Von allen Seiten bedrängten mich die anderen fliehenden Sklavinnen, drückten gegen mich, warfen mich um. Und ich konnte mich nicht in Sicherheit bringen, denn die anderen, die weiter hinten gestanden hatten, begriffen nicht gleich, was los war. Ich schrie verzweifelt. Schließlich merkten wir, daß die Wächter und, Targo aus vollem Halse lachten. Sie hatten Bescheid gewußt. Der Angriff des Tiers hatte noch zur Vorstellung gehört — etwas, das uns gar nicht schmeckte. Wie komisch mußten wir gewirkt haben, wie wir uns entsetzt vor dem Ungeheuer in Sicherheit bringen wollten: Wie belustigend für die Wachen und für Targo und den kleinen Gaukler, der ungeniert den wild strampelnden Haufen Mädchen betrachtete. Das Monstrum saß ruhig neben ihm und fuhr sich schläfrig mit der Zunge über die Lefzen, blinzelte in die Runde.
Nach und nach entflochten wir den Wirrwarr. Wir waren beschämt und verlegen, so sehr hatten wir uns täuschen lassen, so elend war unsere Flucht mißlungen. Aber schließlich hatten wir Angst gehabt. Einige standen in der Nähe der winzigen Tür zu dem schweren Holzhaus, jeden Augenblick bereit, die Flucht zu ergreifen. Andere hatten sich an der gegenüberliegenden Gitterwand in Sicherheit gebracht. Die meisten standen einige Meter von dem Gitter entfernt, glätteten ihre Kamisks und starrten erbost auf die lachenden Männer. Für wie schlau sie sich hielten! Wahrscheinlich waren sie mutige Kämpfer, die sich des Ungeheuers erwehrt hätten, während wir wie furchtsame Kinder zurückgescheut waren! Aber was hatten sie erwartet — so war es nun einmal! Sie waren das stärkere Geschlecht, auf dieser Welt mehr als sonstwo!
Ute und mehrere Mädchen begannen zu lachen — über sich selbst, über uns Mädchen. Es war ein herrlicher Spaß auf unsere Kosten gewesen. Was für ein schöner Abschluß der Vorstellung! Ich konnte nicht lachen, aber ich brachte wenigstens ein Lächeln zustande. Die Mädchen winkten nun dem Clown zu, der sich lächelnd verbeugte, die Kette seines seltsamen Tiers nahm und sich zum Gehen wandte.
Einige Mädchen setzten sich zum Spielen zusammen, woran sich erstmals auch Mädchen aus dem Norden beteiligten. Wir hatten uns einen Tuchball zurechtgemacht und warfen ihn lachend herum. Andere hockten zusammen und erzählten sich, was sie alles erlebt hatten. Wieder andere saßen sich kniend gegenüber und spielten mit Bindfaden ein kompliziertes Musterspiel.
Einige spielten ›Steine‹, wobei ein Spieler die Anzahl der Steine erraten muß, die der andere in der Hand hält. Ich versuchte mich am Bindfadenspiel, brachte es jedoch nicht weit. Ich kam immer durcheinander, wenn ich die komplizierten Muster nachzuahmen versuchte. Die anderen Mädchen belächelten meine Ungeschicklichkeit. Besonders die Sklavinnen aus dem Norden stellten sich sehr geschickt an.
»Das erfordert viel Übung«, bemerkte Ute.
»In den Dörfern hat man auch kaum anderes zu tun«, sagte Lana, die sich weigerte, an dem Spiel teilzunehmen.
Beim ›Stein‹-Spiel jedoch war ich sehr zufrieden mit mir. Zwei Spieler sind abwechselnd an der Reihe. Jeder Spieler hat die gleiche Anzahl ›Steine‹, gewöhnlich zwei bis fünf pro Teilnehmer. Diese ›Steine‹ sind Kiesel oder Glasperlen, doch in den Städten kann man kleine polierte Kisten mit zehn ›Steinen‹ kaufen, bei denen es sich um polierte Ovalsteine mit hübschen Mustern bis zu kostbaren Juwelen handeln konnte. Der Zweck des Spiels ist es, die Anzahl der Steine zu erraten, die der andere in der Hand oder in den Händen verbirgt. Rät man richtig, gibt es einen Punkt. Das Spiel wird zu Anfang auf eine bestimmte Anzahl von wechselseitigen Ratevorgängen festgelegt, gewöhnlich fünfzig. In der Regel versucht man, einen der Gegner zu überlisten, indem man die Anzahl der gehaltenen Steine wechselt. Ich war hierbei recht erfolgreich und besiegte die meisten Mädchen, sogar Inge. Ich forderte Lana heraus, die jedoch nicht mit mir spielen wollte. Nur Ute vermochte ich nicht zu schlagen. Das ärgerte mich, denn Ute war ein kleines Dummerchen. Sie sprach ja nicht mal ihre eigene Sprache richtig! Aber es fiel mir schwer, Ute etwas nachzutragen.
