15
»Ute!« rief ich überrascht.
Der Wächter stieß mich so heftig, daß ich vor ihr in den Sand fiel. Entsetzt blickte ich zu ihr auf. An der Schläfe, dort wo ich sie mit dem Stein getroffen hatte, war die Haut noch verfärbt.
»Ich dachte . . .«, flüsterte ich.
Sie stand vor dem langen niedrigen Schuppen, dessen Tür offenstand. Ich hatte ihn für ein Vorratsgebäude gehalten, doch ich erkannte nun, daß es sich um einen Schlafraum für Sklavinnen handelte. Wahrscheinlich sollte ich hier unterkommen.
»Du trägst einen Kragen«, sagte Ute.
»Ja«, flüsterte ich.
Ich kniete mit gesenktem Kopf vor ihr im Sand.
»Ich bin am ersten Tag meiner Gefangenschaft Rask in die Hände gefallen«, sagte Ute. »Plötzlich stand er vor meinen beiden Häschern und sagte: ›Ich bin Rask aus Treve. Ergebt ihr euch ? Die beiden wählten das Leben und ließen ihre Waffen stecken. Rask vertrieb ihre Tarns und verschwand mit mir aus dem Lager. Die Wanderung zurück zu Haakon wird lang werden für die beiden. Rask aus Treve brachte mich in dieses Lager, wo er mich zu seiner Sklavin machte.« »Du trägst das Armband der Ersten Arbeitssklavin«, sagte ich »Die oberste Arbeitssklavin war kurz vor meiner Ankunft verkauft worden. Die anderen Mädchen waren zerstritten, und da ich neu war und keine Anhängerinnen hatte und da Rask mir aus irgendeinem Grund vertraute, machte er mich zum Ersten Mädchen hier.«
»Soll ich Arbeitssklavin sein?«
»Hast du erwartet, ins Zelt der Frauen zu kommen?« fragt Ute lachend. Ich senkte den Kopf.
»Wie ich höre, wurdest du südwestlich von Rorus gefangengenommen. Du hast also weiter nach meinem Heimatdorf gesucht? «
»Nein!« rief ich.
»Und von dort wolltest du dich zur Insel Teletus durchschlagen, um meine Adoptiveltern aufzusuchen, ja?«
Ute packte mich an den Haaren und zerrte mir den Kopf zurück, damit ich sie ansehen mußte. »Wer hat Ute verraten?« fragte sie. Ich brachte vor Entsetzen kein Wort heraus.
»Wer?« fragte sie und zerrte wild an meinen Haaren. »Ich!« rief ich. »Wertlose Sklavin«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte Rask aus Treve. Schluchzend schloß ich die Augen. »Wie du gesagt hast«, fuhr Rask fort. »Sie ist wertlos. Eine Diebin und Lügnerin.«
»Und doch gibt es viele Arbeiten für eine solche Sklavin«, sagte Ute. »Sorge dafür, daß sie immer genug zu tun hat.« Und mit diesen Worten schritt der Krieger davon.
Ich blickte Ute an und schüttelte den Kopf. »Du hast ihm alles erzählt«, flüsterte ich.
»Er hat mir befohlen, zu sprechen«, erwiderte sie. »Und als Sklavin mußte ich ihm antworten.«
Ich schüttelte den Kopf. »Bin ich wirklich eine Arbeitssklavin — unter deinem Kommando?« »Ja«, sagte sie.
»Ute!« rief ich. »Ich wollte dich nicht verraten! Ich hatte Angst. Verzeih mir!«
»Geh in den Schuppen«, sagte Ute barsch. »Heute abend gibt es Arbeit für dich. Morgen bekommst du zu essen — das ist früh genug.« Weinend stand ich auf und trat in den dunklen Schuppen. Ute verriegelte die Tür hinter mir. In der Dunkelheit alleingelassen, verlor ich plötzlich die Nerven. Ich warf mich zu Boden, hämmerte mit den Fäusten auf die festgetretene Erde. »Ute!« schluchzte ich. »Ute!«
Nach einiger Zeit kroch ich an eine Stelle neben der Tür, hockte mich mit hochgezogenen Knien hin und betastete den Stahlkragen, der sich nackt und glatt um meinen Hals zog. In der Dunkelheit roch ich das goreanische Parfüm, mit dem man mich betupft hatte.
Ute war nicht besonders grausam zu mir, wie ich befürchtet hatte. Sie behandelte mich gerecht, genau wie die anderen Mädchen. Sie schien vergessen zu haben, daß ich sie niedergeschlagen und schmählich an die Sklaventreiber Haakons aus Skjern verraten hatte.
Ich arbeitete viel, doch nicht mehr als die anderen Mädchen. Ute ließ es jedoch nicht zu, daß ich mich drückte. Einige Sklavinnen, die sich bei ihr einschmeicheln wollten, wurden kühl abgewiesen, was mich mit Befriedigung erfüllte. Ute hielt sich von uns zurück. Sie schlief nicht einmal bei uns, sondern im Küchenschuppen. Wir respektierten und fürchteten sie. Wir führten ihre Befehle aus. Und doch mochten wir sie nicht, denn sie war unsere Vorgesetzte.
