Erst am achtzehnten Tag kam Ute in Begleitung Inges und Renas zu meinem Gefängnis und öffnete die Tür.
»Löst ihre Fesseln«, befahl Ute.
Als die Tür aufschwang, kroch ich mühsam auf Händen und Knien ins Freie. Dann brach ich vor Schwäche zusammen.
»Wascht die Sklavin«, sagte Ute angewidert zu Inge und Rena Ich schrie vor Schmerz auf, als mich Inge und Rena ausstreckten und mich wuschen. Sie verzogen angeekelt die Gesichter, denn ich stank nach Schweiß und Kot.
Als Inge und Rena fertig waren, trug mich ein Wächter in den Schuppen der Arbeitssklavinnen. Am nächsten Tag blieb ich dort und erhielt Suppe eingeflößt, später leichte Nahrung und Wasser. Als ich wieder einigermaßen zu Kräften kam, war meine erste Aufgabe, den Sklavenkasten zu reinigen. Als ich das erledigt und mich wieder von Kopf bis Fuß gereinigt hatte, erhielt ich endlich wieder die Tunika einer Arbeitssklavin. Am späten Nachmittag wurde ich mit Techne wieder hinausgeschickt, um Rambeeren zu pflücken. Diesmal stahl ich keine Früchte und aß auch nicht heimlich davon.
Man begegnete mir im Lager mit Verachtung und Belustigung. Nun hatte ich nicht nur durchstochene Ohren, sondern trug auch die Straf-Male, Zeichen der Schande.
Zwei Wochen nach meiner Freilassung kam Rask aus Treve in Begleitung Vernas in meiner Nähe vorbei. Ich kniete nieder und neigte den Kopf. Doch sie beachteten mich nicht.
In dieser Zeit hatten die Tarnkämpfer bei ihren Unternehmungen wenig Glück. Sie hatten Verluste, und oft kehrten sie ohne Beute zurück. Ähnlich betrüblich verliefen meine Tage. Ich mußte früh aufstehen und hart arbeiten. Nach dem Abendessen wurde ich im Arbeitsschuppen eingeschlossen, nur um am nächsten Morgen früh wieder herausgerufen zu werden.
Ich arbeitete stumm und konzentriert und unterhielt mich selten mit den anderen Mädchen, die sich auch nicht oft an mich wandten. Obwohl ich meistens in einer Gruppe arbeitete, war ich immer allein. Wenn die anderen bei der Arbeit sangen oder sich die Zeit mit Spiel und Spaß vertrieben, saß ich abseits und machte nicht mit. Ich arbeitete gut, vermutlich zählte ich in Utes Augen zu den besten Sklavinnen. Manchmal, wenn ich fertig war, half ich anderen Mädchen bei ihren Aufgaben.
Ich hatte keine Lust mehr zu lügen oder andere Sklavinnen zu hintergehen. Ich scheute auch nicht mehr vor der Arbeit zurück — dazu fürchtete ich die Peitsche zu sehr und den Schmerz. Ich beugte mich der Gewalt. Außerdem kamen mir meine früheren kleinen Betrügereien heute dumm und kindisch vor, ob ich nun erwischt wurde oder nicht. Ich hatte die Bestrafung verdient, und irgendwie war ich mit mir ins reine gekommen.
Die Verachtung, mit der man mir im Lager begegnete, ließ etwas in mir verhärten. Ich gab mich zurückgezogen und war zufrieden, abends in der Schwärze des Schuppens zu sitzen, geschützt durch die verschlossene Tür.
Nur eins war mir geblieben, ein Punkt, in dem ich Stolz empfand — und das war die Tatsache, daß ich anders war als andere Frauen. Welche Brandzeichen ich auch tragen mochte — ich kannte ihre Schwächen nicht. Ich erinnerte mich an die Szene auf der Lichtung, auf der sich sogar die stolze Verna hilflos unter den hellen Monden Gors gewunden hatte, ihren fraulichen Sehnsüchten hingegeben. Mit der Zeit bildete sich ein Haß auf andere Menschen in mir heraus. Ich hielt mich für stärker als andere Mädchen. Ich wurde arrogant in meiner Tugend, zum Ärger der anderen Sklavinnen, doch das war mir egal. Ich war anders als sie. »Heute abend!« rief Ute fröhlich, »werdet ihr alle bei Tisch bedienen!« Die Mädchen freuten sich.
Heute war ein Überfall Rasks aus Treve zum erstenmal seit Wochen wieder erfolgreich gewesen. Elf Mädchen waren gefangen worden, außerdem gab es reiche Beute. Lachende, blutüberströmte Tarnkämpfer waren aus ihren Sätteln geglitten, ihre Taschen hingen durch unter dem Gewicht des Goldes. Kaufleute brachten Boskhälften und Tarskschenkel ins Lager, dazu Wein und Früchte, Käsesorten und frisches Brot, Nüsse und Blumen, Kerzen und Honig. Große Aufregung herrschte bei allen — ein großes Fest stand bevor.
