Ute wies mich an, unsere Schlingen auf einem Wildwechsel auszulegen, den wir gefunden hatten, und ich machte mich auf den Weg. Plötzlich blieb ich entsetzt stehen. Männerstimmen!
Hastig schlüpfte ich ins Unterholz, kroch auf Händen und Knien vorwärts, bis ich durch eine Lücke im Gebüsch sehe konnte.
Zwei Tarns waren auf einer kleinen Lichtung angebunden. Männer, in Leder gekleidet und bewaffnet, hatten kein Feuer angezündet — ich erkannte sie. Sie gehörten zu Haakon aus Skjern!
»Sie muß hier irgendwo stecken«, sagte einer der beiden. »Mit Jagdsleen hätten wir sie längst gefunden.«
»Hoffentlich ist sie von roter Seide«, sagte der andere. »Wenn nicht, machen wir sie dazu — glaubst du wirklich, das Haakon damit rechnet, wir würden ihm ein Weiße-Seide-Mädchen bringen?« »Natürlich nicht!« lachte der andere und schlug sich auf Schenkel. »Die Kleine hat uns wirklich hübsch an der Nase herumgeführt — das soll sie uns bezahlen.«
»Wir fangen sie schon noch!«
»Sie scheint intelligent zu sein — trotzdem hat sie das Feuer angemacht, das war dumm.«
»Wie gehen wir vor?«
»Wir warten hier an diesem Wildwechsel. Wir wissen, daß die Kleine sich ihre Mahlzeiten mit der Schlinge fängt, da muß sie über kurz oder lang hier auftauchen.«
»Sicher gibt es in der Gegend noch weitere Wildwechsel«, wandte der andere Mann ein.
»Wenn wir sie nicht heute fangen, dann bestimmt morgen oder übermorgen.«
Vorsichtig schob ich mich rückwärts. Als ich mich einige Meter entfernt hatte, richtete ich mich lautlos auf und huschte davon.
Ein Gedanke beherrschte mich — ich mußte Ute warnen! Wir mußten fliehen! Aber dann verhielt ich mitten im Schritt und duckte mich erschreckt hinter einen Busch. Die beiden Männer hatten nur von einer Sklavin gesprochen — offenbar nahmen sie an, sie müßten nur ein Mädchen fangen.
Ich schüttelte den Kopf. Nein, so etwas durfte ich nicht denken! Aber die Männer machten mir angst. Sie waren rücksichtslos und grausam. Es durfte nicht geschehen, daß ich solchen Söldnern in die Hände fiel. Und Ute war schon oft Sklavin gewesen.
Ruhig kehrte ich in unser Lager zurück. Die Männer wußten nur von einem Mädchen ...
Nein, das durfte ich nicht tun!
Die beiden hatten uns tagelang verfolgt. So schnell würden sie nicht aufgeben.
Und wenn sie nur eine von uns fingen?
Ute war dumm, sie war eine Goreanerin, ein einfaches Mädchen. Außerdem hatte sie es gewagt, mich als ihre Untergebene zu behandeln. Ute war schon Sklavin vieler Herren gewesen — sie wußte, wie das war. Ich warf die Lederschlingen ins Gebüsch und kehrte in unser Lager zurück.
»Hallo, Ute!« sagte ich lächelnd.
»Tal, El-in-or«, erwiderte Ute, die damit beschäftigt war, eine neue Feuerstelle zu bauen.
»Ich habe die Schlingen ausgelegt, und als ich fortging, hat sich schon ein Tier gefangen.«
»Gut«, sagte Ute. »Was ist es denn?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. »So etwas habe ich noch nie gesehen — eine Art Waldurt, pelzig und sehr häßlich. Ich wollte das Ding nicht anfassen.«
»Oh El-in-or!« lachte Ute. »Du bist ja so ungeschickt!«
»Bitte hol das Tier — ich traue mich nicht!«
»Na gut.« Und Ute richtete sich auf. »Zeig mir, wo du Schlinge angebracht hast.«
»Nein!« rief ich.
Sie wandte sich um und sah mich fragend an.
»Du kannst sie nicht verfehlen. Auf der linken Seite.«
»Na gut«, sagte Ute und verließ das Lager. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich ihr vorsichtig in einiger Entfernung folgte. Ein Stück vom Lager entfernt kniete ich nieder und hob einen handlichen Stein auf. Dann versteckte ich mich im Gebüsch wobei ich den Stein umklammerte. Kaum hundert Meter entfernt hörte ich plötzlich den Ruf eines Mannes. Mein Herz machte einen Sprung. Sie hatten Ute gefangen!
Aber dann hörte ich den Schrei des anderen Mannes und Brechen von Ästen. Zu meinem Entsetzen hastete Ute über den Wildpfad, die Augen weit aufgerissen, die Arme vorgestreckt.