Oft waren die Tarnreiter Rasks tagelang unterwegs. In solche Zeiten war es sehr ruhig im Lager. Sie gingen ihrem Beruf nach — sie griffen an, plünderten und fingen Sklaven.
Irgendwann rief dann ein Mädchen: »Sie kommen zurück« und wir eilten in die Mitte des Lagers und begrüßten die Zurückkehrenden. Ich selbst ließ mir meine Gefühle nicht anmerken doch auch ich spürte eine gewisse Begeisterung beim Anblick der zurückkehrenden Tarns. Eine großartige Szene! Besonders berührte mich der Anblick des Anführers, des mächtigen, lachenden Rask, dessen Lasso ich gespürt hatte, dessen Kragen ich trug Einmal blickte mich Rask an, als er aus dem Sattel stieg, sah mich inmitten der Arbeitssklavinnen stehen, und ein unbeschreibliche Gefühl erfüllte mich. Ich hob die Hand an den Mund. Wenn die Tarnkämpfer ihre Beute abgeladen hatten, gab es meistens ein großes Fest. Dabei mußte ich oft bedienen, doch wenn es Zeit wurde für die Tänze der Sklavinnen, wurde ich in den Schuppen zurückgeschickt, wo man mich allein einschloß.
»Warum darf ich nie tanzen?« fragte ich einmal. Im nächsten Augenblick hätte ich mir die Zunge abbeißen mögen. Wie hatte Elinor Brinton eine solche Frage stellen können?
»Niemand hat nach dir gefragt«, sagte Ute und schloß mich im Schuppen ein.
Ich lag in der Dunkelheit und hörte von fern die Musik und das Lachen. Niemand hatte nach mir gefragt, niemand wollte mich.
Wie froh ich war, dem wilden Treiben zu entgehen! Ich freute mich, das rauhe Schicksal der anderen Sklavinnen nicht teilen zu müssen. Dennoch kochte ich vor Wut, kratzte Dreck und Steine vom Boden auf und warf damit gegen die Schuppenwände.
Zur vierten oder fünften Stunde kehrten die Mädchen in den Schuppen zurück. Sie lachten und unterhielten sich aufgeregt miteinander. Ich war froh, daß mich niemand wollte, trotzdem weinte ich.
Manchmal kamen Besucher ins Lager, Männer, die Rask in Freundschaft verbunden waren. Im allgemeinen handelte es sich um Kaufleute. Einige brachten Vorräte und Wein. Andere kauften die Beute der Tarnkämpfer auf. Mehrere Arbeitskolleginnen wurden verkauft, und neue Sklavinnen nahmen ihren Platz ein.
Wenn ich es einrichten konnte, ging ich an Rasks Zelt vorbei. Dabei sah ich manchmal ein wunderschönes dunkelhaariges Mädchen in roter Seide, manchmal andere Mädchen in kurzer Seidenkleidung. Offenbar hatte Rask stets eine große Anzahl von Frauen um sich. Er war es seinem Ruf schuldig.
Ich haßte ihn!
Eines Nachmittags kehrten Rask und seine Männer von einem Ausflug in den Norden zurück. Sie hatten das Lager ihres alten Feindes Haakon aus Skjern überfallen.
Zu den erbeuteten Sklavenmädchen gehörten auch Inge und Rena aus Lydius. Ich freute mich sehr, daß ich endlich weitere Bekannte im Lager hatte.
Wie ich verbrachten sie die erste Nacht im Zelt der Frauen, erhielten dann ihren Sklavenkragen.
Wie sehr sich die beiden freuten, unter Utes Kommando gestellt zu werden! Aber Ute behandelte sie genauso hart wie alle anderen, was sie zuerst gar nicht verstanden. Ich führte Rena und Inge und die anderen Neuen schließlich in den Schuppen, wo ich ihnen Arbeitstuniken aus braunem Reptuch aushändigte. Ich hatte diese Kleidungsstücke erst vor einigen Tagen mühsam gewaschen und gebügelt. Dann führte ich die neuen Sklavinnen zurück zu Ute, die die Anweisungen für die Tagesarbeit gab.
Vier Tage nach Ankunft Inges, Renas und der anderen Mädchen kehrten Rask und seine Truppe wieder einmal von einem Beutezug zurück. Wieder herrschte große Aufregung im Lager.
»Mach zuerst deine Arbeit fertig«, sagte Ute.
»Ute!« rief ich.
»Weitermachen!« herrschte sie mich an.
Ich saß hinter dem Küchenschuppen und bügelte. Links von mir lag ein großer Haufen von Arbeitstuniken, die ich am frühen Morgen gewaschen hatte. Das Bügelbrett stand auf zwei Holzblöcken vor mir. In Griffweite hatte ich eine Schale mit Wasser, und über einem Feuer standen auf einer Eisenplatte fünf kleine, flache goreanische Bügeleisen, mit denen ich den Stoff glattstrich.