dir nicht mehr anders überlegen.«

Der Sklave tauchte mit einer Papyrusrolle in der Hand erneut in der Tür auf.

Auf einen Wink des Princeps trat er ein und überreichte Augustus das Schriftstück. Dieser entrollte und überflog es, dann wandte er sich an den Sklaven. »Hol Philippos«, sagte er knapp. »Philippos ist für Germanien das, was Patroklos für Gallien ist, nämlich der Schnellste«, erklärte er seinen Gästen. »An den Stationen am Rhein kennen sie ihn schon. Wenn Philippos zur Stalltür hereinkommt, ducken sich die Gäule weg, weil sie wissen, dass es nun ernst wird. Ist eine Nachricht wirklich wichtig, dann ist Philippos dafür zuständig.« Augustus drehte sich zu Quintus. »So viel zur Bedeutung deines neuen Postens.«

Caius war überrascht, mit welcher Detailversessenheit der Princeps sich mit Dingen wie dem Nachrichtenwesen beschäftigte. Konnte ein Mann in seiner Stellung sich überhaupt um derart viele Einzelheiten kümmern? Das Erscheinen eines weiteren Sklaven unterbrach ihn in seinen Gedanken.

Auch er hatte eine dieser Lederschatullen mit aufgeprägtem Muster in der Hand, und auch er schob das von Augustus überreichte Schriftstück sorgfältig in das röhrenförmige Futteral. Als er an dem Band zog, bemerkte Caius, dass ihm an der rechten Hand Daumen und Zeigefinger fehlten.

»Die Würfel sind gefallen«, sagte Augustus zu Quintus, während der Bote sich mit seinem Auftrag entfernte. »Philippos holst du nicht ein.«

Sie saßen noch eine Weile da und nippten an ihrem Wein, während das Gespräch zunächst um Belanglosigkeiten kreiste, bis wieder ein Sklave erschien und Augustus ein Zeichen gab. Der Princeps erhob sich und verkündete seinen Gästen, dass man sich zum Essen begeben könne. Quintus, Rullianus und Caius standen ebenfalls auf und folgten ihrem Gastgeber in die Vorhalle.

»Themistoklis zeigt euch den Weg«, sagte Augustus zu Rullianus und Quintus. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit ganz unvermittelt auf Caius. »Du kommst mal mit mir«, forderte er ihn auf. »Ich möchte kurz mit dir reden.«

Caius war völlig verdutzt. Wortlos schloss er sich dem Princeps an, der sich nach links wandte, während der Sklave seinem Vater und Rullianus den Weg in die andere Richtung wies.

4

Caius folgte dem Princeps in einen Korridor, der von Feuerschalen erhellt wurde und von dem mehrere prachtvoll ausgemalte Räume abzweigten; im Vorbeigehen sah Caius eine Bibliothek, in deren Wände zahlreiche Fächer eingelassen waren, die der Aufbewahrung von Schriftrollen dienten. Dahinter knickte der Gang nach links ab und führte zu einer Treppe. Augustus hielt zielstrebig darauf zu und erklomm die Stufen mit einer Behändigkeit, die weder zu seinem Alter noch zu seiner Stellung passen wollte. Auf dem Treppenabsatz drehte er sich um und wartete. Caius kam in seiner Toga kaum nach. Die zweite Treppe mündete wieder in einen Flur. Nach vielleicht vierzig Schritten öffnete sich auf der linken Seite ein Raum, den Augustus jetzt betrat. Auch hier brannten einige Feuerschalen und erleuchteten einen über und über mit Schriftrollen bedeckten Schreibtisch und einen gepolsterten Stuhl. Das eigentlich Beeindruckende an diesem Zimmer aber war die Ausmalung: Die Wände waren in kräftigen Farben gehalten und wurden durch aufgemalte Säulen und Architrave strukturiert. Auf abwechselnd schwarzem, rotem und gelbem Hintergrund waren Bildfelder aufgetragen, deren Dekoration mit einer Sorgfalt ausgeführt war, wie sie Caius noch nie gesehen hatte. Schwäne, Greifen, Reiher und verspielte Blütenornamente wechselten sich ab und gingen elegant ineinander über. Die Ausmalung der Wände endete an einem Gesims, das von einer mit Stuckfeldern verzierten Decke überwölbt wurde. Der Raum war klein und wirkte dadurch umso höher.

