Ohne sich noch einmal umzusehen, marschierte sie auf den Fernen Wald zu.
Ihre Mädchen folgten ihr, das Feuer, die Männer und Ute und Lana zurücklassend. Die Würgeschlinge schnitt mir in den Hals, und halb stolpernd, die Hände auf dem Rücken gefesselt, wurde ich mitgeschleppt, einem Ungewissen Schicksal entgegen, das so dunkel vor mir lag wie der Wald, auf den wir zuhielten.
9
Die Würgeschlinge ist ein überaus praktisches Werkzeug, wenn man einen gefesselten Sklaven im Zaum halten will. Ich mußte fügsam jedem Schritt meiner Häscher folgen. Ich konnte keinen Widerstand leisten, ohne mich automatisch zu erwürgen.
Die Mädchen bewegten sich mit schnellen Schritten im Gänsemarsch durch das Unterholz am Rande des Waldes. Ich spürte Blätter und Äste unter meinen Füßen. An einer Stelle machten wir nur lange genug Rast, um einige Äste fortzuräumen und die leichten Speere und Bögen aufzunehmen, die dort versteckt Waren. Jedes Mädchen trug zusätzlich an der Hüfte ein Sleenmesser.
Die Anführerin bildete die Spitze der Kette; sie hatte sich Bogen und Pfeilköcher auf den Rücken geschnallt und den Speer in die Hand genommen. Manchmal blieb sie stehen und hob den Kopf als prüfe sie die Luft mit der Nase, doch jedesmal nahm sie die Wanderung wieder auf. In meinem Zustand konnte ich wenig gegen die Äste tun, die gegen meinen Körper peitschten; wenn ich stolperte oder vor Schmerz stehenblieb, zwang mich die erbarmungslose Schlinge sofort weiter. Nach etwa einer Stunde hob Verna die Hand, und die Mädchen blieben stehen.
»Wir machen Rast«, sagte sie.
Es war nicht leicht gewesen, uns durch das Unterholz einen Weg zu suchen. Wir waren immer noch im Vorgebiet des eigentlichen Waldes; bis wir die hohen Bäume erreichten, die riesigern Turs, mochte noch eine Stunde vergehen.
»Hinknien!« befahl das Mädchen, das meine Leine hielt.
Schweratmend gehorchte ich.
Ein Mädchen erkletterte einen Baum in der Nähe. Sekunder später warf sie Wasserflaschen und eingewickelte Bündel getrockneter Fleischstreifen durch das Mondlicht herab.
Mit untergeschlagenen Beinen im Laub sitzend, reichten die Mädchen die Flaschen herum und begannen auf dem Fleisch herumzukauen. Als sie getrunken und gegessen hatten, wandten sie sich mir zu. Ich hob den Kopf, und Verna stellte sich mit gezogenem Messer vor mir auf. »Verpaß ihr eine Narbe«, sagte das Mädchen, das mich an der Leine führte.
Ich starrte Verna entsetzt an.
»Hast du Angst, daß du dann nicht mehr so hübsch bist?« fragte Verna. »Daß du den Männern nicht mehr gefällst?«
Ich schloß die Augen und spürte, wie sich die Klinge zwischen meiner Wange und dem Knebel bewegte, der losgeschnitten wurde. Ich hätte vor Schreck fast das Bewußtsein verloren. Mit der Zunge drückte ich den unangenehmen Klumpen aus meine Mund.
Verna hatte ihr Messer wieder in den Gürtel gesteckt.
Ich sagte so ruhig ich konnte: »Ich habe Hunger und Durst.« »Deine Herren haben dich doch gut gefüttert«, sagte Verna. »O ja, sie ist gefüttert worden!« rief ein Mädchen und schnaubte verächtlich durch die Nase. »Sie wurde mit der Hand gefüttert wie ein Haustier!«
»Die Männer haben sicher ihren Spaß mit dir«, sagte Verna. »Ich bin keine Sklavin«, sagte ich.
»Aber du trägst das Zeichen eines Mannes«, sagte Verna.
Ich errötete.
»Wir wissen, wie sich eine Sklavin bewegt. Ihr Körper verrät sie. Und dein Körper verrät dich. Gib es zu.
»Du willst einem Mann gehören! Du bist scharf drauf, bei einem Mann zu liegen. Das sieht man dir doch an.«
»Nein, nein!« beteuerte ich. »Ihr habt gesehen, wie ich mich gewehrt habe!«
»Oh, wie schön!« Verna musterte mich kühl. »Wie viele zählst du hier in der Runde?« fragte sie.
»Fünfzehn«, antwortete ich.
»Meine Gruppe«, sagte Verna, »zählt genau fünfzehn Leute. Das halte ich für eine passende Anzahl — zum Schutz, zur Nah-rungssuche, zum Verstecken im Wald.« Sie sah mich an. »Einige Gruppen sind kleiner, andere größer, aber wir sind fünfzehn. Möchtest du eine von uns werden?«
»Ja!« rief ich.
