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»George, wie die Dinge stehen, kann ich zu den Weisen gehen und sagen: >Ich habe Nachforschungen angestellt, die Hände des Circus sind rein.< Das kann ich sagen. >Der Circus hat weder diese Leute noch ihren Anführer ermutigt. Seit einem Jahr hat er von dort weder Gehalt noch Unterstützung bezogen!< Auf Ehre. Der Circus ist nicht Eigentümer der Wohnung dieses Mannes oder seines Wagens, bezahlt nicht seine Miete, kommt nicht für seine unehelichen Kinder auf, schickt seiner Mätresse keine Blumen, unterhält keine der alten- und beklagenswerten Bezie­hungen mit ihm oder seinesgleichen. Die einzige Verbindung gehört der Vergangenheit an. Seine Einsatzleiter sind endgültig von der Bühne abgetreten. Sie und Esterhase, beide Ehemalige, beide aus dem Spiel. Das kann ich, Hand aufs Herz, sagen. Den Weisen, und wenn nötig, meinem Minister persönlich.«

»Ich komme da nicht mit«, sagte Smiley mit vorsätzlicher Be­griffstutzigkeit. »Wladimir war unser Agent. Er versuchte, uns etwas mitzuteilen.«

»Unser Ex-Agent, George. Woher wollen Sie wissen, daß er uns etwas mitteilen wollte? Er hatte keinen Auftrag von uns. Er sprach von Dringlichkeit - sogar vom sowjetischen Geheim­dienst -, das tun eine Menge Ex-Agenten, wenn sie ihre Mütze für einen Zuschuß hinhalten.«

»Nicht Wladimir«, sagte Smiley.

Aber Sophisterei war Lacons zweite Natur. Er war dafür gebo­ren, er atmete sie, er konnte darin fliegen und schwimmen, nie­mand in Whitehall war darin besser als er.

»George, mankann uns nicht für jeden Ex-Agenten verantwort­lich machen, der unklugerweise einen nächtlichen Spaziergang auf einer von Londons immer gefährlicher werdenden Freiflä­chen unternimmt!« Er streckte die Hände beschwörend aus. »George. Was soll es sein? Wählen Sie. Die Wahl liegt beiIhnen. Entweder, Wladimir bat um ein Plauderstündchen mit Ihnen. Pensionierte Kumpels - ein Schwatz über alte Zeiten -, warum nicht? Und um der Sache in bißchen Pepp zu geben, was ja nur menschlich ist, behauptet er, etwas für Sie zu haben. Ein Gold­körnchen Information. Warum nicht? So machen sie's alle. Auf dieser Basis wird mein Minister uns decken. Keine Köpfe müs­sen rollen, es gibt kein Trara, keine Kabinetts-Hysterie. Er wird uns helfen, den Fall zu begraben. Natürlich kein Vertuschen. Aber er wird seinen Grips bemühen. Wenn ich ihn in der richti­gen Stimmung erwische, könnte er sogar entscheiden, daß kein Anlaß bestehe, die Weisen damit zu belästigen.«

»Amen«, echote Strickland.

»Oder aber«, fuhr Lacon gewichtig fort und bot seine ganze Überredungskunst für den Fangschuß auf, »sollten irgendwel­che Dinge aufgerührt werden, George, und der Minister zu der Annahme gelangen, daß wir seine guten Dienste mißbrauchten, um die Spuren eines nicht abgesegneten verunglückten Abenteu­ers zu verwischen« - er schritt aufs neue aus, umging einen ima­ginären Morast -, »und es kommt zu einem Skandal, George, und der Circus ist nachweislich darin verwickelt - Ihr altes Amt, George, an dem Sie noch immer hängen, da bin ich ganz sicher, gibt sich mit einer notorisch revanchistischen Emigrantengruppe ab - unberechenbaren, schwatzhaften, bis aufs Messer entspan­nungsfeindlichen Elementen - mit allen möglichen anachronisti­schen Komplexen - totales Relikt aus den schlimmsten Tagen des kalten Krieges - Musterbeispiel für alles, wovor unsere Herren und Meister uns gewarnt haben« - er war wieder in seiner Ecke angelangt, ein wenig außerhalb des Lichtkreises -, »und es hat dabei einen Toten gegeben, George, und einen Vertuschungs­versuch, wie sie es zweifellos nennen würden - mit der ganzen dazugehörigen Publicity -, nun, dann könnte es gerade ein Skandal zuviel sein. Das Amt ist immer noch ein schwaches Kind, George, kränklich und in den Händen dieser Leute ver­zweifelt anfällig. In diesem Stadium seiner Wiedergeburt könnte es an einem gemeinen Schnupfen eingehen. Sollte es soweit kommen, dann wäre dafür nicht zuletzt auch Ihre Generation zu tadeln. George, Ihnen ist eine Pflicht auferlegt, wie uns allen. Eine Loyalität.«

Pflicht wozu ? fragte sich jener Teil von Smileys Ich, der manch­mal als Zuschauer den Rest zu beobachten schien. Loyalität wem gegenüber? »Es gibt keine Loyalität ohne Verrat«, beliebte Ann in ihrer Jugend zu ihm zu sagen, wenn er es wagte, gegen ihre Seitensprünge zu protestieren.

