Wir befanden uns nun zwischen gewaltigen Turbäumen. Hoch über mir sah ich die Äste, die ein dichtes Dach bildeten. Der Waldboden war fast kahl. Zwischen den nackten, weit voneinander entfernt stehenden Bäumen lag nur ein dünner Laubteppich. Ich sah, daß zwei Mädchen immer wieder zu den Monden emporblickten, die von Zeit zu Zeit durch das Laubdach zu sehen waren. Sie hatten den Mund geöffnet und die Fäuste geballt. Ein seltsamer Schmerz schien in ihren Augen zu stehen. »Verna«, sagte eine mahnend.
»Also gut«, sagte die Anführerin gereizt. »Zum Kreis mit euch.« Die Mädchen machten kehrt und eilten durch den Wald davon. Verna trat neben mich und musterte mich eine Weile im Mondlicht. Ich senkte den Blick.
»Ja«, sagte sie schließlich. »Du bist eine hübsche kleine Kajira.« Zu meiner Überraschung löste sie die Schlinge um meinen Hals und sagte: »Du folgst den anderen und kommst dort zu einer Lichtung. Darauf steht ein Pfosten. Bei dem wartest du.« Verna sah mir nach, wie ich durch den Wald davonschritt. Nach hundert Metern erreichte ich eine Lichtung. Sie maß etwa dreißig Meter im Durchmesser und war von weichem Gras bewachsen. Über der Lichtung standen bleich die drei goreanischen Monde.
Vernas Mädchen standen schweigend am Rand des Kreises. Sie schienen seltsam unruhig zu sein. Einige hatten die Augen geschlossen und die Fäuste geballt. Ihre Waffen hatten sie abgelegt. Am Rand der Lichtung entdeckte ich den Pfahl. Er war etwa zwei Meter hoch. Verna, die mir gefolgt war, fesselte mich mit einer kurzen Schnur daran. Im nächsten Augenblick sprang eines der Mädchen in die Mitte der Lichtung. Sie hatte blondes Haar und den Kopf gesenkt und bebte am ganzen Leibe. Dann warf sie stöhnend den Kopf zurück rück, hob die Hände, als wollte sie nach den goreanischen Monden den greifen. Die anderen Mädchen reagierten wimmernd auf ihre Bewegungen, hoben die Arme, wankten auf die Lichtung hinaus Das erste Mädchen begann sich schreiend zu winden, tanzte stampfend über die Lichtung. Nacheinander fielen die Mädchen in das unheimliche Schauspiel ein. Stampfend, sich drehend, aufschreiend, stöhnend, nach den Monden greifend tanzten sie.
Schließlich stand nur noch Verna am Rande des Kreises, die Anführerin der Gruppe, stolz und überlegen.
Das erste Mädchen warf den Kopf in den Nacken, entledigte sich ihres Fells. Dann bemerkte ich zum erstenmal in der Mitte des Kreises vier kleine Pfosten, etwa dreißig Zentimeter lang, dunkel im Gras. Sie bildeten ein kleines Viereck. Ich erschauderte. Sie waren eingekerbt, so daß Fesseln nicht davon abrutschen konnten. Das erste Mädchen begann vor dem Viereck zu tanzen Ich blickte zum Himmel auf. Die drei Monde wirkten riesig. Ein zweites Mädchen folgte dem Beispiel des ersten. Ich wandte den Blick ab, so entsetzt war ich von dem barbarischen Schauspiel. Plötzlich stürzte sich auch Verna in den Kreis der Tanzenden, warf ihre Waffen fort und stimmte in die gequälten, wilden, Schreie ein. Die Mädchen warfen sich auf den Rücken und lagen da, sich windend, die Augen hilflos auf die grellen Monde gerichtet.
Unwillkürlich begann auch ich an meinen Fesseln zu zerren, von einer unerklärlichen Sehnsucht gepackt. Ich begann mich zu, winden, ich wollte frei sein, ich wollte mit diesen Mädchen tanzen. Aber nein, ich war nicht wie sie! »Kajirae!« kreischte ich sie» an. »Sklaven! Sklaven!«
Es war keine Angst in meiner Stimme, sondern fast hysterischer Triumph. Immer wieder schrie ich sie an, denn ich kannte mich nun besser als sie! Ich war ihnen überlegen!
Doch sie kümmerten sich nicht um mich.
Endlich beruhigten sich die Mädchen und zogen sich eine nach der anderen wieder an. Von Verna geführt, umstellten sie den Pfosten, an dem ich aufrecht wartete.
»Mir will scheinen«, sagte ich leise, »daß sich eure Körper wie die von Sklavenmädchen bewegten.«
Verna schlug mich mit aller Kraft ins Gesicht, meine Wange brannte wie Feuer. Sie sah mich an. »Wir sind Frauen«, sagte sie lakonisch. »Bringen wir sie um«, schlug eins der Mädchen vor.
