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»Tut mir leid, Oliver«, sagte er.

»Warum denn? Ist ja nicht Ihre Frau. Istmeine. In der Liebe ist jeder sich selbst der Nächste.«

»Würden Sie bitte das Fenster schließen!« rief Strickland und wählte bereits eine neue Nummer. »Verdammt arktisch hier hin­ten.«

Gereizt schlug Lacon das Fenster zu und schlenderte ins Zimmer zurück.

Smiley unternahm einen zweiten Versuch: »Oliver, was geht hier vor?« fragte er. »Warum habt Ihr mich geholt?«

»Zunächst nur jemanden, der ihn kannte. Strickland, sind Sie halbwegs durch? Er ist wie eine von diesen Flughafen-Ansage­rinnen«, verkündete er Smiley mit törichtem Grinsen. »Niemals fertig.«

Du bist am Zusammenklappen, Oliver, dachte Smiley, als er unter dem Licht die Starre in Lacons Augen bemerkte. Es war zuviel für dich, dachte er in unerwartetem Mitgefühl. Für uns beide.

Aus der Küche erschien der mysteriöse Mostyn mit Tee: ein ernsthaftes heutig aussehendes Kind mit weiten Hosen und einer Mähne braunen Haars. Als er sah, wie der Junge das Tablett ab­setzte, konnte Smiley ihn endlich in seiner eigenen Vergangen­heit unterbringen. Ann hatte einmal einen ähnlichen Liebhaber gehabt, einen Seminaristen vom Wells Theological College. Sie hatte ihn auf der M 4 aufgegabelt und, wie sie später anführte, davor bewahrt, Homo zu werden.

»In welcher Abteilung sind Sie, Mostyn«, fragte Smiley ihn ru­hig.

»Zwinger, Sir.« Er kauerte auf Tischhöhe nieder, wobei er asiati­sche Geschmeidigkeit bewies. »Schon seit Ihrer Zeit, Sir. Es ist eine Art Operationspool. Hauptsächlich Praktikanten, die auf einen Übersee-Einsatz warten.«

»Verstehe.«

»Ich habe Ihre Vorträge in der Nursery in Sarratt gehört, Sir. Anfängerkurs. >Führung von Agenten im Feldeinsatz<. War das beste in den ganzen zwei Jahren.«

»Vielen Dank.«

Doch Mostyns Kalbsaugen wichen nicht von ihm.

»Vielen Dank«, sagte Smiley nochmals, ratloser denn zuvor. »Milch, Sir, oder Zitrone? Die Zitrone war fürihn«, sagte Mo­styn leise beiseite, als sei dies eine Empfehlung für die Zitrone.

Strickland hatte eingehängt und fummelte an seinem Hosen­bund, machte ihn weiter oder enger.

»Nun ja, wir müssen die Wahrheit mildern, George!« bellte Lacon plötzlich heraus, als handle es sich um ein persönliches Glaubensbekenntnis. »Manchmal ist jemand unschuldig, aber die Umstände können ihn in einem ganz anderen Licht erschei­nen lassen. Es hat nie ein Goldenes Zeitalter gegeben. Nur eine Goldene Mitte. Das dürfen wir nie vergessen. Malt's auch auf eure Rasierspiegel.«

»Mit gelber Kreide«, dachte Smiley. Strickland watschelte quer durchs Zimmer.

»He! Mostyn. Jungmann Nigel. Ja, Sie, Sir.«

Mostyn hob zur Antwort die ernsten braunen Augen.

»Daß Sie mir nichts zu Papier bringen«, warnte ihn Strickland, wobei er mit dem Handrücken über seinen Schnurrbart fuhr, als sei Hand oder Bart naß geworden. »Hören Sie? Das ist ein Be­fehl. Es gab kein Treffen, also brauchen Sie auch nicht das übli­che Treff-Formular oder dergleichen Zeug auszufüllen. Sie müssen weiter nichts tun, als die Klappe halten. Verstanden? Sie rechnen Ihre Spesen ohne Beleg als allgemeine Nebenausgaben ab. Direkt über mich. Kein Aktenbezug. Verstanden?«

»Ich verstehe«, sagte Mostyn.