»Mein Arbeitszimmer«, sagte Augustus. »Aber das ist es nicht, was ich dir zeigen wollte.« Mit diesen Worten machte er zwei Schritte auf die Wand rechts neben der Eingangstür zu. Erst jetzt bemerkte Caius, dass dort eine Tür eingelassen war, die kaum auffiel, weil die Bemalung der Wände sich auf dem glatt polierten Holz fortsetzte. Augustus öffnete sie. Dahinter führte eine schmale Treppe steil nach oben. Er wandte sich zu Caius um. »Pass auf die Stufen auf, es ist nicht besonders hell hier drin«, sagte er. Dann stieg er hinauf.

Der Weg nach oben schien endlos und wurde nur durch kleine senkrechte Schlitze in den Wänden rechts und links erhellt. Sie mussten schon weit über die Deckenhöhe des Arbeitszimmers hinaus sein, als Augustus stehen blieb und eine Luke aufstemmte. Tageslicht flutete durch den breiter werdenden Schlitz herein und erleuchtete mit einem Schlag die Treppe. Augustus erklomm die letzten Stufen und tauchte in das gleißende Licht ein. Seine weiße Toga strahlte in der Sonne.

Zögerlich stieg Caius die letzten Stufen hinauf und trat ins Freie. Sie standen auf einer quadratischen Terrasse, die von einem Holzgeländer begrenzt war. Der Blick von hier oben war atemberaubend. Augustus schwieg, als wollte er Caius das Panorama in Ruhe genießen lassen.

Caius schaute sich um. Die rechte Seite wurde vom Apollotempel beherrscht, dessen Giebel zum Greifen nah schien und der aus dieser Perspektive noch größer wirkte. Tief unten im Schatten lag der Vorplatz, über den sie den Palast betreten hatten. Nach vorn überblickte man die Dächer der wenigen anderen Häuser auf dem Palatin, dahinter fiel der Hang zum Forum steil ab. Aus der Senke erhob sich das Säulenmeer der mit Marmor verkleideten Tempel und Basiliken, überragt von der gewaltigen doppelstöckigen Fassade des Staatsarchivs, fern dahinter stieg das Gelände wieder an. Die verwinkelten Gassen und verschachtelten Häuser erstreckten sich bis zum Horizont und verschmolzen zu einer ziegelroten Masse mit einzelnen helleren Tupfern. Links krallte sich der Jupitertempel in den höchsten Punkt des Kapitols wie ein Raubtier in seine viel zu große Beute. Weiter unten zog sich das in der Abendsonne silbrig schimmernde Band des Tibers hin. Mitten im Fluss lag eine Insel, die mit einer steinernen Verkleidung in die Form eines riesigen Schiffes gebracht worden war. Brückenbögen übersprangen scheinbar spielerisch den Fluss. Hinter ihnen war, durch die scharf abknickende Kuppe des Palatin unsichtbar gemacht, der Circus Maximus, wo Caius sich unzählige Male mit seinen Freunden bei den wilden Wagenrennen die Seele aus dem Leib geschrien hatte. Aus dem Häusermeer wogten die Geräusche der mit Menschen vollgestopften Stadt als gedämpftes Raunen hinauf: Abertausende von Stimmen, Geschrei, Hufgeklapper, das Hämmern und Sägen von den Baustellen, das Rauschen und Plätschern der Brunnen – ein unwirkliches Schauspiel, überwölbt vom schwerelosen blauen Himmel, der am Horizont von einem rosafarbenen Streifen gesäumt wurde. Obwohl er das alles aus diesem Blickwinkel noch nie gesehen hatte, fühlte Caius eine tiefe Vertrautheit mit seiner Stadt.