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»Er fragte mich: >Kennen Sie den Kurier Krassky ?< Ich antworte, natürlich kenne ich diesen Kurier; Krassky kommt mit seiner Eskorte jede Woche einmal, zuweilen auch zweimal in die Bot­schaft. Wenn man nett ist mit ihm, bringt er einem einen Laib Schwarzbrot direkt aus Moskau mit.«

In Zukunft, sagte der Priester, werde Krassky pünktlich jeden Donnerstagabend während seines offiziellen Besuchs in Bern Grigoriew privat aufsuchen, entweder in dessen Haus oder im Büro in der Botschaft, aber wenn irgend möglich zu Hause. Es würden keine konspirativen Gespräche geführt werden, sondern Krassky werde Grigoriew lediglich einen Umschlag mit einem angeblichen persönlichen Brief von Grigoriews Tante in Moskau aushändigen. Den Brief werde Grigoriew an einem sicheren Ort bei vorgeschriebenen Temperaturen mit drei chemischen Lö­sungen behandeln, die auf dem freien Markt erhältlich seien, der Priester nannte sie, Grigoriew wiederholte jetzt die Bezeichnun­gen. Die Schrift, die dann zum Vorschein komme, sagte der Prie­ster, enthalte eine Liste von Fragen, die Grigoriew dem Mädchen Alexandra beim nächsten wöchentlichen Besuch zu stellen habe. Beim selben Treffen mit Krassky solle Grigoriew ihm einen Brief

an dieselbe Tante übergeben, in dem er scheinbar in allen Einzel­heiten über das Befinden seiner Gattin Grigoriewa schreiben, in Wahrheit jedoch dem Priester alles über das Mädchen Alexandra berichten werde. Das nenne man Wort-Code. Später werde der Priester, falls sich dies als nötig erweisen sollte, Grigoriew mit Material zum Zweck einer noch geheimeren Korrespondenz ver­sorgen, doch zunächst genüge der Wort-Code-Brief an Grigo­riews Tante.

Dann händigte der Priester Grigoriew ein ärztliches Zeugnis aus, das von einer Moskauer Kapazität stammte.

»Während Ihres Aufenthalts hier in Moskau erlitten Sie eine kleine Herzattacke als Folge von Streß und Überarbeitung«, sagte der Priester. »Der Arzt rät zu regelmäßigem Radfahren zwecks Besserung Ihrer physischen Kondition. Ihre Frau wird Sie dabei begleiten.«

Indem Grigoriew sich per Fahrrad oder zu Fuß zur Klinik bege­be, erklärte der Priester, werde niemand das Nummernschild des Diplomatischen Corps an seinem Wagen sehen.

Dann erlaubte ihm der Priester den Kauf zweier gebrauchter Fahrräder. Nun blieb noch die Frage, welcher Wochentag sich am besten für Grigoriews Besuche in der Klinik eigne. Samstag war der normale Besuchstag, aber das war zu gefährlich; mehrere Insassinnen waren aus Bern, und so bestand immer das Risiko, daß »Glaser« erkannt würde. Die Leiterin habe daher Mitteilung erhalten, daß die Samstage nicht in Frage kämen, und sei, aus­nahmsweise, mit regelmäßigen Besuchen am Freitag einverstan­den. Der Botschafter werde keine Einwände erheben, aber wie wolle Grigoriew seine Abwesenheit an den Freitagen mit seinen routinemäßigen Obliegenheiten vereinbaren ?

Das sei kein Problem, antwortete Grigoriew. Es sei durchaus zu­lässig, Freitag und Samstag zu vertauschen, er werde also einfach darum nachsuchen, am Samstag arbeiten zu dürfen; dann hätte er den Freitag frei.

Nach beendigter Beichte ließ Grigoriew seinem Publikum ein ra­sches, überbelichtetes Lächeln zukommen.

»Zufällig arbeitete auch eine gewisse junge Dame in der Visa-Ab­teilung immer samstags«, sagte er und zwinkerte zu Toby hin­über. »Dadurch hatten wir Gelegenheit, miteinander ein biß­chen allein zu sein.«

Diesmal war das allgemeine Gelächter nicht ganz so herzhaft, wie es hätte sein können. Die Zeit näherte sich, genau wie Grigo­riews Erzählung, ihrem Ende.

Sie waren wieder dort angelangt, wo sie begonnen hatten, und plötzlich hatten sie nur noch Grigoriew als Gegenüber, Grigo­riew, um den allein sie sich sorgen, den allein sie festhalten muß­ten. Er saß feixend auf dem Sofa, aber sein Übermut verflüch­tigte sich zusehends. Er hatte die Hände ergeben gefaltet und blickte von einem zum ändern, als warte er auf Befehle.

