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»Stella? Ich bin's. Max,« sagte er.

Er stieß die Tür zum Wohnzimmer auf, und da saß sie, in der Ecke zwischen dem Klavier und dem Fenster, und schaute ihn mit kalter Entschlossenheit an. Sie hatte keine Angst, aber sie sah aus, als haße sie ihn. Sie trug ein langes asiatisches Gewand und kein Make-up. Sie hielt das Kind im Arm, einen Knaben oder ein Mädchen, er konnte es nicht sagen und sich auch nicht erinnern. Sie drückte den zerzausten Kopf an ihre Schulter, hielt dem Kleinen eine Hand über den Mund, um es am Schreien zu hin­dern, und sah Smiley über das Kind hinweg herausfordernd und argwöhnisch an.

»Wo ist Willem?« fragte er.

Langsam nahm sie ihre Hand weg, und Smiley erwartete, daß das Kind losbrüllen werde, doch es starrte ihn nur zur Begrüßung an.

»Er heißt William«, sagte sie ruhig. »Merken Sie sich das endlich, Max. Sein eigener Entschluß. William Craven. Britisch bis ins Mark. Nicht estnisch, nicht russisch. Britisch.« Sie war eine schöne, dunkelhaarige und stille Frau. Wie sie so in der Ecke saß und ihr Kind hielt, sah sie aus, als sei sie für alle Zeiten vor den schwarzen Hintergrund gemalt.

»Ich möchte mit ihm sprechen, Stella. Ich verlange nicht, daß er irgendetwas tut. Vielleicht kann ich ihm sogar helfen.«

»Das hab ich schon mal gehört, oder nicht? Er ist weggegangen, zur Arbeit, wo er hingehört.«

Smiley ließ es einsickern.

»Was tut dann sein Laster vor der Tür?« wandte er sanft ein.

»William ist im Lagerhaus. Wurde mit einem Auto abgeholt.«

Smiley ließ auch dies einsickern.

»Für wen ist dann die zweite Teetasse in der Küche?«

»Er hat nichts damit zu tun«, sagte sie.

Smiley ging nach oben, und sie ließ ihn gewähren. Eine Tür war direkt vor ihm, rechts und links waren zwei weitere Türen, beide offen, eine führte ins Kinderzimmer, die andere ins Schlafzim­mer. Die Tür vor ihm war geschlossen, und als er klopfte, kam keine Antwort.

»Willem, ich bin's, Max«, sagte er. »Ich muß mit Ihnen reden, bitte. Dann geh ich und laß Sie in Ruhe, das verspreche ich Ih­nen.«

Er wiederholte das Ganze nochmals, Wort für Wort, und stieg dann wieder die steile Treppe zum Wohnzimmer hinunter. Das Kind hatte laut zu weinen angefangen.

»Vielleicht könnten Sie jetzt diesen Tee machen«, schlug er zwi­schen zwei Schluchzern des Kindes vor.

»Sie sprechen mir nicht mehr mit ihm allein, Max. Ich will nicht, daß Sie ihn wieder in Versuchung führen.«

»Das habe ich nie getan. Das war nicht meine Aufgabe.«

»Er hält immer noch die größten Stücke auf Sie. Das genügt mir.«

»Es geht um Wladimir«, sagte Smiley.

»Ich weiß, worum es geht. Schließlich haben sie ja die halbe Nacht angerufen, nicht wahr?«

»Wer, sie

»>Wo ist Wladimir? Wo ist Wladi?< Wofür hält man William ei­gentlich? Für Jack the Ripper? Er hat seit Gott weiß wie lange von Wladimir weder etwas gehört noch gesehen. Oh, Beckie, Darling, sei doch still!« Sie ging durchs Zimmer, grub unter ei­nem Wäschehaufen eine Dose Biskuits hervor und schob dem Kind eines davon energisch in den Mund. »Ich bin sonst nicht so«, sagte sie.

»Wer hat nach ihm gefragt?« beharrte Smiley sanft.

»Mikhel, wer sonst? An Mikhel erinnern Sie sich doch, unser As von Radio Freies Europa, designierter Premierminister von Est­land, Renntip - Hausierer? Um drei Uhr morgens, während Beckie einen Zahn bekommt, geht das Misttelefon. Am Apparat ist Mikhel, und er zieht seine Schnauf- und Flüsternummer ab. >Wo ist Wladi, Stella? Wo ist unser Führer?< Ich sage zu ihm: >Sie sind wohl bescheuert, wie? Glauben Sie denn, Sie könnten mit Ihrem Gewisper eine Abhörschaltung austricksen? Sie sind total meschugge<, sag ich zu ihm. >Bleiben Sie bei Ihren Rennpferden und lassen Sie die Pfoten von der Politik<, hab ich zu ihm gesagt.« »Warum war er so besorgt?« fragte Smiley.

