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Plötzlich fuhr ich mir mit der Hand an den Mund. Am strahlenden Himmel hatte ich einen winzigen Punkt entdeckt. Ich schüttelte den Kopf. Nein, das durfte nicht sein!

Ich blickte zurück. Die Bauern hatten sich nicht gerührt. Der Punkt über mir kreiste. Ich stieß einen Entsetzensschrei aus, wußte ich doch, daß ich der Mittelpunkt des Kreises war den der Tarn beschrieb.

In wilder Verzweiflung hastete ich durch das Gras. Doch der Tarn folgte mühelos meiner Bewegung. Bei einem Blick nach oben sah ich den Helm des Reiters in der Sonne blitzen. Der Vogel stürzte nun mit angelegten Flügeln kreischend herab.

Ich schrie auf und hastete los. Im nächsten Augenblick hörte ich den Schrei des Vogels hinter mir, spürte den Schlag der gewaltigen Flügel. Das Kreischen betäubte mich. Ein Schatten verdunkelte den Himmel.

Die Lederschlinge legte sich um meinen Körper.

In Sekundenbruchteilen hatte sie sich zusammengezogen und fesselte meine Arme, riß mich von den Füßen. Das Gras raste unter mir dahin, und meine Füße berührten den Boden nicht mehr, der unter mir wegfiel, und im nächsten Augenblick hatte ich das Gefühl, die Welt stelle sich auf den Kopf. Es verschlug mir den Atem, als der Tarn aufzusteigen begann; ich keuchte, der Horizont kreiselte wild, und ich schrie, unfähig, mich festzuhalten. Ich spürte, wie ich ein Stück durch die Schlinge glitt, der Boden lag schon so tief unter mir, und ich hing nur an einem dünnen Lederseil.

Ich schrie entsetzt, als das Lasso noch ein Stück nachgab. Dann bewegte es sich nicht mehr, sondern schnitt mir nur tief ins Fleisch. Das Gewicht meines Körpers hielt mich fest.

Der Tarn begann in Kreisen aufzusteigen, und ich baumelte unter dem Tier, fast hundertundfünfzig Meter über dem Boden.

Ich spürte, wie ich Zentimeter um Zentimeter hochgezogen wurde. Das Seil grub sich noch tiefer in meine Haut. Ich konnte mich nicht rühren, dabei hätte ich mich am liebsten an dem Seil festgeklammert. Aufblickend sah ich die gewaltigen Krallen des Tarn, die sich über mir gegen den mächtigen Vogelkörper preßten, darüber das Leder eines Tarnsattels und das Bein eines Mannes.

Gleich darauf hielt er mich in den Armen. Ich sah seine Augen durch den Schlitz seines Helms. Er schien amüsiert zu sein. Er lachte. Es war ein wildes, dröhnendes Lachen, das Lachen eines Tarnkämpfers. Er entfernte das Lasso. Auf dem Sattel vor ihm sitzend, die Arme um seinen Hals gelegt, klammerte ich mich fest, voller Angst, daß ich fallen könnte. Er rollte das Seil zusammen und befestigte es am Sattel. Dann löste er meine Arme von seinem Hals.

»Leg dich vor mich auf den Sattel«, befahl er.

Ich gehorchte zögernd.

Er beugte sich über mich, fesselte mir mit geübten Bewegungen Arme und Fußgelenke und machte die Fesseln an Ringen seines Sattels fest. So lag ich hilflos vor ihm.

Er versetzte mir einen Klaps und stieß wieder ein lautes Lachen aus. Ich verfluchte mein Mißgeschick, wandte den Kopf zur Seite und begann zu weinen. Alles war umsonst gewesen.

Nach einiger Zeit merkte ich, daß der Tarn wieder zur Landung ansetzte. Ich vermochte kaum zu atmen. Mit einem schmerzhaften Ruck setzte das Tier auf.

Ich sah, daß wir auf dem Marktplatz eines Dorfes niedergegangen waren. In der Ferne sah ich ein gewaltiges Ka-la-na-Dickicht. Bauern umringten uns. Als ich den Kopf drehte, sah Männer mit Speeren und Keulen.

»Wie ich sehe, hast du sie, Krieger«, sagte ein großer bärtiger Bauer in einer groben Reptunika.

»Ihr habt sie geübt ins Freie getrieben«, sagte der Krieg »Seid bedankt.« Ich stöhnte auf.

»Ein geringes Entgelt für die vielen Gefallen, die du uns erwiesen hast.« »Sie hat uns gestern nacht Fleisch gestohlen«, sagte ein anderer. »Gib sie uns, Herr, damit wir das Miststück prügeln!« eine Frau. Ich begann zu zittern.

»Was kostet das Fleisch?« fragte der Krieger und zog seine Geldbörse. Die Dorfbewohner schwiegen.

Der Tarnkämpfer nahm zwei Münzen heraus und warf sie dem bärtigen Dorfbewohner zu.

»Vielen Dank!« riefen die Umstehenden.

