Auch Targo schien nervös zu sein, wenn er mit diesem Mann zu tun hatte.
Wir blieben sechs volle Tage in dem gemieteten Gehege vor Laura. An fünf Tagen wurde ich morgens mit vier anderen Mädchen in die Stadt geschickt, um Vorräte zu holen. Zwei Wächter begleiteten uns. Doch vor einem bestimmten Gebäude trennte mich ein Wächter von den anderen Mädchen und führte mich jeden Morgen in das Haus, während die anderen zum Markt weitergingen. Bei der Rückkehr warteten sie auf der Straße, bis ich und mein Wächter wieder zu der Gruppe stießen. Ich wurde wieder an die anderen gefesselt, die Lasten wurden neu verteilt, und es ging zurück zum Gehege.
Das Gebäude, in das ich geführt wurde, gehörte einem Arzt. Ich wurde durch einen Korridor in einen besonderen Raum gebracht, in dem Sklaven behandelt wurden. Dort wurde mir der Kamisk abgenommen. Am ersten Tag untersuchte mich der Arzt, ein ruhiger Mann in der grünen Kleidung seiner Kaste. Seine Instrumente, die Versuche, die er machte — all dies ähnelte sehr den Untersuchungsmethoden auf der Erde. Besonders interessant fand ich die Tatsache, daß das Zimmer durch eine sogenannte Energiekugel erhellt wurde, eine Erfindung der Hausbauer. Diese Lampe schien keine Zuleitung und auch keine Batterien zu haben und erleuchtete doch den Raum bis in die letzten Winkel. Die Instrumente des Arztes waren ganz und gar nicht primitiv. Zum Beispiel verfügte er über eine kleine Maschine mit Anzeigegeräten und Kontrollampen. In dieses Gerät führte er Objektträger mit Blutstropfen und Urin, Hautproben und Haarmustern ein. Mit einem Stift notierte er die Ergebnisse, die die Maschine anzeigte, die außerdem eine Art Mikroskopbild erscheinen ließ. Der Wächter hatte mir streng verboten, mit dem Arzt zu sprechen, wenn ich nicht angesprochen wurde. Obwohl der Mann nicht unfreundlich zu mir war, schien er mich doch bestenfalls für ein Tier zu halten.
Als er mit der Untersuchung fertig war, mischte er mehrere Pulver in drei oder vier Behälter zusammen, tat Wasser hinzu und rührte sie um. Dieses Mittel mußte ich trinken.
»Sie muß das Stabilisationsserum erhalten«, sagte der Arzt. Der Wächter nickte.
»Das wird in vier Injektionen eingegeben«, sagte der Arzt, und der Wächter nickte und führte mich zu einem Tisch, über den ich mich beugen mußte. Die Injektion erfolgte oberhalb der linken Hüfte und war schmerzhaft.
Nach der Behandlung durfte ich mich wieder anziehen. Ich wollte dringend mit dem Arzt sprechen — in seinem Haus, in diesem Raum. Ich hatte hier Instrumente gesehen, die auf eine fortschrittliche Technologie hindeuteten — sehr im Gegensatz zu an deren Lebensbereichen auf dieser primitiven Welt. Doch der Wächter drängte mich aus dem Zimmer, und der Arzt blickte mir überrascht nach, so flehend hatte ich ihn angesehen.
Draußen hatte ich den Eindruck, als würden wir von einem kleinen schwarzgekleideten Mann beobachtet, aber ich war meiner Sache nicht sicher.
Die anderen Mädchen warteten bereits.
Wir kehrten in den nächsten Tagen in das Haus des Arztes zurück. Am zweiten, dritten und vierten Tag erhielt ich die restlichen Stabilisierungsinjektionen. Am fünften Tag untersuchte mich der Arzt noch einmal und bestätigte dem Wächter, daß das Serum angeschlagen habe.
Am zweiten Tag hatte ich versucht, mit dem Mediziner zu sprechen; dafür wurde ich vom Wächter bestraft. Vor dem Haus sah er mich amüsiert an. »Du willst wohl den Heimweg geknebelt zurücklegen?« fragte er.
Ich schüttelte heftig den Kopf. Nein, es durfte nicht geschehen, daß Targo sich erkundigte, was ich ausgefressen hatte.
»Will die kleine Sklavin ihren Wächter um Verzeihung bitten?« fragte er spöttisch.
Ich nickte ergeben.
»Nur schade, daß du von weißer Seide bist«, sagte der Mann; kopfschüttelnd und führte mich zu den anderen Mädchen. Ich spürte, daß er mich haben wollte, und das erfüllte mich seltsamerweise mit Stolz. Ich hatte meine Macht über die Männer also doch noch nicht verloren.
