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Smileys ruhiger Ton verhehlte nicht die Spannung in seiner Stimme. Auch waren Lacon die gefährlichen Farbflecke auf sei­nen Backen nicht entgangen.

Scharf wandte er sich an das schwächste Glied unter den Anwe­senden: »Mostyn, ich erwarte von Ihnen, daß Sie dies alles ver­gessen. Hören Sie mich? Strickland, sagen Sie's ihm.«

Strickland beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen: »Mo­styn, Sie stellen sich heute Vormittag um Punkt zehn Uhr dreißig bei den Housekeepers ein und unterschreiben eine Belehrungs­bestätigung, die ich persönlich abfassen und gegenzeichnen wer­de!«

»Yes, Sir«, sagte Mostyn nach einer kurzen, fast gespenstischen Pause.

Erst jetzt ging Lacon auf Smileys Bemerkung ein: »George, ich habe den Mann bewundert. Nie seine Gruppe. Hier muß scharf getrennt werden. Der Mann, ja. In mancher Hinsicht eine heroi­sche Gestalt, wenn Sie so wollen. Aber nicht sein Umgang: die Phantasten, die verlotterten Prinzlinge. Noch die Unterwande­rer aus der Moskauer Zentrale, die sie warm an ihre Brust drück­ten. Nie. In diesem Punkt haben die Weisen recht, das können Sie nicht leugnen.«

Smiley hatte die Brille abgenommen und putzte sie mit dem brei­ten Ende seiner Krawatte. Im fahlen Licht, das jetzt durch die Vorhänge drang, sah sein volles Gesicht feucht und schutzlos aus.

»Wladimir war einer der besten Agenten, die wir je hatten«, sagte er schroff.

»Wohl weil er Ihrer war, wie?« höhnte Strickland hinter Smileys Rücken.

»Weil er gut war«, schnappte Smiley, und alle schwiegen betroffen, während er sich wieder faßte. »Wladimirs Vater war Este und leidenschaftlicher Bolschewik, Oliver«, fuhr er in ruhige­rem Ton fort. »Von Beruf Rechtsanwalt. Stalin belohnte seine Loyalität, indem er ihn bei den Säuberungen ermorden ließ. Wladimir hieß eigentlich Woldemar, hatte aber seinen Namen aus Treue zu Moskau und zur Revolution geändert. Er wollte immer noch glauben, trotz allem, was sie seinem Vater getan hat­ten. Er ging zur Roten Armee, und einzig Gottes Hilfe bewahrte ihn davor, ebenfalls liquidiert zu werden. Der Krieg brachte ihm Beförderung, er kämpfte wie ein Löwe, und nach Kriegsende wartete er auf die Grossrussische Liberalisierung, von der er ge­träumt hatte, und auf die Befreiung seines eigenen Volkes. Wozu es nie kam. Statt dessen erlebte er die erbarmungslose Unter­drückung seines Heimatlandes durch die Regierung, der er ge­dient hatte. Abertausende seiner ehemaligen estnischen Lands­leute kamen in Lager, darunter einige seiner eigenen Verwand­ten.« Lacon öffnete schon den Mund zu einer Unterbrechung, schloß ihn aber klugerweise wieder. »Die Glücklicheren entka­men nach Schweden und Deutschland. Wir sprechen von einer Million nüchterner, hart arbeitender Leute, die man durch den Wolf drehte. Eines nachts bot er uns aus Verzweiflung seine Dienste an. Uns, den Briten. In Moskau. Drei Jahre lang hat er für uns inmitten der Hauptstadt spioniert. Tagtäglich alles für uns riskiert.«

»Und überflüssig zu sagen, daß unser George hier ihn geführt hat«, knurrte Strickland, der immer noch zu suggerieren ver­suchte, daß diese Tatsache Smiley als Zeugen disqualifiziere. Doch Smiley war nicht mehr zu bremsen. Zu seinen Füßen hatte der junge Mostyn die Augen weit aufgerissen und lauschte in ei­ner Art Trance.

»Wir haben ihm sogar eine Auszeichnung verliehen, wenn Sie sich erinnern, Oliver. Nicht zum Tragen oder Vorzeigen, das natürlich nicht. Aber irgendwo auf einem Stück Pergament, auf das er gelegentlich einen Blick tun durfte, war eine Unterschrift, die deutlich nach der des Monarchen aussah.«

»George, das ist Geschichte«, protestierte Lacon schwach. »Das hat nichts mit heute zu tun.«

»Drei lange Jahre hindurch war Wladimir die beste Informa­tionsquelle über sowjetische Mittel und Absichten - und das auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Er hatte engen Kontakt zu ihrer nachrichtendienstlichen Gemeinde und berichtete uns auch darüber. Dann hat er eines Tages, bei einer Dienstreise nach Pa­ris, seine Chance ergriffen und sich abgesetzt, Gott sei Dank, denn sonst wäre er schon viel eher erschossen worden.«

Lacon schien plötzlich überhaupt nichts mehr zu verstehen. »Was meinen Sie damit?« fragte er. »Wieso viel eher ? Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß der Circus damals ziemlich fest im Griff ei­nes Agenten der Moskauer Zentrale war«, erwiderte Smiley mit tödlicher Geduld. »Es war pures Glück, daß Bill Haydon zufällig im Ausland stationiert war, als Wladimir für uns arbeitete. Noch drei Monate länger, und Bill hätte ihn unweigerlich hochgehen lassen.«

Lacon wußte darauf nichts zu sagen, also sprang Strickland für ihn ein.

