Von hier aus hatte ich die Landung der Tarns nicht beobachten können. Ich hörte jedoch die Freudenrufe der Mädchen und die lauten Antworten der Männer.
Ein Mädchen rief: »Wie schön sie ist!«
Wahrscheinlich war eine neue Sklavin ins Lager gebracht worden. Wütend drückte ich ein Bügeleisen auf den Stoff. Ich mußte hinter dem Schuppen arbeiten, während die anderen zusehe durften.
Nach und nach ließ der Lärm nach. Die Männer waren abgestiegen und brachten nun bestimmt die Gefangenen in das Zelt der Frauen, während die Mädchen langsam an die Arbeit zurück kehrten.
Ich bügelte weiter.
Etwa eine Viertel-Ahn später merkte ich, daß jemand vor stand. Ich bemerkte zwei schmale, gebräunte Fußgelenke und darüber den knappen Fellanzug eines Panthermädchens.
»Sie scheint dich zu kennen«, sagte Rask aus Treve, als ich die Augen aufriß.
»Wer ist sie?« fragte Verna.
»Eine meiner Sklavinnen«, erwiderte Rask achselzuckend.
»Du kennst mich doch, nicht wahr, Mädchen?«
Ich schüttelte heftig den Kopf.
Verna trug keinen Sklavenkragen. In ihrem Gürtel steckte ein Sleenmesser. Rask stand neben ihr. Sie war offensichtlich frei, war nicht einmal eine Gefangene, geschweige denn eine Sklavin. War sie Gast in Rasks Lager?
»Wir kennen uns, o ja«, sagte Verna. »Zuerst sahen wir vor Targos Lager, nördlich von Laura. Sie hat mich mißhandelt – als ich in Marlenus’ Gewalt war.«
Ich senkte den Kopf.
»Sollen wir sie auspeitschen lassen?« fragte Rask.
»Nein«, sagte Verna. »Sie ist ja nur eine Sklavin.«
»Ich werde besonders auf dich achten, Sklavin«, sagte Rask. »Daß mir keine Klagen kommen! Und jetzt will ich dir den Rest des Lagers zeigen«, wandte er sich an Verna.
Verna sah mich an. »Laß dich nicht stören bei der Arbeit«, sagte sie und ging mit Rask davon.
An diesem Abend schlich ich mich nach dem Essen fort und eilte zum Zelt der Frauen.
»Ena!« flüsterte ich durch die Zeltplane.
Ena kam ins Freie und hockte sich neben mir ins Gras. »Was gibt es?« »Wir haben da eine neue Frau, eine freie Frau im Lager«, sagte ich. »Ja, Verna, ein Panthermädchen aus den Nördlichen Bergen.« »Wie kommt es, daß sie hier ist?« fragte ich.
Ena lächelte. »Komm mit.« Sie führte mich durch das Lager, bis wir zu einem kleinen Zelt kamen. Davor saßen zwei stämmige Jäger an einem kleinen Feuer.
»Die beiden gehörten zu Marlenus’ Jagdgesellschaft!« flüsterte sie. Ich erkannte die Männer, hatte ich sie doch im Kaufmannsfort wie auch auf den Straßen Ko-ro-bas gesehen.
Die beiden wurden von zwei Sklavenmädchen bedient, von Inge und Rena, die an ihrer Aufgabe großen Spaß zu finden schienen. »Das sind Raf und Pron, Jäger aus Treve«, sagte Ena. »Auf Befehl Rasks haben sie sich in Ar eingeschlichen. Sie behaupteten, sie stammten aus Minus, einem Dorf, das Ar untersteht, und stellten sich beim Waidwerk so geschickt an, daß sie Karriere machten und schließlich in das Gefolge des großen Ubar aufgenommen wurden.« Sie lächelte mich an. »Treve hat seine Spione überall.«
»Und die beiden haben Verna befreit«, sagte ich.
»Ja, sie befreiten sie und flohen zu einem vorher vereinbarten Treffpunkt, wo Rask aus Treve und seine Männer warteten, um sie hierherzubegleiten.«
»Aber warum wollten sie Verna befreien?« fragte ich.
»Verna ist als Gesetzlose auf Gor berühmt«, sagte Ena. »Sobald bekannt wurde, daß Marlenus Jagd auf sie machen wollte, gab Rask Befehl, daß Raf und Pron sich bei seinem Gefolge bewerben sollten.« »Aber warum?« fragte ich.
»Damit sie Marlenus seine Beute abnehmen konnten, falls er Erfolg hatte.«
»Den Grund verstehe ich immer noch nicht.«
»Weil die Gefangennahme einer solchen Frau viel Ruhm bringt«, sagte Ena, »und viel Spott, wenn sie dann wieder entkommt.«
»Du meinst, sie ist nur befreit worden, um Marlenus seine Beute vor der Nase wegzuschnappen?«
»Natürlich, denn Ar und Treve sind verfeindet«, sagte Ena. Ihre Augen blitzten, und ich hatte keinen Zweifel, auf welcher Seite ihre Sympathien lagen.
