»Heb den Kopf«, sagte er.
Ich gehorchte.
»Wenn die Vorführkette ausgelegt wird«, sagte er, »bist du ab heute elftes Mädchen.«
Ich traute meinen Ohren kaum. »Danke, Herr«, sagte ich leise. Zur Kette des Targo gehörten noch sechzehn Mädchen. Die hundert Dorfmädchen zählten nicht; sie sollten nur in Ar verkauft werden.
»Du bist jetzt hoch oben an der Kette«, sagte Targo, »ich bin zufrieden mit dir.«
Ich freute mich sehr über seine Bemerkung. Hastig lief ich zum Gehege zurück, und der Wächter öffnete mir den Käfig und ließ mich eintreten. Ich ging sofort zu Ute und erzählte ihr, daß ich nun elftes Mädchen war.
Wir umarmten uns vor Freude.
Lana war ranghöchstes Mädchen, die Nummer sechzehn. Dann kam Inge, weil sie einer hohen Kaste angehört hatte. Ute war vierzehntes Mädchen.
Es bringt nicht nur Prestige, hoch an der Kette zu stehen, sondern in der Regel erzielt man dann auch einen besseren Preis und bekommt einen gut bestallten Herrn. |
Stolz spazierte ich vor Ute und Inge auf und ab. »Ich hätte nichts dagegen«, sagte ich hochmütig, »wenn mein Herr mich in Seide kleidet.«
Wir lachten.
»Hoffen wir nur«, sagte Inge, »daß du nicht von einem Pagawirt gekauft wirst.«
Ich blickte sie verärgert an.
»Die können sich oft die besten Mädchen leisten«, sagte Inge, und ich schluckte. »Allerdings«, fuhr sie fort, »kommen nur sehr wenige Mädchen in Tavernen. Vielleicht wirst du Bedienungssklavin oder Haussklavin.«
Ich reckte mich wohlig. »Nein«, sagte ich. »Ich glaube, ich werde Vergnügungssklavin.«
»Ohne Training?« fragte Inge lachend.
»Das kann ich alles lernen«, versicherte ich.
»Wie ich gehört habe«, schaltete sich Ute ein, »sollen wir alle in Ko-ro-ba ausgebildet werden.«
»Ich lerne bestimmt ausgezeichnet«, sagte ich.
»Wie sehr du dich verändert hast!« rief Ute aus. »Sie haben dir Spritzen gegeben, nicht wahr?«
»Was hat das damit zu tun?« fragte ich geringschätzig.
»Oh, eine ganze Menge«, versicherte Inge, und wir lachten. Am Nachmittag dieses Tages gab es im Gehege eine kleine Abwechslung. Ein Jahrmarktsgaukler mit spitzem Hut und einer Feder daran, in eine schreiend bunte Robe gekleidet und clownisch bunt angemalt, führte ein seltsames Tier bei sich. Für eine kupferne Tarnmünze wollte er uns eine kleine Vorstellung geben, Wir alle — sogar die Dorfmädchen — flehten Targo an, die Erlaubnis zu geben. Zu unserer Freude willigte Targo ein, und der kleine Marktschreier mit dem seltsamen Tier schuf sich eine kleine Bühne auf der anderen Seite, abseits des Gitters, das die gemeinsame Trennwand zwischen unserem und Haakons Gehege bildete. Wir und die hundert Dorfmädchen drückten uns begeistert an das Gitter, um ihm zuzuschauen.
Der kleine Mann mit der weiten, lustigen Kleidung und dem angemalten Gesicht kam mir irgendwie bekannt vor, doch ich wußte, daß das unmöglich war. Wie absurd! Er tanzte und schlug Saltos und sang lustige Lieder vor dem Gitter. Er war ein kleiner, agiler Mann. Er hatte scharfe Augen und schnelle Hände. Und er erzählte lustige Geschichten und Witze. Er führte auch Zauberkunststücke vor — mit Seidentüchern und Halsbändern — und jonglierte mit farbigen Reifen herum, die er an seinem Gürtel trug. Schließlich griff er durch die Gitterstäbe und tat, als finde er Münzen im Haar der Mädchen. Zu meinem Entzücken zog er aus meinem Haar einen Silbertarsk. Die anderen schrien neidisch auf — das war die kostbarste Münze, die er fand. Ich errötete vor Freude, und Lana war beleidigt.
Während der ganzen Vorstellung hatte das Ungeheuer des Mannes geschlafen, im Gras zusammengerollt; seine Kette wurde von einem Wächter gehalten.
Schließlich wandte sich der Marktschreier mit einer Verbeugung an sein Tier, nahm dem Wächter die Kette ab und sagte im Befehlston: »Wach auf, du Faulpelz! Steh gerade!«
Das Tier machte uns angst. Wir freuten uns, daß es so zahm war und dem kleinen Mann offenbar aufs Wort gehorchte.
