Wenige Zentimeter entfernt raste plötzlich ein zweiter Tarn vorbei, und ich hörte das gewaltige Knirschen eines breiten Bronzespeers, der in das Boskleder am Schild meines Häschers fuhr. Der andere Tarn raste davon, und sein Reiter, der sich in den Steigbügeln aufgestellt hatte, versuchte seine Armbrust zu spannen, einen Pfeil in den Zähnen haltend.
Mein Krieger ging sofort zum Angriff über und gab dem anderen keine Gelegenheit, die Armbrust wieder schußfertig zu machen.
Als uns noch wenige Meter von dem anderen Vogel trennte warf der Gegner seine Armbrust fort und packte seinen Schild. Mein Krieger richtete sich in den Steigbügeln auf und warf seinen großen Speer, der den Schild des anderen glatt durchbohrte. Hätte sich der andere nicht im Sattel festgebunden, wäre er von der Wucht des Aufpralls in die Tiefe gerissen worden.
Er fluchte. »Für Skjern!« brüllte er.
Wieder umkreisten sich die beiden Tarns.
Und wieder stieß der andere mit seinem Speer zu, der wie zuvor vom Schild meines Häschers abgelenkt wurde. Noch zwei Angriffe flog der fremde Krieger, und jedesmal lenkte der Schild die Speerspitze ab, Zentimeter von meinem Körper entfernt. Mein Tarnkämpfer versuchte dem anderen so nahe zu kommen, damit er das Schwert einsetzen konnte.
Wieder zuckte der Speer vor, doch mein Tarnkämpfer nahm die Spitze diesmal voll mit dem Schild auf. Plötzlich fuhr unmittelbar über mir die bronzene Spitze durch den Schild, und ich schrie auf. Mein Häscher lenkte seinen Vogel fort, während sein Gegner, der nun ebenfalls sein Schwert gezogen hatte, nachdrängte. Mein Häscher hatte seinem Gegner den Speer abnehmen wollen, der eine größere Reichweite hatte — doch dabei war er in seiner Verteidigung behindert. Mit unglaublicher Kraft zerrte er den Speer aus dem Schild, doch zugleich raste der Tarn des anderen heran, die Klinge zuckte nach unten, traf auf den mächtigen Speerschaft und ließ ihn zersplittern. Er schlug noch zweimal zu, und der Speer löste sich vom Schild. Mein Häscher hielt nun den Schild vor sich und über meinen Körper, und ich hörte die Klinge des anderen zweimal zuschlagen. Dann hatte mein Krieger sich wieder seines Schwerts bemächtigt, doch der andere zog fluchend seinen Tarn hoch, und lange Krallen fuhren herab, griffen nach uns. Ich hörte, wie die spitzen Greifer über den Schild scharrten, den mein Häscher in die Höhe stemmte, um den Vogel abzuwehren. Die Krallen schlossen sich um den Schild und rissen ihn meinem Häscher aus der Hand. Der andere Tarn verschwand, ließ den Schild fallen. »Gib sie mir!« hörte ich den anderen schreien.
»Ihr Preis ist Stahl!« lautete die Antwort.
Wieder rasten die beiden Tarns aufeinander zu, flogen Seite an Seite dahin, während über meinem Kopf die Schwerter blitzten und zu entscheiden versuchten, wem ich gehören sollte.
Die Tarns begannen nun ihrerseits mit den Schnäbeln aufeinander einzuhacken, wutkreischend, mit mächtig schlagenden Flügeln. Ich wurde hilflos hin und her geworfen. Manchmal hatte ich den Eindruck, in der Luft stehenzubleiben, so heftig warfen sich die Vögel herum, in ihrem natürlichen Element.
Die Männer kämpften verzweifelt, doch keiner gewann die Oberhand. Mit einem lauten Schrei der Wut oder der Verzweiflung zuckte die Klinge des anderen plötzlich in meine Richtung. Doch das Schwert meines Häschers fuhr dazwischen. Einen Zentimeter vor meinem Gesicht entfernt vermochte er die Klinge des anderen aufzuhalten. Der Schlag hätte mir den Kopf gespalten.
Blut strömte mir übers Gesicht — ich wußte nicht, ob es mein eigenes Blut war.
»Sleen!« fauchte mein Häscher. »Jetzt habe ich genug mit dir gespielt!« Wieder blitzten über mir die Schwerter auf, und ich hörte einen Schmerzensschrei, und plötzlich drehte der andere Tarn ab, und der Reiter, der sich die Schulter hielt, taumelte im Sattel. Sein Tarn flog unsicher hin und her und ergriff schließlich Flucht. Mein Krieger verfolgte ihn nicht.
