Выбрать главу

»Warum nicht die vom Chef?« fragte Lacon vorsichtig.

»Scheinen anzunehmen, Ihre hätte mehr Gewicht, wenn Sie mich fragen.«

»Sagen Sie, Moment noch«, sagte Lacon und rammte mit wind­mühlenartigem Armschwung eine Faust in die Tasche. »Kann ich Ihnen die Schlüssel geben, George?« Er ließ sie vor Smileys Gesicht baumeln. »Unter bestimmten Bedingungen? Einverstanden?« Die Schlüssel baumelten weiter. Smiley starrte sie an, und vielleicht fragte er »Welche Bedingungen?«, aber vielleicht starrte er auch schweigend; er war nicht eigentlich in der Stim­mung zu palavern. Seine Gedanken waren bei Mostyn und den fehlenden Zigaretten; oder bei Anrufen, Nachbarn betreffend; bei Agenten ohne Gesicht; beim Schlaf. Lacon zählte auf. Er legte größten Wert auf Numerierung seiner Klauseln. »Erstens, daß Sie Privatmann sind. Wladimirs Testamentsvollstrecker, nicht unserer. Zweitens, daß Sie der Vergangenheit angehören, nicht der Gegenwart, und sich entsprechend verhalten. Der keimfreien Vergangenheit. Daß Sie Öl auf die Wogen gießen und sie nicht etwa aufrühren. Daß sie Ihr altes berufliches Interesse an ihm unterdrücken, versteht sich, denn Ihres bedeutet unseres. Kann ich Ihnen zu diesen Bedingungen die Schlüssel geben? Ja? Nein?«

Mostyn stand in der Küchentür. Er wandte sich an Lacon, doch seine ernsten Augen glitten dauernd zu Smiley.

»Was gibt's, Mostyn?« fragte Lacon. »Machen Sie schon!«

»Mir ist gerade eine Eintragung auf Wladimirs Karte eingefallen, Sir. Er hatte eine Frau in Reval. Ich fragte mich, ob sie benach­richtigt werden sollte. Ich dachte nur, ich müßte es erwähnen.« »Die Kartei ist auch hierin ungenau«, sagte Smiley und erwiderte Mostyns Blick. »Seine Frau war bei ihm in Moskau, als er über­lief, sie wurde verhaftet und in ein Arbeitslager gebracht, wo sie starb.«

»Mr. Smiley muß in dieser Angelegenheit das tun, was er für rich­tig hält«, sagte Lacon schnell, um einem weiteren Ausbruch zu­vorzukommen, und ließ die Schlüssel in Smileys passive Hand fal­len. Plötzlich geriet alles in Bewegung. Smiley war auf den Bei­nen, Lacon war bereits halbwegs durchs Zimmer, und Strickland hielt ihm den Hörer hin. Mostyn war in die dunkle Diele ge­schlüpft und hatte Smileys Regenmantel vom Haken genommen. »Was hat Wladimir sonst noch am Telefon zu Ihnen gesagt, Mostyn?« fragte Smiley ruhig und ließ einen Arm in den Ärmel fallen.

»Er sagte: >Sagen Sie Max, es betrifft den Sandmann. Sagen Sie ihm, ich habe zwei Beweise und kann sie mitbringen. Dann wird er mich vielleicht treffen wollen.< Er sagte es zweimal. Es war auf dem Band, aber Strickland hat es gelöscht.«

»Wissen Sie, was Wladimir damit gemeint hat? Sprechen Sie lei­se.«

»Nein, Sir.«

»Nichts auf der Karte?«

»Nein, Sir.«

»Wissen die anderen, was er meinte?« fragte Smiley und ruckte mit dem Kopf rasch in Richtung Strickland und Lacon.

»Strickland vielleicht, ich bin nicht sicher.«

»Wladimir hat wirklich nicht nach Esterhase gefragt?«

»Nein, Sir.«

Lacon war am Telefon fertig. Strickland nahm ihm den Hörer ab und sprach selber hinein. Als er Smiley an der Tür sah, sprang Lacon quer durchs Zimmer und schüttelte seine Hand wie einen Pumpenschwengel.

»George! Altes Haus! Leben Sie wohl! Hören Sie. Ich möchte mit Ihnen gelegentlich über die Ehe sprechen. Ein Seminar, bei dem alle Griffe erlaubt sind. Ich erwarte von Ihnen eine Aufklä­rung mit allen Schikanen. George!«

»Ja. Wir müssen uns wiedersehen«, sagte Smiley.

Als er an sich herunterblickte, sah er, daß Lacon ihm die Hand schüttelte.

