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»Und Sie willigten ein«, sagte Smiley, als Grigoriew eine Pause machte, und man hörte seinen Stift emsig über das Papier krit­zeln.

»Nicht sofort. Ich stellte ihm zuvor noch zwei Fragen«, sagte Grigoriew mit einer kuriosen Aufwallung von Eitelkeit. »Wir Akademiker lassen uns nicht so leicht hinters Licht führen, wis­sen Sie. Zuerst fragte ich ihn natürlich, warum diese Aufgabe nicht von einem der zahlreichen in der Schweiz postierten Ver­treter unseres Staatssicherheitsdienstes wahrgenommen werden könne.«

»Eine ausgezeichnete Frage«, sagte Smiley - ein überraschendes Lob aus seinem Munde. »Was hat er darauf geantwortet?«

»Es sei zu geheim. Geheimhaltung, sagte er, sei eine Frage der Abschottung. Er wünsche nicht, daß der Name Ostrakow mit dem Kernpersonal der Moskauer Zentrale in Verbindung ge­bracht werde. Bei der jetzigen Regelung, sagte er, würde er im Fall einer Panne wissen, daß nur Grigoriew der Schuldige sein könne. Ich war für diese Auszeichnung nicht dankbar«, sagte Grigoriew und feixte Nick de Silsky ein bißchen gezwungen an.

»Und wie lautete Ihre zweite Frage, Herr Botschaftsrat?«

»Sie betraf den Vater in Paris: Wie oft würde er das Mädchen be­suchen? Wenn der Vater häufig käme, so wäre mein Auftreten als Ersatzvater völlig überflüssig. Direkte Zahlungen an die Klinik ließen sich arrangieren, der Vater könne jeden Monat aus Paris zu Besuch kommen und sich selber um das Wohlergehen seiner Tochter kümmern. Darauf erwiderte der Priester, der Vater könne nur sehr selten kommen und dürfe in Gesprächen mit dem Mädchen Alexandra auf keinen Fall erwähnt werden. Er fügte, wenig folgerichtig, hinzu, das Thema >Tochter< sei für den Vater höchst schmerzlich, und es sei daher denkbar, daß er sie überhaupt nie besuchen werde. Ich solle mich geehrt fühlen, einem geheimen Helden der Sowjetunion einen so wichtigen Dienst erweisen zu dürfen. Er wurde scharf. Er sagte, es stehe mir nicht zu, das Verfahren von Fachleuten mit der Logik eines Amateurs zu messen. Ich entschuldigte mich. Ich sagte, daß ich mich in der Tat geehrt fühle. Daß ich stolz darauf sei, meinen Beitrag im Kampf gegen den Imperialismus zu leisten.«

»Aber sie sagten es ohne innere Überzeugung?« mutmaßte Smi­ley, blickte abermals auf und hielt mit Schreiben inne.

»Ja, das stimmt.«

»Warum?«

Zunächst schien Grigoriew nicht recht zu wissen, warum. Viel­leicht hatte ihn noch nie jemand aufgefordert, die Wahrheit über seine Gefühle zu äußern.

»Vielleicht, weil Sie dem Priester nicht glaubten ?« half Smiley aus.

»Die Geschichte enthielt viele Widersprüchlichkeiten«, antwor­tete Grigoriew stirnrunzelnd. »Zweifellos ist das in der Geheim­arbeit unvermeidlich. Dennoch empfand ich vieles als unwahr­scheinlich oder unwahr.«

»Können Sie erklären, warum?«

In der Katharsis des Bekennens vergaß Grigoriew erneut, in wel­cher Gefahr er schwebte, und lächelte überlegen.