»Wenn sie verprügelt wird«, sagte der Krieger mit dröhnender Stimme, »dann von mir!«

Gelächter klang auf, und ich zerrte hilflos an meinen Fesseln »Ich wünsche euch alles Gute!« rief der Tarnkämpfer und zog am ersten Zügel.

»Wir wünschen euch alles Gute!« rief die Menge zurück. Der Vogel erhob sich mit gewaltigem Schrei in die Luft; der Sattel preßte sich gegen mich, und ich sah, wie das Dorf unter uns zurückblieb. Mit majestätischen Flügelschlägen stieg der Tarn den Wolken entgegen. Wir rasten am Himmel dahin. Ich spürte den Wind am Körper mein Haar flatterte im Luftzug. Noch nie war ich mir so hilflos vorgekommen. Ich wußte nicht, wohin wir flogen, welche Richtung wir eingeschlagen hatten. Ich wußte nur, daß mir die Sklaverei drohte. Während des Fluges hatte mich der Mann kritisch gemustert hätte mein Brandzeichen am Bein gesehen und kopfschüttelnd festgestellt, daß ich durchstochene Ohren hatte. Einmal sagte er »Wir überqueren gerade den Vosk.«

Da wußte ich, daß wir uns über dem Gebiet Ars befanden, über dem Streifen der Verwüstung, einem kahlen Gebiet, das vor Jahren im Norden Ars von aller Vegetation gesäubert worden war, um eine natürliche Barriere zu bilden, eine Mauer des Hungers und des Dursts, die einen guten Schutz vor Invasionen aus dem Norden oder vor Übergriffen der Voskpiraten bot. Unter der Herrschaft Marlenus’ war dieser Landstreifen absichtlich in Ruhe gelassen worden, damit er wieder zuwuchs. Zur Absicherung hatte Marlenus eine Flotte schneller Voskgaleeren ausgeschickt, um die an sein Ubarat grenzenden Wasserläufe von Piraten zu säubern. Andere Städte im Norden beobachteten besorgt, wie der kahle Landstrich sich wieder belebte. Im Gegensatz zu Ar fürchteten sie um ihre Grenzen. Marlenus dagegen, der als Ubar aller Ubars bezeichnet wurde, hatte einen großen Ehrgeiz. Es würde bald wieder möglich sein, eine Landarmee mühelos nach Süden in Richtung Ar zu führen. Aber gleichermaßen war es Ar möglich, eine Streitmacht in den Norden zu bringen, an das Ufer des Vosk. Traditionsgemäß wurde das Nordufer dieses Flusses von mehreren Städten, so auch von Ar, beansprucht.

Eine Ahn nach der anderen zog der Tarn durch den Himmel. Mein Häscher fütterte mich zwischendurch mit Sa-Tarna-Brot, ohne mich loszumachen. Auch schob er mir den gekrümmten Schnabel einer Lederflasche zwischen die Zähne. Ich hätte mich fast an dem Wasser verschluckt.

Ich betrachtete verstohlen den Krieger, der mich gefangengenommen hatte. Er hatte einen gewaltigen Brustkasten und breite Schultern. Seine Arme waren muskulös und kräftig. Er trug eine Kampfuniform aus rotem Leder. Sein Helm mit dem ›Y‹-Schlitz war grau. Nirgendwo waren die Insignien seiner Heimatstadt zu sehen, so daß ich zu vermuten begann, er sei ein Söldner oder Gesetzloser.

Ich hatte keine Ahnung, was aus mir werden sollte. Er flößte mir Angst ein; außerdem hatte ich das unbestimmte Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben.

»Bist du ein Söldner Haakons aus Skjern?« fragte ich leise. »Nein«, sagte er.

»Willst du ... mich behalten?«

»Eine dreckige kleine Kajira, die den Bauern Fleisch stiehlt? Und die durchstochene Ohren hat? Daß ich nicht lache!«

Ich schloß die Augen. Wahrscheinlich hatte dieser Krieger schon viele Frauen nach Hause gebracht, neben denen ich mich mager ausnahm. Er hatte sicher kaum mehr Interesse an mir als an einem Stück Fleisch, das er in seinen Besitz gebracht hatte. »Ich sollte dich an einen Hausierer verkaufen«, fuhr er »Oder ich hätte dich den Dorfbewohnern überlassen sollen.«

»Bitte verkauf mich in Ar!« flehte ich. »Ich bin von weißer Seide.« »Du bist es nicht wert, in Ar versteigert zu werden«, sagteer. Ich sah, daß er dabei grinste.

»Ich bin von weißer Seide!« sagte ich verzweifelt. »So bringe ich dir mehr Geld!«

»Du mißverstehst mich«, sagte er, »wenn du glaubst, ich interessiere mich nur für Gold!«

Plötzlich fuhr er zusammen. Ein Armbrustpfeil zischte vorbei. Im nächsten Augenblick hatte mein Häscher seinen Schild vom Sattelhaken gerissen und den Tarn herumgerissen. Mit wildem Kriegsgeschrei stellte er sich seinem Gegner.