Der Nachmittag war ein voller Erfolg gewesen. Ich war elftes Mädchen geworden, hatte die Vorstellung des Gauklers gesehen und mich bei Spielen vergnügt.
Kurz darauf sah ich einen Wagen voller Pagafässer im Gehege eintreffen. Die Fuhre wurde von den Wächtern freudig begrüßt. Heute abend sollte gefeiert werden. Morgen sollten wir dann das Gehege verlassen und die Überlandreise in südöstlicher Richtung nach Ko-ro-ba antreten — und von dort ging es dann weiter nach Ar.
Targos Wagen, nun sechzehn Fahrzeuge, die in Laura samt Ihren Boskgespannen hinzugekauft worden waren, standen in verschiedenen Entfernungen vom Gehege zu zweit oder dritt beieinander und bildeten isolierte Lager für die Wächter. Außer den neun Männern, die bei meiner Gefangennahme zu Targo gehört hatten, waren achtzehn neue Wächter zur Mannschaft gestoßen. Sie waren in Laura angeworben worden, ausgesuchte, zuverlässige Männer, keine unbekannten Söldner. Auf seine Weise verstand es Targo, seinen Besitz zu sichern.
Ute eilte fröhlich herbei und nahm meinen Arm.
»Wenn heute abend das Essen ausgegeben wird«, sagte sie lachend, »sollen Lana, du und ich nicht hingehen.«
»Warum nicht?« fragte ich.
Ute deutete durch die Gitterstäbe auf eine der Wagengruppen etwa hundert Meter vom Gehege entfernt. Fünf Wächter kampierten dort. »Sie haben Targo gebeten, daß wir sie bedienen dürfen!«
Ich freute mich. Es gefiel mir, mich wieder einmal außerhalb des Geheges bewegen zu dürfen, und auch gegen die Gesellschaft der Männer hatte ich nichts, die zu Targos alter Mannschaft gehörten. Als es dunkel wurde, gingen Lana, Ute und ich nicht zum Essen. Ich brachte Rena aus Lydius ihre Ration und ihr Wasser Anschließend hängte ich den Wasserbeutel wieder an seinen Ort und gab die Schale an ein Nordmädchen weiter, das mit einigen anderen Küchendienst hatte. Dann ging ich mit Ute und Lana zur Gittertor, um zu warten. Ich hatte Hunger.
»Wann können wir denn essen? fragte ich Ute.
»Wenn es den Herren gefällt — und wenn wir den Herren gefallen haben.« Ich sah sie besorgt an. »Keine Sorge — du bist von weißer Seide, dir passiert schon nichts.«
Wenige Minuten später wurden wir von drei Wächtern abgeholt. Das Tor wurde aufgeschlossen, und wir eilten hinaus. Ich war aufgeregt; dieser Abend mochte spannend werden.
Im Lager der Wächter bereiteten wir sorgfältig das Mahl. Männer waren in bester Laune und belohnten uns, indem sie uns Fleischstücke zukommen ließen.
»Hol Paga!« befahl einer der Männer, als sie gesättigt waren Ich ging zum Wagen, um eine der großen Pagahäute zu holen, die dort hingen. Das Gras fühlte sich angenehm an unter meinen bloßen Füßen. Ich glaubte jeden Halm zu spüren. Ich spürte den groben Stoff meines Kamisk am Körper.
Hinter dem Feuer sah ich in der Ferne den schwarzen Streifen der nördlichen Wälder. Aus der Ferne gellte der Schrei eines jagenden Sleen herüber. Ich erschauderte.
Dann hörte ich das Lachen der Männer und wandte mich wieder dem Feuer zu.
Zum Gehege hin sah ich da und dort andere Feuer auf der Wiese, andere Wagengruppen.
Morgen also fuhren Targo und seine Wagen nach Laura zurück, überquerten dort den Fluß und begannen die Landreise nach Ko-ro-ba, auch die Türme des Morgens genannt, und von dort zum luxuriösen Ar. Die Reise war nicht nur lang und beschwerlich, sondern auch gefährlich. »Paga«, rief der Wächter ungeduldig.
Ich eilte zu ihm.
Der Wächter reichte mir ein Stück Fleisch, und ich steckte es mir in den Mund, biß das rauchige verkohlte Äußere durch, bis ich den saftigen Kern des Bissens erreichte. Währenddessen spritzte sich der Mann einen roten Pagastrahl in den Mund.
Ich schloß die Augen und fuhr mit der Zunge über die Lippen und genoß den köstlichen Geschmack des Fleisches.