Er sah mich an und begann zu lachen. Dann zog er seinen Tarn herum, und wir setzten unsere Reise fort. Ich sah, daß er am linken Arm über dem Ellbogen verletzt war; aus dieser Wund stammte das Blut, das mir über das Gesicht gelaufen war. Die Wunde war aber nicht tief. Er bemerkte meinen besorgten Blick und grinste. »Das war dein Freund«, sagt er. »Haakon aus Skjern.« Ich starrte ihn entsetzt an. »Wie kommt es, daß du ihn kennst?«, fragte er.
»Ich war seine Lieblingssklavin«, log ich.
»Aha«, bemerkte er. »Es kommt mir aber unwahrscheinlich vor, daß Haakons Lieblingssklavin von weißer Seide sein soll Außerdem weist dich dein Akzent als Barbarin aus.«
»Aber ich bin ausgebildet!« rief ich.
»Ich weiß«, sagte er, »in den Gehegen Ko-ro-bas.« Er lacht »Du bist El-in-or«, fuhr er fort, »ehemals Sklavin des Targo aus dem Dorf Clearus im Reiche Tor. In den Gehegen war allgemein bekannt, daß du deinen Käfig nicht saubergemacht hast und das du eine Lügnerin und Diebin warst.« Er klatschte mir auf de Hintern. »Ja«, sagte er, »ich habe mir da ein hübsches Exemplar gefangen. Was kann man an dir nur für einen Gefallen haben?« »Du hast mich schon einmal gesehen?« fragte ich. »Und willst mich in deinen Vergnügungsgarten führen?«
»Ja.«
»Du hast mich gesucht?« fragte ich.
»Ja«, sagte er grinsend. »Ich habe dich tagelang gejagt.« Ich wandte den Kopf, um meinen Kummer vor ihm zu verbergen. Die ganze Zeit war mir dieser brutale Kerl auf der Spur gewesen, dieses Ungeheuer mit seinem unverschämten Lachen. Wie hatte ich nur hoffen können, die Freiheit zu gewinnen!
»Du hast mich im Gehege von Ko-ro-ba gesehen?« fragte ich. »Ja.«
»Wer bist du?«
»Kennst du mich nicht?«
»Nein«, sagte ich.
Er hob beide Hände und setzte seinen Helm ab.
»Ich kenne dich nicht«, flüsterte ich.
Ich hatte Angst. Sein Gesicht verriet eiserne Entschlossenheit. Seine dunklen Augen waren wild, sein Haar eine mächtige Mähne. Dieser Kerl würde kurzen Prozeß mit mir machen und seinen Willen durchsetzen. Ich begann zu zittern.
Ich begriff plötzlich, wie töricht meine Träume in den Gehegen Ko-ro-bas gewesen waren. Wie hatte ich je hoffen können, meinen Herrn zu erobern, ihn durch die Verweigerung meiner Gunst bezwingen zu können und ihn zu einem Sklaven meiner Wünsche zu machen! Ein Mann dieses Kalibers wußte, was er wollte, und ließ sich nicht beirren, geschweige denn um den Finger wickeln.
Ich erkannte, daß er mir überlegen war. Das hatte nichts mit der Tatsache zu tun, daß ich gefesselt vor ihm im Sattel lag, als seine Gefangene. Nein, von der Persönlichkeit her war ich ihm nicht gewachsen.
»Du erkennst mich also nicht?« lachte er.
»Nein«, versicherte ich.
Er befestigte seinen Helm am Sattel und zog eine Lederrolle aus der Satteltasche. Er wand sich den Streifen um den Kopf, so daß sein linkes Auge bedeckt war.
Da erinnerte ich mich an die große Gestalt in blau-gelber Seide. »Soron aus Ar!« rief ich.
Er lächelte, entfernte das Leder und steckte es wieder in die Satteltasche.
»Du bist der Sklavenhändler Soron aus Ar!« sagte ich.
Ich erinnerte mich, wie ich vor ihm gekniet und ihm gesagt hatte: »Kaufe mich, Herr!«, was er mit einem knappen »Nein!« beantwortet hatte. Und hinterher hatte er mich angesehen, und ich hatte ärgerlich den Kopf abgewandt, von einem seltsamen Gefühl der Schwäche übermannt. Und ich erinnerte mich, daß ich am Abend vor unserer Abreise aus Ko-ro-ba von ihm geträumt hatte.
Nun lag ich vor ihm, als seine Gefangene.
»Als ich dich zum erstenmal sah, habe ich beschlossen, dich an mich zu bringen. Und als du mich ansahst und dann ärgerlich den Kopf hochwarfst, wußte ich, daß ich nicht ruhen würde, bis ich dich besaß.« Er lächelte. »Für deinen Hochmut wirst du mir bezahlen, meine Liebe.« »Was hast du mit mir vor?« fragte ich.
Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich behalte ich dich eine Zeitlang — und wenn ich deiner überdrüssig bin, verkaufe dich.« »Verkaufe mich in Ar!« sagte ich. »Ich bin Gold wert!«