»Bill Haydon, dauernd Bill Haydon«, geiferte er. »Nur weil Sie zu ihm noch in dieser speziellen Beziehung standen -« Er wollte weitersprechen, besann sich jedoch eines besseren. »Haydon ist tot, verdammtnochmal«, schloß er mürrisch, »und der ganze La­den dazu.«

»Nicht zu vergessen Wladimir«, ergänzte Smiley ruhig, und wie­derum trat eine Stockung im Verfahren ein.

»George«, flehte Lacon, als habe er endlich die richtige Stelle im Gesangbuch gefunden. »Wir sind Pragmatiker, George. Wirpas­sen uns an .Wir sind nicht die Hüter irgendeiner heiligen Flamme. Ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, vergessen Sie das nicht!«

Doch der ruhige, aber entschlossene Smiley war mit seinem Nachruf auf den alten Mann noch nicht am Ende, und vielleicht ahnte er, daß dies die einzige Leichenrede sein würde, deren der Verstorbene teilhaftig werden sollte.

»Und als er dann wirklich herüben war, na schön, da war er ein Trumpf, der nicht mehr stach, wie jeder Ex-Agent.«

»Fürwahr«, sagte Strickland sotto voce.

»Er blieb in Paris und stürzte sich mit Leib und Seele in die balti­sche Unabhängigkeitsbewegung. Klar, es war eine verlorene Sa­che. Allerdings haben die Briten bis heute die Annektierung der drei baltischen Staaten durch die Sowjets de jure nicht anerkannt, aber sei's drum. Estland - das wissen Sie vielleicht, Oliver - un­terhält eine Delegation und ein völlig reguläres Generalkonsulat in Queen's Gate. Offenbar macht es uns nichts aus, eine verlo­rene Sache zu unterstützen, wenn sie nur völlig verloren ist. Vorher nicht.« Er zog scharf die Luft ein, »Und zugegeben, in Paris gründete er eine baltische Gruppe, mit der es bergab ging, wie das Emigrantengruppen und verlorene Sachen so an sich ha­ben - lassen Sie mich zu Ende reden, Oliver, ich mach's nicht häufig so lang.«

»Mein lieber Freund«, sagte Lacon errötend. »Machen Sie's so lang, wie Sie wollen«, was Strickland von neuem aufstöhnen ließ.

»Seine Gruppe zersplitterte, zerstritt sich. Wladimir hatte es eilig und wollte alle Fraktionen unter einen Hut bringen. Die Frak­tionen aber hatten ihre eigenen althergebrachten Interessen und konnten sich nicht einigen. Es kam zu einer regelrechten Schlacht, einige Köpfe gingen zu Bruch, und die Franzosen ha­ben ihn hinausgeworfen. Wir brachten ihn, zusammen mit ein paar von seinen Leutnants, nach London. Wladimir hat sich im Alter wieder der evangelischen Religion seiner Vorfahren zuge­wandt und den marxistischen Retter gegen den christlichen Mes­sias vertauscht. Soviel ich weiß, sollten wir dergleichen Wand­lungen fördern. Oder vielleicht entspricht das nicht mehr den heutigen Richtlinien. Jetzt ist er ermordet worden. Soviel zum Thema Wladimirs Background. Und nun, warum bin ich hier?« Das Anschlagen der Türklingel hätte nicht gelegener kommen können. Lacon war noch immer rosenrot, und Smiley putzte wieder einmal schwer atmend seine Brille. Ehrfurchtsvoll stand Mostyn, der Jünger, auf, hakte die Kette aus und ließ einen hochgewachsenen Boten in Motarradfahrerkluft ein, einen schwarzen Engel, der einen Bund Schlüssel in seiner behand­schuhten Hand schwang. Ehrfurchtsvoll brachte Mostyn die Schlüssel zu Strickland, der quittierte und einen Eintrag in sein Logbuch machte. Nach einem langen und fast liebevollen Blick auf Smiley entfernte sich der Bote, und Smiley blieb mit dem schuldbewußten Gefühl zurück, daß er den Mann auch in seiner jetzigen Verkleidung hätte erkennen müssen. Doch Smiley hatte drückendere Sorgen. Ohne jede Ehrfurcht ließ Strickland die Schlüssel in Lacons offene Hand fallen.