»Beeil dich mit dem Wein!« rief Publius mir nach.
Ich nahm das Paket Gift aus meiner Reptunika und schüttete das Pulver in den Wein. Man hatte mir gesagt, die Menge reiche aus, um hundert Männer einen schmerzhaften Tod sterben zu lassen.
Das Getränk war bereit.
»Wo bleibt der Wein!« tönte es aus dem Saal.
Ich eilte los und näherte mich dem Tisch. Ich wollte nur Bosk, den Hausherrn bedienen, denn ich wollte nicht mehr Schuld auf mich laden. Auf halbem Weg blieb ich stehen. Die Zecher starrten mich verständnislos an.
Rask aus Treve mußte leben!
Ich erinnerte mich, wie Haakon aus Skjern über seinen Gefangenen gelacht hatte. Und ich überlegte, ob er seinen Todfeind Rask freilassen würde, wenn ich meinen Teil des Handels einhielt. Ich fürchtete, daß er Rask nicht freilassen würde — aber was konnte ich tun? Ich mußte diesen Leuten vertrauen und von meiner Seite tun, was in meiner Macht stand. Ich hatte keine andere Wahl.
Ich wollte niemanden vergiften. Ich war zwar kein guter Mensch, aber eine Mörderin war ich bisher nicht gewesen. Und plötzlich fiel mir ein, wie meine Mutter den kleinen Hund vergiftete, der ihre Hausschuhe zerrissen hatte. Ich hatte das winzige Tier geliebt. Es war wimmernd im Keller hinter der Heizung gestorben. »Elinor«, sagte Bosk vom Kopfende der Tafel. »Ich möchte Wein.« Er war einer der wenigen Männer auf Gor, die meinen Namen nach englischer Art aussprachen.
Langsam näherte ich mich Bosk aus Port Kar. Obwohl andere mir ihre Schalen hinhielten, wollte ich nur ihm Wein einschenken. Man würde mich sicher ergreifen und noch vor Sonnenuntergang aufspießen. Er hielt mir seinen Kelch entgegen. Telimas Augen waren auf mich gerichtet — ich vermochte ihren Blick nicht zu erwidern. Ich schenkte ihm Wein ein.
»Ich bin aus Treve«, hatte Rask mir im Lagerhaus gesagt. »Entehre mich nicht.«
Ich begann zu weinen.
»Was ist los, Elinor?« fragte Bosk.
»Nichts, Herr«, schluchzte ich.
Bosk hob den Kelch an die Lippen.
Zitternd hob ich die Hand. »Trinke nicht, Herr!« schrie ich. »Der Wein ist vergiftet.«
Und ich barg das Gesicht in den Händen. Wutgeschrei wurde am Tisch laut, Weinkrüge wurden umgestoßen, und Frauen sprangen auf. Thurnock, der mächtige Bauer, drängte sich hinter mich und hielt meine Arme fest.
»Spießt sie auf!«
Im nächsten Augenblick sprang die Tür des Saals auf, und ein Mann mit kurzem weißem Haar eilte herein. Seine Augen waren erschreckt aufgerissen.
»Samos!« rief jemand.
»Ich bin eben gelandet«, sagte er, »und erfuhr, daß ohne mein Wissen eine Frau in dieses Haus eingeschleust wurde. Nehmt euch in acht!«
Er sah mich in den Armen Thurnocks. Publius kam herbeigeeilt. Sein Gesicht war bleich. Er griff nach seinem Schwert.
Bosk schüttete langsam den Wein auf den Tisch. Der Weinkrug, den ich fallengelassen hatte, ergoß seinen Inhalt über die Fliesen. »Feiert weiter«, sagte Bosk zu seinen Gästen. »Tab, Thurnock, Clitus, Henrius, Samos — bitte kommt mit in meine Räume.« Ich sah, daß Telima ein Messer in der Hand hielt, und bezweifelte nicht, daß sie mir die Kehle durchschneiden würde, um ihren Mann zu schützen. »Thurnock, laß sie los«, sagte Bosk und wandte sich an mich. »Elinor, wir müssen miteinander sprechen.« Dann reichte er Telima den Arm, und ich folgte ihm mit gesenktem Kopf in seine Gemächer. In dieser Nacht verließen zahlreiche Männer das Haus des Bosk. Ich hatte ihnen alles gesagt und erwartete nun gefoltert und aufgespießt oder enthauptet zu werden.
Als ich mit meinem Bericht fertig war, sagte Bosk nur zu mir: »Geh in die Küche, es gibt dort Arbeit für dich.«
Benommen war ich in die Küche zurückgekehrt, wo mir Publius erstaunt eine Arbeit zuwies. In der Nacht sicherte er mich mit einer doppelten Kette an der Wand.
»Wir haben Rask aus Treve nicht retten können«, sagte Bosk am nächsten Tag zu mir.
Ich senkte den Kopf. Das hatte ich erwartet.