Ein bizarres Nachspiel machte den konspirativen Zweck dieser Zusammenkunft zunichte. Nach den gängigen Zunftregeln des Circus müssen in sicheren Häusern verborgene Mikrophone an­gebracht werden. Die Agenten finden sich in ihrer sonderbaren Art damit ab, auch wenn sie darüber nicht informiert werden, auch wenn ihre Einsatzleiter so tun, als machten sie sich Noti­zen. Für seinen Treff mit Wladimir hatte Mostyn in Erwartung des alten Mannes die Anlage ordnungsgemäß eingeschaltet, und niemandem war es in der darauffolgenden Panik eingefallen, sie wieder abzustellen. Der Routineweg brachte die Bänder zur Ab­teilung Abhörprotokollierung, die in aller Unschuld einige Ex­emplare des ausgeschriebenen Textes in Umlauf gab. Der glück­lose Chef des Zwingers bekam eine Kopie, desgleichen das Se­kretariat, desgleichen die Leiter der Abteilungen Personal, Ein­satz und Finanzen. Erst, als eine Kopie in Lauder Stricklands Einlaufkorb landete, kam es zum Knall, und die unschuldsvollen Empfänger wurden unter allen möglichen fürchterlichen Dro­hungen zur Geheimhaltung vergattert. Das Band ist tadellos. Lacons rastloses Hin- und Hergehen ist darauf, Stricklands halblaute Bemerkungen, einige davon obszöner Natur, sind zu hören. Nur Mostyns in der Diele geflüsterte Geständnisse feh­len.

Was Mostyn selber betrifft, so spielte er in der Angelegenheit weiter keine Rolle mehr. Er reichte einige Monate später von sich aus seine Entlassung ein und erhöhte so die Ausschußrate, über die heutzutage allerseits so bewegte Klage geführt wird.

6

Das gleiche Ungewisse Licht, das Smiley begrüßte, als er dankbar aus der sicheren Wohnung in die frische Luft dieses Hamp­stead-Morgens trat, begrüßte auch die Ostrakowa-obgleich der Pariser Herbst schon weiter fortgeschritten war und nur noch einige wenige Blätter an den Platanen hingen. Wie Smiley hatte sie eine ruhelose Nacht verbracht. Noch vor Tagesanbruch war sie aufgestanden, hatte sich bedachtsam angezogen und, da es draußen kalt aussah, überlegt, ob dies nicht der Tag sei, die Win­terstiefel hervorzuholen, denn der Durchzug im Lagerhaus konnte abscheulich sein und setzte ihren Beinen immer mehr zu. Immer noch unentschlossen hatte sie das warme Schuhwerk aus dem Schrank gefischt, abgewischt und sogar poliert, ohne sich indes endgültig entscheiden zu können, ob sie die Stiefel anzie­hen sollte oder nicht. So ging es ihr immer, wenn sie sich mit ei­nem großen Problem herumschlug: Die Kleinigkeiten wuchsen ihr über den Kopf. Sie kannte alle die Zeichen, fühlte sie heran­kommen, konnte aber nichts dagegen tun. Sie würde ihre Geld­börse verlegen, bei der Buchführung im Lagerhaus patzen, sich aus ihrer Wohnung aussperren und diese alte Närrin von Con­cierge holen müssen, Madame la Pierre, die schniefte und mit dem Kopf ruckte, wie eine Ziege im Brennesselschlag. Auch konnte sie in dieser Stimmung, trotz fünfzehnjähriger Gewohn­heit, in den falschen Bus steigen und wütend in irgendeiner fremden Umgebung wieder auftauchen. Schließlich zog sie die Stiefel doch an - nannte sich dabei brummend »alte Närrin, Kre­tin« und dergleichen mehr - und machte sich mit ihrer schweren Einkaufstasche, die sie schon am Vorabend bereitgestellt hatte, auf den gewohnten Weg. Sie ging an ihren drei Stammgeschäften vorbei, ohne eines davon zu betreten, und versuchte herauszufinden, ob sie dabei sei, den Verstand zu verlieren oder nicht. Ich bin verrückt. Ich bin nicht verrückt. Jemand versucht, mich umzubringen. Jemand versucht, mich zu beschützen. Ich bin in Sicherheit. Ich bin in Lebensgefahr. Hin und her.

In den vier Wochen, die seit dem Besuch ihres kleinen estnischen Beichtvaters vergangen waren, hatte sie viele Veränderungen an sich festgestellt, und für die meisten war sie gar nicht undankbar. Die Frage, ob sie sich in ihn verliebt habe, stand dabei nicht zur Debatte: Er war im genau richtigen Augenblick erschienen, und das Piratenhafte an ihm hatte ihren Oppositionsgeist neu ange­facht, als er gerade zu erlöschen drohte. Der Magier hatte sie dem Leben wiedergegeben, und er besaß genug von einem Gassenka­ter, um sie an Glikman und auch an andere Männer zu erinnern; sie war nie eine Kostverächterin gewesen. Und da der Magier, dachte sie, zu alledem gut aussieht und ein Frauenkenner ist und in mein Leben tritt, bewaffnet mit einem Bild meines Peinigers sowie dem offensichtlichen Vorsatz, diesem Burschen das Handwerk zu legen - nun, da wäre es doch für eine alte einsame Närrin wie mich ausgesprochen unschicklich, sich nicht auf der Stelle in ihn zu verlieben!