»Meine Frau kann nicht radfahren«, bemerkte er mit einem lei­sen traurigen Lächeln. »Sie hat es immer wieder versucht.«

Ihr Versagen schien ihm eine ganze Menge zu bedeuten. »Der Priester schrieb mir aus Moskau: >Nehmen Sie Ihre Frau mit zu Alexandra. Vielleicht braucht das Mädchen auch eine Mutter.<« Ratlos schüttelte er den Kopf. »Sie kann es einfach nicht«, sagte er zu Smiley. »Wie kann ich Moskau in einer so wichtigen Ge­heimsache sagen, Grigoriewa kann nicht radfahren?« Vielleicht bewährte Smiley sich in seiner Rolle als federführendes Organ niemals trefflicher als durch die Art und Weise, wie er nun, fast en passant, die bisherige Quelle Grigoriew in den idealen Über­läufer Grigoriew verwandelte.

»Herr Botschaftsrat, wie immer auf längere Sicht Ihre Pläne sein mögen, bleiben Sie bitte noch mindestens zwei Wochen an der Botschaft«, verfügte er und schloß umständlich sein Notizbuch. »Danach wird Ihnen, falls Sie sich entschließen sollten, ir­gendwo im Westen ein neues Leben zu beginnen, ein freundli­cher Empfang sicher sein.« Er ließ das Notizbuch in seine Tasche gleiten. »Aber am nächsten Freitag werden Sie unter gar keinen Umständen das Mädchen Alexandra besuchen. Sagen Sie Ihrer Gattin, dies sei der Inhalt Ihres heutigen Treffens mit Krassky gewesen. Wenn der Kurier Krassky Ihnen den fälligen Donners­tagsbrief bringt, nehmen sie ihn wie immer entgegen, aber Sie werden auch danach Ihrer Gattin gegenüber dabei bleiben, daß kein Besuch bei Alexandra stattfinden dürfe. Keine weiteren Er­klärungen. Lassen Sie Madame Grigoriewa getrost im dunkeln tappen.«

Grigoriew quittierte diese Instruktionen durch ein unbehagli­ches Nicken.

»Ich muß Sie indes warnen: Sollten Sie auch nur den kleinsten Fehler machen oder, in der anderen Richtung, irgendeinen Trick versuchen, so wird der Priester es erfahren und Sie vernichten. Außerdem würden Sie Ihre Chancen für eine wohlwollende Aufnahme im Westen verwirken. Ist Ihnen das klar?«

Nun mußte man Grigoriew nur noch die Telefonnummern ge­ben, bei denen er sich gegebenenfalls melden sollte, und ihm er­klären, wie Anrufe zwischen öffentlichen Fernsprechzellen zu tätigen sind; und wider alle Gesetze des Metiers erlaubte Smiley ihm, sich alles aufzuschreiben, denn er wußte, daß Grigoriew die Nummern nicht im Gedächtnis behalten könnte. Als auch das erledigt war, verabschiedete Grigoriew sich in dumpfer Nieder­geschlagenheit. Toby fuhr ihn zu einer Stelle, wo er unauffällig abgesetzt werden konnte, und kehrte dann zu einem kurzen Le­bewohl in die Wohnung zurück.

Smiley saß noch immer in seinem Sessel und hielt die Hände im Schoß gefaltet. Die übrigen waren unter Millie McCraigs Ober­befehl emsig damit beschäftigt, die Spuren ihrer Anwesenheit zu tilgen, sie putzten und polierten, leerten Aschenbecher und Pa­pierkörbe. Toby sagte, außer Smiley und ihm werde alles heute die Stadt verlassen, auch das Observierungsteam. Nicht heute abend, nicht morgen. Jetzt. Sie säßen auf einer Super-Zeitbom­be, sagte er: Schon in diesem Augenblick könne Grigoriew, wenn sein Bekennerdrang anhalte, die ganze Episode seinem gräßlichen Eheweib beichten. Wenn er Eudokia alles über Karla berichtet hatte, wer könne dann sagen, daß er nicht auch der Grigoriewa oder etwa Klein-Natascha sein heutiges Schwätzchen mit George schildern werde? Niemand solle sich abgescho­ben, niemand solle sich ausgeschlossen fühlen, sagte Toby. Sie hätten großartige Arbeit geleistet, und sie würden sich bald wie­der treffen, um ihr Werk zu krönen. Man schüttelte sich die Hände, vergoß sogar ein paar Tränen, aber die Aussicht auf den letzten Akt versüßte allen den Abschied.

Und Smiley, der so still, so regungslos inmitten des allgemeinen Aufbruchs saß, was empfand Smiley? Äußerlich betrachtet konnte er einen stolzen Erfolg verzeichnen. Alles, was er sich vorgenommen hatte, war ihm gelungen, auch wenn er dabei zu Karlas Techniken hatte greifen müssen. Er hatte es ganz allein geschafft; und heute hatte er, wie die Aufzeichnungen zeigen würden, innerhalb weniger Stunden Karlas so sorgfältig ausge­wählten Agenten geknackt und umgedreht. Allein gelassen, ja, sogar behindert von denen, die seine Dienste erneut gefordert hatten, hatte er sich durchgekämpft bis zu dem Punkt, wo er ehr­lich sagen konnte, daß das letzte entscheidende Schloß gesprengt sei. Er war ein betagter Mann, und doch hatte er nie bessere Ar­beit geleistet; zum erstenmal in seiner beruflichen Laufbahn lag er in Führung vor seinem alten Gegenspieler.