»Wladi schuldete ihm Geld, darum. Fünfzig Pfund. Vermutlich gemeinsam auf ein Pferd verwettet, eines ihrer zahlreichen >Fer­ner liefen<, Wladi hatte versprochen, das Geld bei Mikhel vor­beizubringen und mit ihm eine Partie Schach zu spielen. Mitten in der Nacht, wohlgemerkt. Schlaflosigkeit und Patriotismus gehen offenbar Hand in Hand. >Unser Führer ist nicht gekom­men !< Tragödie. >Warum zum Teufel soll William wissen, wo er ist?< frage ich ihn. >Gehen Sie schlafen.< Eine Stunde später, wer ist wieder am Apparat? Schnaufend, wie zuvor? Unser Major Mikhel, Held der Königlich Estnischen Kavallerie. Knallt die Hacken zusammen und entschuldigt sich. Er war bei Wladi, hat an die Tür gebollert und geklingelt. Niemand zu Hause. >Hören Sie, Mikhel<, sage ich. >Wir verstecken ihn nicht auf dem Dach­boden, wir haben ihn seit Beckies Taufe weder gesehen noch et­was von ihm gehört. Kapiert? William ist gerade aus Hamburg zurückgekommen, er braucht Schlaf, und ich werde ihn nicht wecken. <«

»Er hat also wieder eingehängt«, meinte Smiley.

»Den Teufel hat er! Er ist ein aufdringlicher Kerl. >William ist Wladis Favorit<, sagt er. >Wofür?< sage ich. >Für das Drei-Uhr-dreißig-Rennen in Ascot? Nun gehn Sie schon verdammt noch­mal schlafen !< >Wladimir hat immer zu mir gesagt, wenn etwas schiefgeht, soll ich William anrufen.< >Was soll er denn tun?< sage ich. >Mit dem Brummi in die Stadt fahren und auch an Wladimirs Tür bollern?< Herrgottnochmal!«

Sie setzte das Kind auf einen Stuhl. Es blieb sitzen und mum­melte zufrieden an seinem Biskuit.

Man hörte das Geräusch einer heftig zugeschlagenen Tür, ge­folgt von schnellen Schritten, die die Treppe herabkamen.

»William ist aus der Sache raus, Max«, warnte Stella und starrte Smiley unverwandt an. »Er ist unpolitisch, er ist unabhängig und er hat's verwunden, daß sein Vater ein Märtyrer war. Er ist jetzt ein großer Junge und kann auf eigenen Füßen stehen. Klar? Ich sagte >Klar<?«

Smiley war ans andere Ende des Zimmers gegangen, möglichst weit weg von der Tür. Willem kam zielstrebig herein, immer noch in Trainigsanzug und Laufschuhen, ungefähr zehn Jahre jünger als Stella und irgendwie leichtgewichtiger, als für ihn gut war. Er hockte sich aufs Sofa, an die Kante, und sein Blick ging gespannt zwischen seiner Frau und Smiley hin und her, als über­lege er, wer von den beiden ihn zuerst anspringen werde. Seine hohe Stirn sah seltsam bleich aus unter dem dunklen zurückge­strichenen Haar. Er hatte sich rasiert, wodurch sein Gesicht vol­ler und sogar noch jünger wirkte. Die vom Fahren rot geränder­ten Augen waren braun und leidenschaftlich.

»Hallo, Willem«, sagte Smiley.

»William«, verbesserte ihn Stella.

Willem nickte ernsthaft, als ob er beide Formen anerkenne.

»Hallo, Max«, sagte Willem. Auf seinem Schoß fanden sich die Hände und hielten einander fest. »Wie geht's, Max? Wie steht's, he?«

»Ich nehme an, Sie haben schon von Wladimir gehört«, sagte Smiley.

»Gehört? Was gehört, bitte?«

Smiley ließ sich Zeit. Er beobachtete ihn und spürte seine Ner­venanspannung.

»Daß er verschwunden ist«, antwortete Smiley schließlich leichthin. »Ich nehme an, seine Freunde haben Sie zu ganz un­christlichen Zeiten angerufen.«

»Freunde?« Willem warf einen hilfesuchenden Blick auf Stella. »Alte Emigranten, trinken Tee, spielen den ganzen Tag Schach, politisieren? Spinnen verrückte Träume? Mikhel ist nicht mein Freund, Max.«

Er redete schnell, die fremde Sprache machte ihn ungeduldig, dieser armselige Ersatz für seine eigene. Während Smiley sprach, als habe er den ganzen Tag vor sich.

»Aber Wladi ist Ihr Freund«, wandte er ein. »Wladi war schon ein Freund Ihres Vaters. Die beiden waren in Paris zusammen. Waffenbrüder. Sind zusammen nach England gekommen.«