»Und keine Flüsterverlautbarungen zu diesen kleinen Nutten von der Registratur, ich erfahr's ja doch. Kapiert? Geben Sie uns Tee.«

Etwas tat sich im Inneren George Smileys, als er dieses Gespräch hörte. Aus der formlosen Ungenauigkeit dieser Dialoge, aus dem Grauen der Szene auf der Heath brach die eine ätzende Wahrheit über ihn herein. Er spürte ein Ziehen in der Brust und hatte das momentane Gefühl, von dem Zimmer und den drei ver­störten Menschen, die er darin vorgefunden hatte, abgeschnitten zu sein. Treff-Formular? Kein Treff? Treff zwischen Mostyn und Wladimir? Gott im Himmel, dachte er und vollzog die Qua­dratur des Narrenkreises. Der Herr behüte, bewahre und be­schütze uns. Mostyn hatte als Wladimirs Einsatzleiter fungiert. Dieser alte Mann, ein General, einst unser Stolz, und sie hatten ihn einem unbedarften Knaben ausgeliefert! Dann ein weiterer, noch heftigerer Stich, als seine Überraschung in einer Explosion innerlicher Wut hinweggefegt wurde. Er fühlte, wie seine Lip­pen zitterten, er fühlte, wie seine Kehle sich zuschnürte und seine Worte blockierte, und als er sich Lacon zuwandte, schie­nen seine Brillengläser sich von der Hitze zu beschlagen.

»Oliver, ob Sie nun endlich die Güte hätten, mir zu verraten, was ich hier soll«, hörte er sich zum drittenmal in einem Ton sagen, der kaum mehr war als ein Flüstern.

Er streckte den Arm aus und zog die Wodkaflasche aus dem Kü­bel. Unaufgefordert brach er die Kapsel und schenkte sich ein ziemlich großes Tröpfchen ein.

Auch jetzt noch überlegte Lacon, erwog, ließ die Blicke schwei­fen, zögerte. In Lacons Welt waren direkte Fragen der Gipfel des schlechten Geschmacks, aber direkte Antworten waren noch schlimmer. Eine Weile blieb er mitten in der Bewegung erstarrt im Zimmer stehen und glotzte Smiley ungläubig an. Ein Wagen mühte sich hügelan, brachte Kunde von der wirklichen Welt draußen vor dem Fenster. Lauder Strickland schlürfte seinen Tee. Mostyn setzte sich artig auf einen Klavierhocker, zu dem es kein Klavier gab. Und Lacon hakte mit ruckartigen Bewegungen nach Worten, die elliptisch genug wären, um ihren wirklichen Sinn zu verbergen.

»George«, sagte er. Ein Regenschauer trommelte wie Maschi­nengewehrfeuer gegen die Scheiben, doch er achtete nicht dar­auf. »Wo ist Mostyn?« fragte er.

Mostyn war, kaum zu Stuhl gekommen, wieder aus dem Zim­mer geflitzt, um einem nervösen Bedürfnis abzuhelfen. Sie hör­ten die Spülung donnern, lautstark wie ein Blasorchester, und die Abflußrohre das ganze Haus hinunter gurgeln. Lacon hob eine Hand an den Hals und fuhr die Schürfmale entlang.

Widerstrebend begann er: »Vor drei Jahren, George - fangen wir da an -, kurz nachdem Sie den Circus verließen - hat Ihr Nach­folger Saul Enderby -, Ihr würdiger Nachfolger - unter dem Druck eines besorgten Kabinetts -, mit besorgt meine ich, neu gebildet -, hat also Ihr Nachfolger die Einführung weitreichen­der Änderungen in der nachrichtendienstlichen Praxis beschlos­sen. Ich gebe Ihnen den Background, George«, unterbrach er sich erläuternd. »Ich tue das, weil Sie sind, wer Sie sind, der alten Zeiten wegen und wegen« - er wies mit einem ausgestreckten Finger zum Fenster -, »wegen da draußen.«

Strickland hatte die Weste aufgeknöpft und lag dösend und satt da, wie ein Erster-Klasse-Passagier in einem Nachtflugzeug. Doch seine kleinen wachsamen Augen folgten jedem Ausfall, den Lacon machte. Die Tür öffnete und schloß sich, ließ Mostyn ein, der seinen Hochsitz auf dem Klavierhocker wieder ein­nahm.

»Mostyn, ich erwarte von Ihnen, daß Sie jetzt weghören. Es geht um hohe, allerhöchste Politik. Eine dieser weitreichenden Ände­rungen, George, war die Entscheidung, einen interministeriellen Leitausschuß zu bilden. Einen gemischten Ausschuß« - er bildete mit beiden Händen einen in der Luft -, »teils Westminster, teils Whitehall, der das Kabinett ebenso vertrat wie die größeren Whitehall-Kunden. Bekannt als die Weisen. Jedoch eingeschal­tet - George -, eingeschaltet zwischen der nachrichtendienstli­chen Bruderschaft und dem Kabinett. Als Verbindung, als Fil­ter, als Bremse.« Die eine Hand war ausgestreckt geblieben, spielte diese Methaphern aus wie Karten. »Um dem Circus auf die Finger zu schauen. Um Kontrolle auszuüben, George. Wachsamkeit und Verantwortungsgefühl im Interesse einer transparenten Regierung. Ist nicht Ihr Geschmack. Ich seh's Ih­nen an.«