»Nein«, erwiderte Verna und sah sich um. »Wir marschieren weiter.« Das Mädchen, das sich schon vorher um mich gekümmert hatte, löste meine Fesseln und schob mich vor sich her. Ich lächelte sie an. Sie schwieg, wandte sich aber wütend ab. Vernas Gruppe setzte ihren Marsch fort.
Die Anführerin hob plötzlich die Hand.
»Sleen«, flüsterte sie.
Die Mädchen sahen sich um.
Ich fragte mich besorgt, ob es sich um dasselbe Tier handelte, das wir schon vorhin bemerkt hatten, ob es uns verfolgte. Auch die Mädchen schienen nervös zu werden. Sie schwiegen und atmeten kaum. »Ist er noch da?« fragte jemand.
»Ja«, sagte Verna und deutete auf eine Stelle rechts vor der Gruppe. »In dieser Richtung«, fuhr sie fort. Ich sah nur die Schwärze der Bäume. Wir rührten uns nicht.
Nach einer Weile sagte Verna: »Der Sleen ist fort. Wir marschieren weiter.«
Ich wurde an der Würgeschlinge in die Dunkelheit gezerrt. Nach etwa einer Stunde erreichten wir eine Lichtung, auf der eine kleine Hütte stand, mit einer Tür und einem einzelnen Fenster. Drinnen leuchtete eine Lampe.
Ich wurde zur Tür geführt.
»Knie nieder«, befahl Verna, und ich gehorchte.
Ich war nervös. Dies mußte das Haus des Mannes sein, der mich gekauft hatte.
Aber kein Laut drang aus der Hütte.
Verna nahm einen Lederbeutel von einem Haken an der Hüttenwand und hockte sich auf den Boden; die Mädchen umringten sie. Sie schüttete den Inhalt des Beutels auf den Boden. Er enthielt stählerne Pfeilspitzen. Verna zählte sie im Licht des Mondes. Es waren hundert Pfeilspitzen.
Verna gab jedem ihrer Mädchen sechs Spitzen. Zehn behielt sie für sich. Die Mädchen verstauten ihren Schatz in den Gürtelbeuteln. Ich starrte sie kopfschüttelnd an; ich traute meinen Augen nicht. War es möglich, daß das mein Preis war, daß ich für hundert Pfeilspitzen einen neuen Besitzer gefunden hatte?
Verna machte eine herrische Kopfbewegung. »Hinter der Tür wartet dein Herr!«
Ich wandte mich um. »Hundert Pfeilspitzen ist nicht genug!« sagte ich, verblüfft über mich selbst, daß ich den Mut zu diesen Worten aufbrachte. »Mehr bist du ihm nicht wert«, erwiderte Verna und musterte mich von oben herab. »Ich selbst hätte nicht soviel für dich bezahlt.« Die Mädchen lachten.
Ich bebte vor Wut und Scham. Ich haßte mich, weil ich mich nicht besser beherrschte.
Aber ich wußte, wie ich weiterkommen würde. Ich würde es schlau anstellen. Ich war intelligent. Ich konnte Pläne schmieden und mich durchmogeln. Ich konnte hübsch lächeln und erreichen, was ich haben wollte. Als Sklavin standen mir allerlei Mittel zur Verfügung, mir das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
Aber nur hundert Pfeilspitzen! Das tat weh.
Die Tür zur Hütte ging auf.
Von plötzlichem Entsetzen gepackt, fuhr ich herum und spürte Vernas Speerspitze im Rücken.
»Tritt ein«, sagte sie.
Ich gehorchte, und die Tür fiel hinter mir ins Schloß, zwei Riegel wurden vorgeschoben, versperrten mir den Rückweg.
Ich drehte mich um, warf den Kopf in den Nacken und — schrie von Entsetzen gepackt auf.
10
Das großäugige Pelzwesen blinzelte mich an.
»Hab keine Angst«, sagte eine Stimme.
Das Tier war mit einem kräftigen Lederband an einer starken Kette festgemacht.
Ich preßte mich mit dem Rücken an die Hüttenwand. Ich spürte die rauhen Bretter an meinen Fingerspitzen. Ich konnte kaum atmen. Das Ungeheuer betrachtete mich und gähnte. Ich sah, daß die Kette kurz war und daß das Wesen nicht bis in die Mitte des Raumes vordringen konnte.
»Hab keine Angst«, wiederholte die Stimme.
Auf der anderen Seite des Raums beugte sich ein kleiner Mann über eine Wanne, ein Handtuch um den Hals gelegt. Es war der Clown, der uns im Gehege unterhalten hatte, doch anstelle der bunten Roben trug er nun eine gewöhnliche Haustunika.