Mein Herr lächelte. »Er war bereits geflohen«, sagte er. Ich starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Die Männer aus Treve sind ernstzunehmende Gegner.« Ich blickte ihn mit bebenden Lippen an. »Und die anderen?« »Wir fanden drei Tote«, sagte Bosk. »Der eine, dessen Schwertscheide leer war, wurde als Haakon aus Skjern identifiziert. Ein zweiter, ein kleiner Mann, war uns nicht bekannt. Der dritte war seltsam, ein großes und unangenehm aussehendes Pelztier.«
Ich neigte den Kopf und begann hysterisch zu schluchzen. »Sie alle waren förmlich in Stücke gehackt worden, und ihre Köpfe steckten auf Pfosten am Kanal aufgespießt. In jeden Pfosten war das Zeichen Treves geschnitzt.«
Schluchzend und lachend fiel ich auf die Knie.
»Die Männer aus Treve sind wahrlich ernstzunehmende Gegner«, wiederholte Bosk.
»Was ist mit mir?« fragte ich.
»Ich lasse im Lager Terences aus Treve, eines Söldners, verbreiten, daß in meinem Hause ein Mädchen namens Elinor arbeitet.«
»Rask aus Treve will mich nicht mehr sehen. Er hat mich verkauft.« Bosk zuckte die Achseln. »Samos sagt mir, daß Rask aus Treve freiwillig und allein nach Port Kar kam, wo er gefangengenommen wurde.« Er sah mich an. »Was hätte er hier tun wollen?«
»Ich weiß nicht«, flüsterte ich.
»Es heißt, daß er eine Sklavin suchte, die Elinor hieß.« »Das kann nicht sein«, sagte ich, »denn als ich nach Port Kar gebracht wurde, war Rask aus Treve bereits gefangen.«
»Das ist nicht verwunderlich«, sagte er, »denn man brauchte nur ein Gerücht im Lager Rasks zu verbreiten, daß du dich in dieser Stadt aufhältst. Und für die Pläne einiger Leute, meiner Feinde, war es sicher besser, daß du nicht in der Stadt warst, als Rask aus Treve eintraf, für den Fall, daß sie ihn nicht gefangennehmen konnten und er dich womöglich aufgespürt und entführt hätte.« Er musterte mich. »Warst du an einem Ort, wo sie dich erwerben konnten, sobald sie es wünschten, ohne sich dir vorher nähern zu müssen?«
»Ich habe monatelang in einer Pagataverne gedient.«
»Vielleicht haben sie sogar gesehen, wie du verkauft wurdest. Du bist doch auf dem Block des Curuleums versteigert worden, nicht wahr?« »Ja«, flüsterte ich.
»Ein sehr öffentlicher Ort«, sagte er und sah mich ein wenig traurig an. »Ich habe einmal gesehen, wie eine schöne Frau dort verkauft wurde.« »Wie hieß sie?«
»Vella«, sagte er. »Sie hieß Vella.«
Ich senkte den Blick.
»Ich vermute«, fuhr Bosk fort, »daß du erst gekauft und nach Port Kar gebracht wurdest, als Rask aus Treve bereits gefangen war — damit man dich ihm gegenüberstellen konnte.«
»Rask aus Treve hat mich verkauft. Er will nichts mehr mit mir zu tun haben.«
Bosk zuckte die Achseln. »Geh in die Küche. Es gibt dort Arbeit für dich.«
Ich gehorchte und stellte mich Publius zur Verfügung. Publius hatte das Haus Bosks verlassen wollen, so entsetzt war er, daß er mich ahnungslos erworben und damit fast das Schicksal seines Herrn besiegelt hatte. Aber Bosk wollte davon nichts wissen. »Wo finde ich einen zweiten Küchenmeister wie dich?« hatte er gefragt. Publius blieb also im Hause. Aber er verbot mir bei Tisch zu bedienen und beobachtete mich aufmerksam.
Ich sang bei meiner Arbeit, denn ich wußte, daß Rask aus Treve noch lebte. Außerdem waren jene Männer, die mich in ihre schlimmen Pläne einspannen wollten, vernichtet. Ich wußte, daß er mich nicht mehr haben wollte, denn er hatte mich verkauft, aber ich war zufrieden in dem Bewußtsein, daß der Mann, den ich liebte, noch am Leben war. Ich nahm nicht an, daß die Vermutungen meines Herrn Bosk zutrafen — Rask sei nach Port Kar gekommen, um mich zu suchen. Seine Informanten mußten sich irren. Ich versuchte mir Rask von Zeit zu Zeit aus dem Kopf zu schlagen, was mir aber nicht gelang. Manchmal weckten mich die anderen Mädchen in der Nacht und schimpften mich aus, denn ich hatte sie gestört und im Schlaf seinen Namen gerufen. Rask aus Treve wollte mich nicht — doch ich sehnte mich nach ihm. Wenigstens lebte er. Wie konnte ich traurig sein, wenn er irgendwo am Leben war, ein Kämpfer, ein Freund von Festen, mit seinen Freunden und seinen bildschönen Sklavinnen!