»Ist das nicht ein gewaltiger Schlag für Marlenus?« fragte sie »Ja«, sagte ich.
»Und wie kühn es von meinem Herrn ist, sein Lager mitten im Reiche Ars aufzuschlagen!«
»Ja«, flüsterte ich und spürte zum erstenmal etwas von der Ehre, die diesen mächtigen Kriegern wichtig war.
»Was ist mit den anderen Mädchen aus Vernas Gruppe?« fragte ich. »Die sind bei Marlenus geblieben.«
»Oh«, sagte ich erleichtert.
»Rask aus Treve haßt Marlenus aus Ar«, sagte Ena.
Ich nickte.
»Hast du das dunkelhaarige Mädchen gesehen, das manchmal sein Zelt versorgt?«
»Ja«, erwiderte ich. Sie war eine unglaublich schöne Sklavin, schöner noch als Ena, ein Mädchen mit olivenfarbener Haut einer atemberaubenden Figur. Sie hätte auf jedem Sklavenmark einen Spitzenpreis erzielt.
»Weißt du, wer sie ist?« fragte Ena lächelnd.
»Nein.«
»El-in-or!« rief Ute in diesem Augenblick. »In den Schuppen!« Erschrocken sprang ich auf und hastete durch das Lager, um im Schuppen eingeschlossen zu werden.
Ich sollte bald erfahren, wer das schöne dunkelhaarige Mädchen war. Verna erhielt ihr eigenes Zelt im Lager. Sie aß zumeist mit Rask zu Abend. Oft forderte das Panthermädchen mich an, um sie im Zelt zu bedienen und ihr das Essen zu bereiten. Aber sie war nicht grausam zu mir. Ich gab mir Mühe, ihr unauffällig zu dienen, doch sie ignorierte mich die meiste Zeit. Das war mir recht.
Eines Abends, als Rask mit neuen Gefangenen zurückgekehrte war, feierte Verna zusammen mit ihm in seinem Zelt, und ich erhielt den Auftrag, die beiden zu bedienen. Andere Mädchen hatten das Mahl zubereitet, das für ein Kriegslager bemerkenswert reichhaltig ausfiel und sogar einen Gang Austern enthielt. Ich trug das Essen auf, schenkte Wein nach und hielt die Krüge gefüllt, wobei ich mich nach Möglichkeit im Hintergrund hielt.
Die beiden unterhielten sich über die Jagd und den Krieg und die Nördlichen Wälder, als gebe es mich nicht.
Verna saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sessel wie ein Mann. Plötzlich warf sie mir eine Auster zu. »Iß, Sklavin!«
Ich gehorchte. Durch ihre Geste bedeutete sie mir, daß ich nun essen könnte.
»Danke, Herrin«, sagte ich.
Rask war gut gelaunt. Er warf mir ein Stück Fleisch zu, das ich hastig hinunterschlang. Dann gab mir mein Herr ein Zeichen, näherzukommen. Ich gehorchte, und er reichte mir seine Weinschale.
»Ich habe eine Überraschung für dich«, sagte Rask zu Verna. »Und das wäre?« fragte sie.
Rask klatschte in die Hände, und vier Musiker traten ein, die draußen gewartet hatten. Sie nahmen Platz. Zwei hatten kleine Trommeln, einer eine Flöte, der vierte ein Zupfinstrument.
Nun klatschte Rask noch mal in die Hände, und das dunkelhaarige Sklavenmädchen stand vor ihm. Ihre olivenfarbene Haut schimmerte im Licht der Lampen. Glöckchen waren an ihren Armen und Fußgelenken befestigt.
»Tanz uns was vor, Talena«, sagte Rask aus Treve.
Das Mädchen begann sich zu bewegen.
»Sie ist gar nicht schlecht«, sagte Verna.
»Kennst du sie?« fragte Rask aus Treve kauend.
»Nein«, erwiderte Verna.
»Sie ist Talena, Tochter des Marlenus aus Ar.«
Verna starrte ihn verblüfft an, begann dann schallend zu lachen und klatschte sich mit den Händen auf die Knie. »Großartig!« rief sie. Die Musik wurde schneller und brannte wie eine Flamme im Körper des Mädchens.
»Schenk sie mir!« sagte Verna.
»Vielleicht«, sagte Rask aus Treve.
»Ich bin ein Feind des Marlenus!« rief Verna. »Überlaß sie mir.« »Auch ich bin sein Feind«, sagte Rask.
»Ich will ihr beibringen, was es bedeutet, in den Nördlichen Wäldern versklavt zu sein!« sagte Verna.