»El-in-or!« rief sie. »Sklavenjäger! Flieh!«
»Ich weiß«, sagte ich und richtete mich auf.
Sie starrte mich verblüfft an.
Mit dem Stein versetzte ich ihr einen Schlag gegen den Kopf Die Männer mußten sie finden, nicht mich!
Stöhnend brach Ute in die Knie und bewegte den Kopf und her. »Nein!« ächzte sie. »Nein! Nein!«
Ich warf den Stein ins Gras. Die Männer würden annehme sie wäre geflohen und hätte sich den Kopf aufgeschlagen.
Hastig versteckte ich mich im Gebüsch. Ich sah, wie die Tarnkämpfer sie packten und davonschleppten.
Ich war froh — Ute war gefangen! Ich fürchtete nur, daß den beiden von mir erzählen würde — aber wahrscheinlich verriet sie mich nicht. So entkam ich meinen Verfolgern. Ich wollte meinen Weg fortsetzen und das Dorf Rarir suchen, wo ich mich vielleicht als Freundin von Ute ausgeben konnte. Mit der Zeit konnte ich mich von dort wahrscheinlich zur Austauschinsel Teletus durchschlagen, wenn alles gut ging. Vielleicht kam ich bei Utes Adoptiveltern unter. Meine Aussichten standen also gar nicht so schlecht.
Wie zuvor wanderte ich nachts und schlief tagsüber in Ka-la-na-Dickichten.
Eines Nachts bewegte ich mich auf meinem weichen Grasbett, unruhig schlafend. Insekten umschwirrten mich. Ich hatte am Vorabend gut gegessen, denn es war mir gelungen, in einem Bauernhof ein Stück Boskfleisch zu stehlen, das zum Trocknen aufgehängt war. Das hatte vorzüglich geschmeckt.
Seit Utes Gefangennahme hatte ich mir nichts mehr gebraten. Ich wußte nicht, ob ich ein Feuer zustandebekam. Außerdem hatte ich erfahren müssen, daß die Flammen gefährlich sein konnten. Ich ernährte mich also hauptsächlich von Früchten, Nüssen und Wurzeln. Von Zeit zu Zeit ergänzte ich diesen Speisezettel mit dem rohen Fleisch kleiner Vögel. Aus der Ferne hörte ich plötzlich Lärm. Es klang wie das Brüllen von Männern, begleitet von lautem Scheppern, als würden Pfannen oder Topfdeckel gegeneinandergeschlagen.
Nach kurzer Zeit wurde klar, daß der Krach näherkam.
Ich richtete mich auf und lauschte angestrengt.
Der Lärm kam aus der Richtung des Dorfes. Ich suchte hastig meine Besitztümer zusammen und entfernte mich in entgegengesetzter Richtung.
Schon nach kurzer Zeit erkannte ich, daß ich das schützende Dickicht verlassen mußte, wenn ich diese Richtung beibehielt. Also wandte ich mich nach links.
Doch auch von dort schallte mir gleich darauf der Krach entgegen. Ängstlich machte ich kehrt und begann in die andere Richtung zu laufen. Doch auch von dort war der Radau zu hören.
Aus fast allen Richtungen drang nun das Scheppern und Rufen auf mich ein — und mir wurde klar, daß ich gejagt wurde!
Es blieb nur ein Ausweg: Ich mußte mich zwischen den Treibern durchschleichen.
Der Lärm wurde unerträglich laut. Das Wissen, daß ich gejagt wurde, brachte mich plötzlich um meine Beherrschung. Ich rannte einfach blindlings drauflos.
Doch dann stockte ich. Es waren sehr viele Treiber — zweihundert oder mehr, Bauern, Männer, Kinder und Frauen, die ununterbrochen brüllten und auf ihre Töpfe und Pfannen schlugen. Die Frauen und Kinder trugen Stöcke, die Männer Speere und Harken.
Sie standen zu dicht zusammen — es waren zu viele.
Ein Kind entdeckte mich, stieß einen Schrei aus und hämmerte noch lauter auf seinen Topf ein.
Ich ergriff wieder die Flucht. Es blieb mir nichts anderes übrig als auf das offene Gelände zuzuhalten, der einzigen Richtung, aus der kein Lärm drang.
Im Sonnenlicht des Mittags verließ ich das schützende Dickicht und hetzte in das Gras der offenen Steppe hinaus. Erschöpft blickte ich mich um. Die Bauern waren am Rand des Ka-la-na-Dickichts stehengeblieben.
Ich spähte in die Runde. Vor mir war nichts. Keine starke Bauernburschen, die mich gefangennehmen wollten. Keine Netz Die Landschaft schien unberührt. Ich stieß einen Freudenschrei aus und lief los. Sie hatten mich nur aus dem Dickicht treiben wollen. Ich war frei. Ich legte den Kopf in den Nacken, spürte die Sonnenstrahlen und den Wind.