»Dann bindet sie los.«
Die Würgeschlinge wurde mir abgenommen. Ich stand auf und rieb mir die Handgelenke.
Die Mädchen legten ihre Speere weg. Das Licht der drei Monde drang durch die Bäume.
Verna zog ihr Sleenmesser und reichte es mir. Die anderen Mädchen stellten sich halb geduckt vor mir auf.
»Wessen Platz willst du einnehmen?« fragte Verna.
»Ich verstehe nicht, was du meinst?« sagte ich.
»Du mußt eine von uns töten«, sagte Verna.
Ich schüttelte entsetzt den Kopf und flüsterte: »Nein.«
»Kämpfe gegen mich, Kajira«, zischte das Mädchen, das mich an der Leine geführt hatte. Ein anderes Mädchen sprang mit gezücktem Messer auf mich zu.
Ich schrie auf, warf die Klinge fort und sank schluchzend in die Knie. »Fesselt sie!« befahl Verna.
Das Mädchen, das mich geführt hatte, schnürte mir erbarmungslos die Handgelenke zusammen. Ich hatte Angst vor ihr.
Verna beobachtete mich, wischte Schmutz und Blätter von ihrem Sleenmesser, das ich zu Boden geworfen hatte, und steckte es wieder in den Gürtel. Dann nahm sie ihren Speer zur Hand, und die anderen Mädchen machten sich ebenfalls marschbereit.
Ich wußte, daß ich anders war als diese Frauen.
»Warum habt ihr mich mitgenommen?« fragte ich leise.
Verna sah mich lange an und sagte schließlich: »Ein Mann in-teressiert sich für dich. Er hat dich gekauft.«
Und geführt von Verna, setzte sich die Truppe wieder in Bewegung, wanderte lautlos durch den mondhellen Wald.
Wieder zog sich der Würgekragen um meinen Hals zu, und mit gequälten Atemzügen folgte ich meinen Peinigern, Etwa eine Stunde später hob Verna die Hand, und wir bliebe stehen. »Sleen«, sagte die Anführerin leise.
Die Mädchen sahen sich um. Verna hatte das Tier irgendwie gerochen. Die meisten sahen sich nach ihrer Warnung prüfend um. Offenbar konnten nur wenige das Tier wittern.
Nach einer Weile nickte Verna, und wir setzten unseren Marsch fort. Die Mädchen wirkten unruhig und gereizt. Mehr als einmal sah ich sie heimlich zu den Monden emporblicken.
»Verna«, sagte eine.
»Still«, erwiderte die Anführerin.
»Wir hatten die Männer in unserer Gewalt«, sagte ein Mädchen beharrlich. »Wir hätten sie als Sklaven mitnehmen sollen.« »Nein«, sagte Verna.
»Der Kreis«, sagte jemand von weiter hinten. »Wir müssen zum Kreis gehen.«
Verna blieb stehen und drehte sich um.
»Er liegt auf unserem Weg. Bitte, Verna.«
Verna musterte ihre Mädchen. »Also gut«, sagte sie. »Wir rasten am Kreis.«
Die Mädchen entspannten sich sichtlich. Ich verstand nicht, was hier vorging.
Mir war elend zumute. Mit einem Schmerzensschrei quittierte ich den Hieb eines Astes, der mir überraschend gegen den Bauch peitschte. Das Mädchen, das mich führte, zog brutal die Schlinge zusammen. »Ruhe, Kajira!« zischte sie.
Bei diesen stolzen, freien Frauen galt eine Kajira nichts. Ich war anders als sie.
Verna hatte gesagt, ein Mann habe mich gekauft. Ich wurde ihm gebracht, ihm, meinem Herrn. Wer mochte es sein?
Nach einer weiteren Stunde erreichten wir die Turbäume. Es war ein atemberaubender Anblick.
Die Mädchen blieben stehen.
Ich sah mich um. Die Wälder der nördlichen gemäßigten Zonen Gors sind eigenständige Ländereien, bedecken sie doch Hunderttausende von Quadratpasang. Sie enthalten zahlreiche Baumarten und unterscheiden sich in den verschiedenen Gegenden sehr voneinander. Der bekannteste Baum dieser Wälder ist der rötliche Turbaum, der in gewissen Abarten eine Größe von über sechzig Metern erreicht. Es ist unbekannt, wie weit sich die Wälder erstrecken, durchaus denkbar, daß sie die Landflächen des Planeten voneinander abgrenzen. Sie beginnen im Westen nahe der Küste des Thassa, des Meeres. Wie weit sie nach Osten reichen, hat nie ein Mensch erforscht. Man weiß nur, daß sie sich über die nördlichsten Erhebungen der Thentisberge hinaus erstrecken.