Eine Zeitlang sprach niemand.

»Und die Waffe?« fragte Smiley schließlich in einem Ton, als wolle er eine Theorie testen. »Wo bringen Sie die unter, Oliver?« »Was für eine Waffe? Da war keine Waffe. Er wurde erschossen, wahrscheinlich von seinen eigenen Genossen, sind ja dauernd untereinander in Kabalen verstrickt. Ganz zu schweigen von seinem Appetit auf anderer Leute Frauen.«

»Ja, er wurde erschossen«, pflichtete Smiley bei. »Mitten ins Ge­sicht geschossen. Aus nächster Nähe. Mit einem Dumdum-Ge­schoß. Und flüchtig durchsucht. Brieftasche abgenommen. So­weit die Polizeidiagnose. Aber unsere Diagnose würde anders lauten, nicht wahr, Lauder?«

»Keineswegs«,  sagte Strickland und glotzte ihn durch eine Wolke von Zigarettenrauch finster an.

»Nun, meine schon.«

»Dann heraus damit, George«, sagte Lacon großmütig.

»Die Waffe, mit der Wladimir getötet wurde, war ein Stan­dard-Mordinstrument aus der Zentrale Moskau«, sagte Smiley. »Versteckt in einer Kamera, in einer Aktenmappe oder wie im­mer. Ein Dumdum-Geschoß wird aus nächster Nähe abgefeu­ert. Um auszulöschen, zu bestrafen und andere einzuschüch­tern. Wenn ich mich recht erinnere, war sogar ein Exemplar in Sarratt ausgestellt, in dem schwarzen Museum neben der Bar.«

»Ist es noch. Ein grauenhaftes Ding«, sagte Mostyn.

Strickland bedachte ihn mit einem giftigen Blick.

»Aber George!« rief Lacon.

Smiley wartete, denn er wußte, daß Lacon in seiner jetzigen Stimmung fähig gewesen wäre, das Vorhandensein von Big Ben abzustreiten.

»Diese Leute - diese Emigranten -, zu denen der arme Kerl ja ge­hörte - kommen sie denn nicht aus Rußland? Hatte nicht die Hälfte von ihnen irgendwann Kontakt mit der Moskauer Zentrale - sei es mit unserem Wissen, sei es ohne ? Eine derartige Waffe- ich sage natürlich nicht, daß Sie recht haben -, eine derartige Waffe könnte in ihrer Welt etwas so Landläufiges sein, wie Käse!«

Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens, dachte Smiley; aber Schiller hatte die Bürokraten vergessen. Lacon wandte sich an Strickland.

»Lauder. Da steht immer noch diese Presseverlautbarung aus.« Es war ein Befehl. »Vielleicht sollten Sie mal nachstochern und sehen, wie weit es damit ist.«

Strickland machte sich gehorsam auf die Socken, tappte durchs Zimmer und wählte eine Nummer.

»Mostyn, vielleicht sollten Sie das alles hier in die Küche brin­gen. Wir müssen ja nicht unbedingt Spuren hinterlassen, nicht wahr?«

Nachdem Mostyn ebenfalls aus dem Weg war, waren Lacon und Smiley plötzlich allein.

»Ein klares Ja oder Nein, George«, sagte Lacon. »Jemand muß den Aufwasch machen, Erklärungen geben, den Geschäftsleu­ten, was weiß ich. Post. Milch. Freunde. Was eben bei solchen Leuten anfällt. Keiner kennt sich da so aus wie Sie. Die Polizei hat versprochen, Ihnen einen Vorsprung zu lassen. Sie wird nichts verschleppen, nur eine gemessene Ordnung bei der Erle­digung der Dinge einhalten und der Routine ihren Lauf lassen.« Mit einem nervösen Sprung näherte Lacon sich Smileys Sessel und hockte sich linkisch auf die Armlehne. »George, Sie waren sein Vikar. Na schön, dann bitte ich Sie jetzt, hinzugehen und die Messe zu lesen. Er wollte Sie, George. Nicht uns. Sie.«

Von seinem Stammplatz am Telefon aus unterbrach ihn Strick­land: »Man braucht eine Unterschrift für diese Presseverlautba­rung, Oliver. Vorzugweise die Ihre, wenn's Ihnen nichts aus­macht.«