Ich würde nicht bedienen müssen — wie immer. Ute würde mich einschließen.
Im Schuppen sah ich verächtlich zu, wie sich die anderen auf den Abend freuten. Auf Utes Ruf hin eilten sie ins Freie. Ich brauchte meine Ruhe, denn ich mußte morgen wieder arbeiten.
»El-in-or, komm raus!« rief Ute.
Was wollten sie von mir?
Zögernd stand ich auf und ging nach draußen. Hier stand , Spiegel, davor lagen Kosmetika und Seidengewänder und Tanzglocken. Männer waren nicht zu sehen. Die Mädchen machten sich fertig.
»Zieh dich um!« befahl Ute.
»Nein!« rief ich.
»Los, mach schon!« sagte Ute und wandte sich ab.
Ich zog ein dünnes Seidengewand über und schminkte mich nach Art der goreanischen Sklavin. Das bereitete mir keine Mühe, denn ich war entsprechend trainiert worden.
Mißmutig hielt ich mich im Hintergrund, während die anderen Mädchen ihre Vorbereitungen trafen.
»Du bist nicht unattraktiv«, sagte Ute zu mir.
Sie trat an eine Truhe, in der die Kleider aufbewahrt wurden und nahm einige Glocken heraus, die sie mir um den Hals band. »Etwas fehlt noch«, sagte sie schließlich und trat zurück.
Ich antwortete nicht.
Sie kehrte zur Truhe zurück. Die Mädchen hielten den Atem an. Zwei goldene Ohrringe wurden durch meine Ohrläppchen zogen und festgemacht.
»Und damit die Begeisterung der Männer nicht zu groß wird, das! « Die Mädchen lachten. Ute befestigte einen Streifen weißer Seide an meinem Sklavenkragen.
Dann schickte sie uns in die Mitte des Lagers, wo wir von den Männern begeistert willkommen geheißen wurden.
Wütend folgte ich den anderen zu der Stelle, wo nahe des großen Zelt Rasks die Feier beginnen sollte.
»Wein! Bring mir Wein!« rief der Krieger.
Ich eilte zu ihm und füllte seine Schale.
Die Musik umschwebte mich schwer wie Wein. Es wurde viel gelacht und gebrüllt. Mädchen kicherten oder waren außerhalb des Feuerscheins mit handfesten Vergnügen beschäftigt.
Im Sand vor den Kriegern tanzte Talena.
Am Kopfende der Tafel saß Rask aus Treve und feierte seinen Sieg. An seiner Seite saß Verna, das Panthermädchen, das von den Sklavinnen bedient wurde, als sei sie ein Krieger. Ich beneidete sie um ihre Freiheit, um ihren Stolz.
Der Mann, den ich bedient hatte, wollte nach mir greifen, doch ich entwischte ihm, eilte zu einem anderen, der nach Wein gebrüllt hatte. »Wein!« rief nun auch Verna, und ich schenkte ihr nach.
»Wein«, sagte Rask und hielt mir seinen Kelch hin.
Ich vermochte seinem Blick nicht zu begegnen.
»Sie ist wirklich hübsch«, sagte Verna leise.
»Wein!« rief ein Mann auf der anderen Seite.
Ich sprang auf und eilte zu ihm. Bei ihm angekommen, neigte ich mein Gefäß, doch es war leer. »Lauf Mädchen, hol neuen Wein!« Ich eilte aus dem Lichtschein des Feuers. Dabei stolperte ich über zwei Gestalten, die sich in der Dunkelheit im Gras wälzten und innig mit sich beschäftigt waren. Ich hastete auf den Küchenschuppen zu. Doch ehe ich ihn erreichte, taumelte die Gestalt eines Kriegers auf mich zu. »Ich bin von weißer Seide!« kreischte ich und entwand mich seinem Griff. Er war wütend und stolperte mir nach.
Lautes Geschrei vom Feuer deutete an, daß ein anderes Mädchen nun in den Tanzkreis getreten war. »Kleine Verräterin«, sagte der Mann mit schwerer Zunge. »Ich möchte dich gern tanzen sehen!«
»Ich muß Wein holen«, rief ich und eilte weiter.
»Ute!« flehte ich, als ich mein Gefäß in die große Weintonne tauchte, »schick mich nicht zurück!«
»Nimm den Wein und geh«, sagte sie barsch.
»El-in-or!« hörte ich einen Ruf. »El-in-or, die Verräterin!« »Sie rufen nach dir«, sagte Ute.
»In den Sand!« rief eine Männerstimme. »Tanz für uns!«