»Er hat Gefühle gezeigt«, sagte er. »Ich fragte mich. Danach, als ich anderntags bei Eudokia war, an ihrer Seite lag, die Sache mit ihr durchsprach, fragte ich mich: Was ist zwischen dem Priester und diesem Ostrakow? Sind sie Brüder? Alte Kameraden? Die­ser große Mann, zu dem man mich gebracht hatte, der so mächtig ist, so geheim - er macht Verschwörungen in der ganzen Welt, setzt Druckmittel ein, vergibt Sonderaufträge. Er ist ein gnaden­loser Mann in einem gnadenlosen Beruf. Und doch, während ich, Grigoriew, bei ihm sitze, und wir sprechen über irgend je­mands geistesgestörte Tochter, dann habe ich das Gefühl, ich lese die intimsten Liebesbriefe dieses großen Mannes. Ich sagte zu ihm: >Genosse. Sie erzählen mir viel zuviel. Erzählen Sie mir nichts, was ich nicht unbedingt wissen muß. Sagen Sie mir bloß, was ich tun soll.< Aber er sagt zu mir: >Grigoriew, Sie müssen diesem Kind ein Freund sein. Dann werden Sie auch mein Freund sein. Das verworrene Leben ihres Vaters hat sich schlimm auf sie ausgewirkt. Sie weiß nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. Sie spricht von Freiheit und hat keine Ahnung, was das bedeutet. Sie ist das Opfer gemeingefährlicher bourgeoiser Hirngespinste. Sie gebraucht schmutzige Ausdrücke, die sich für ein junges Mädchen nicht schicken. Im Lügen besitzt sie das In­genium des Wahnsinns. Nichts von alledem ist ihre Schuld.< Dann frage ich ihn: >Genosse, kennen Sie dieses Mädchen per­sönlich?< Und er sagt nur darauf: >Grigoriew, Sie müssen ihr ein Vater sein. Ihre Mutter war in vieler Beziehung auch keine be­queme Frau. Für diese Dinge haben Sie Verständnis. Im späteren Leben wurde sie verbittert und unterstützte sogar ihre Tochter in deren anti-sozialistischen Phantastereien.<«

Grigoriew schwieg eine Weile, und Toby Esterhase, dem noch immer schwindelte bei dem Gedanken, daß Grigoriew Karlas Vorschlag nur wenige Stunden danach mit seiner zeitweiligen Geliebten besprochen hatte, war dankbar für die Atempause. »Ich fühlte, daß er auf mich angewiesen war«, fuhr Grigoriew sodann fort. »Ich fühlte, daß er nicht nur Fakten, sondern auch Gefühle verschwieg.«

Blieben noch, sagte Grigoriew, die praktischen Details. Der Priester hatte bereits vorgesorgt. Leiterin der Klinik sei eine Weißrussin, Ordensfrau, früher Angehörige der russisch-or­thodoxen Gemeinde in Jerusalem, aber eine tüchtige Person. In solchen Fällen sollten wir keinen allzu strengen politischen Maß­stab anlegen, habe der Priester gesagt. Diese Frau habe Alex­andra persönlich in Paris abgeholt und in die Schweiz gebracht. Die Klinik verfüge auch über einen russisch sprechenden Arzt. Das Mädchen spreche, dank der ethnischen Verbindungen ihrer Mutter, auch deutsch, weigere sich aber häufig, das zu tun. Diese Faktoren hätten, zusammen mit der isolierten Lage des Hauses, bei der Wahl dieser Klinik den Ausschlag gegeben. Das Geld, das auf das Konto in Thun einbezahlt werde, reiche aus zur Beglei­chung der Klinikkosten, der ärztlichen Betreuung, die im Monat bis zu tausend Franken gehen dürften, und decke den geheimen Zuschuß für Grigoriews neuen Lebensstil. Weitere Gelder seien verfügbar, falls Grigoriew dies für nötig erachte; er solle keine Rechnungen oder Quittungen aufbewahren; falls Grigoriew be­trügen sollte, würde der Priester dies umgehend erfahren. Gri­goriew solle einmal wöchentlich die Klinik aufsuchen, um die Rechnung zu bezahlen und sich über das Befinden des Mädchens zu erkundigen; der sowjetische Botschafter in Bern werde da­hingehend informiert, daß die Grigoriews mit einem geheim­dienstlichen Auftrag betraut seien und daß er ihnen entspre­chenden Bewegungsspielraum lassen solle.

Dann kam der Priester auf die Frage zu sprechen, wie Grigoriew Verbindung mit Moskau halten solle.