Langsam stemmte sich das Tier auf die Hinterbeine, hob die Pfoten und gähnte.
Mehrere Mädchen schrien auf, und ich wich einige Zentimeter zurück. Es war ein unglaublich häßliches, großäugiges Pelzwesen. Es hatte lange, spitze Ohren, war etwa zweieinhalb Meter groß und mochte an die siebenhundert Pfund schwer sein. Es hatte eine breite, ledrige Schnauze mit zwei Nüstern. Das Maul war riesig, groß genug, um einen Menschenkopf zu verschlingen, und mit zwei Reihen spitzer Zähne ausgerüstet. Vier große Hauer vervollständigten das Gebiß, von denen die beiden oberen Reißzähne auch bei geschlossenem Maul herausragten. Das Biest hatte eine lange, dunkle Zunge. Die Vorderbeine waren länger als die Hinterbeine. Ich hatte schon gesehen, wie es sich trottend auf den Hinterbeinen und Gelenken der Vorderpfoten bewegte, aber jetzt sah ich, daß die Vorderpfoten mehr wie Arme und Hände wirkten. Ja, sie hatten sechs Gelenke und waren beweglich wie Tentakel, die in klauengleichen Fingern endeten. Auch an den Hinterbeinen hatte es Klauen, die sich einziehen ließen, wie uns der Marktschreier mit scharfen Kommandos vorführte. Die Klauen waren fast zehn Zentimeter lang, sichelförmig und sehr spitz. Ich vermochte mir nicht darüber klar zu werden, ob ich mir dieses Tier als Vierbeiner oder als menschenähnliches Wesen mit zwei Beinen und zwei Armen vorstellen sollte. Einen Schwanz hatte es jedenfalls nicht. Am auffälligsten waren vielleicht die Augen. Sie waren groß und hatten schwarze Pupillen. Einen Moment lang bildete ich mir ein, sie wären auf mich gerichtet — nicht als die Augen eines Tiers, sondern als die eines Vernunftwesens, das mich erkannt hatte. Doch im nächsten Moment war der Blick wieder leer und nichtssagend, der stumpfe Blick eines dressierten Bären, der seine Nummern vorführt. Ich verdrängte das Unbehagen, das ich empfand.
Wir klatschten Beifall, als das Tier seine Vorstellung fortsetzte. Es hockte sich auf den Hintern und machte mit den Vorderpfoten komische Bewegungen. Dann wieder purzelte es kopfüber durch den Sand. Schließlich stimmte es ein durchdringendes Jammergeschrei an. Der Gaukler warf dem Tier ständig kleine Stücke Boskfleisch zu — als Belohnung für gelungene Kunststücke. Manchmal beschimpfte er es und zögerte, das Fleisch aus der Hand zu geben. In solchen Fällen senkte das Tier den Kopf wie ein gescholtenes Kind, woraufhin es dann doch sein Fleisch bekam.
Den Wächtern gefiel die Vorstellung ebenso wie uns Mädchen. Ich sah, daß auch Targo lachte und sich den mächtigen Bauch hielt. Manchmal gab der kleine Mann auch den Mädchen die Fleischstücke, damit sie das Tier fütterten. Lana durfte es wiederholt tun und sah mich triumphierend an. Ich hatte zuviel Angst vor dem Ungeheuer, um mich mehr als einmal zu melden. Das Stück Fleisch verschwand in dem gewaltigen Maul, und die großen runden Augen blinzelten schläfrig und zufrieden. Die Mädchen lachten. Ich wich erschrocken zurück, als mich diese Augen wieder so merkwürdig musterten.
Am Schluß der Vorstellung verbeugte sich der Gaukler tief vor uns und setzte schwungvoll seine spitze Kappe auf. Wie sehr uns diese Demutsgeste freute! Wir schlugen uns mit der linken Hand gegen die rechte Schulter, streckten ihm durch die Gitterstäbe die Arme entgegen. Doch die Vorstellung war aus.
Der Mann trat zurück.
Stille trat ein.
Das Ungeheuer stemmte sich schläfrig auf den Hinterpfoten hoch und betrachtete uns. Plötzlich stieß es ein schreckliches Brüllen aus und sprang auf das Gitter zu, die riesigen Klauen nach uns ausgestreckt, das gewaltige, zahnbewehrte Maul aufgerissen. Es prallte gegen die Gitterwand, langte hindurch; seine Zähne scharrten am Metall entlang, seine Kette klirrte gegen die Stäbe. Wir stolperten erschrocken kreischend zurück, versuchten zu fliehen, behinderten uns jedoch gegenseitig.