Als ich am fünften Tag das Haus des Arztes verließ, hörte ich, ihn zu meinem Wächter sagen: »Ein ausgezeichnetes Exemplar!«; Es stimmte, daß ich mich in diesen Tagen gesund fühlte wie nie zuvor, auch war mir die Luft noch nie so rein und klar, der Himmel so blau vorgekommen. Mir wurde plötzlich klar, daß ich trotz meiner Situation zufrieden war. Auch wenn ich barfuß laufen mußte und herumkommandiert wurde, auch wenn ich als Sklavin der Gnade der Männer ausgeliefert war, fühlte ich mich paradoxerweise zum erstenmal richtig am Leben. Ich dachte öfter an Männer, nachdem ich nun wußte, daß sie mich attraktiv fanden. Und auch ich schien seltsamerweise ein neues Verhältnis zu ihnen zu finden, schien sie mit anderen Augen zu sehen. Der eine hielt den Kopf auf eine bestimmte Weise, ein anderer lachte frisch und aus vollem Herzen, ein dritter hatte stämmige Beine, wieder ein anderer schöne Arme und starke Hände, eine schöne Brust oder einen wohlgeformten Kopf. Ich stellte fest, daß ich mir die Männer anzuschauen begann, daß ich ihre Nähe suchte, daß es mir nichts mehr ausmachte, ihre Sandalen zu putzen oder im Fluß nahe dem Gehege ihre Kleidung zu waschen. Einmal ertappte mich Ute dabei, wie ich verträumt die Tunika des Wächters anstarrte, der mich zum Arzt begleitet hatte. Sie stieß einen Freudenschrei aus, sprang auf und deutete auf mich. Auch die anderen Mädchen blickten lachend herüber. »El-in-or wünscht sich einen Herrn!« kreischte Ute. Ich jagte sie durch das Wasser, und sie ergriff stolpernd die Flucht, eilte ans Ufer und blickte schweratmend auf mich herab. »El-in-or wünscht sich einen Herrn!« rief sie lachend.
Ich stand im Wasser, wütend, die Fäuste geballt. »Ja, na und?« fragte ich.
Aufgebracht kehrte ich an meine Arbeit zurück, und auch die anderen Mädchen wuschen weiter. Aber die Atmosphäre hatte sich irgendwie verändert. Ich lauschte, wie sie fröhlich miteinander plauderten. Was war anders? Ich trug meinen Kamisk und arbeitete wie die anderen. Es gab hier kein Penthouse, keinen Maserati, kein Vermögen, keine Hochhäuser, keinen Autolärm, kein Kreischen von Flugzeugen, keinen Smog. Nur das Lachen der Mädchen, das Rauschen des Wassers, die Arbeit, den blauen Himmel, die weißen Wolken, den Wind des weiten Landes und das wogende Gras.
Ich unterbrach meine Arbeit und atmete tief ein. Ich war nicht mehr wütend.
»Weitermachen«, sagte ein Wächter.
Ute, die ihre Wäsche auf die flachen Felsen klatschte und im kalten Wasser ausspülte, begann zu singen.
Ich war tatsächlich glücklich! Ich gehörte zu diesen Mädchen. Ich hatte mich mit meinem Schicksal abgefunden. Wie hatten sie das geschafft? Allmählich begann ich mich auf den Moment zu freuen, da ich verkauft sein würde. Ich hatte nichts dagegen, in Laura veräußert zu werden. Mir gefiel diese Stadt, dieser einfache, primitive Ort mit der herrlichen Luft, dem Wald im Norden und dem Fluß im Süden. Ich liebte die Rampen, die zum Fluß hinabführten und sich zwischen den Lagerhäusern hindurchwanden, den geschnitzten, bunten Holzschmuck an den Häusern, die schwarzen Dach schindeln, den Geruch nach Bosks auf den Rampen und das Knarren der Wagen, den Duft nach Fisch und Salz und schimmernden Tharlarion, den Geruch nach Fellen und frisch gesägtem Holz an den Docks. Und die Männer dieser Stadt gefiele mir in ihren groben Tuniken, lebensstrotzende, kräftige Männer mit fröhlichem Lachen, Männer, die fest zupackend in der klaren Luft und auf dem Fluß arbeiteten. Ich fragte mich, ob es mein Schicksal sein würde, mit einem von ihnen auf dem Wagen zu fahren oder in Gesellschaft eines Fischers nachts mit Fackeln auf den Fluß hinauszufahren. Ich fragte mich, ob ich geschickt auf dem Marktplatz würde schachern müssen, und ob mein zukünftig ger Herr wohl meine Küche mochte. Ich fragte mich, ob er mich auf Reisen mitnehmen würde. Ja, zum erstenmal im Leben hatte ich nichts dagegen, eine Frau zu sein und an der Seite eines einfachen Mannes ein entbehrungsreiches aber erfülltes Leben zu führen. An diesem Nachmittag rief mich Targo zu sich. Erschreckt kniete ich vor ihm nieder.