»In Wohnung. Er hat mir gesagt: >Nur in Wohnung anrufen. Niemals in der Bibliothek. Mikhel ist guter Mann, aber er ist nicht eingeweiht. <«
Und, fuhr Willem fort, innerhalb kürzester Zeit - er hatte vergessen, wie kurz - war Wladimir in einem Mini-Taxi gekommen, was er nie zuvor getan hatte, mit der Ente für Beck. Willem gab ihm den gelben Umschlag mit den Schnappschüssen, und Wladimir ging damit zum Fenster. Sehr langsam, »als ob's was Geweihtes aus einer Kirche wäre«, hatte Wladimir, mit dem Rücken zu Willem, die Negative nacheinander gegen das Licht gehalten, bis er offenbar auf das gesuchte gestoßen war, und danach hatte er es noch eine lange Zeit betrachtet.
»Nur eines?« fragte Smiley schnell, da er wieder an die zwei Beweise dachte. »Ein Negativ?«
»Sicher.«
»Einen Rahmen oder einen Streifen?«
Rahmen: Willem war sicher. Ein kleiner Rahmen. Jawohl, fünfunddreißig Millimeter, wie seine eigene Agfa Automatic. Nein, Willem hatte nicht sehen können, was darauf war, Text oder sonstwas. Er hatte nur Wladimir gesehen, sonst nichts.
»Wladi war rot, Max. Wild im Gesicht, Max, glänzend mit den Augen. Er war alter Mann.«
»Und auf der Fahrt«, unterbrach Smiley Willems Bericht, um eine entscheidende Frage zu stellen. »Auf dem ganzen Weg von Hamburg nach Hause, haben Sie da nie einen Blick darauf riskiert?«
»War Geheimnis, Max. War militärisches Geheimnis.«
Smiley blickte Stella an.
»Würde er nie tun«, sagte sie in Beantwortung seiner stummen Frage. »Dafür ist er zu ehrlich.«
Smiley glaubte ihr.
Willem nahm seine Geschichte wieder auf. Wladimir steckte den gelben Umschlag in die Tasche, führte Willem in den Garten und dankte ihm, hielt Willems Hand in beiden Händen und sagte ihm, was für eine Großtat er vollbracht habe, die allergrößte: daß Willem seines Vaters Sohn sei, ein noch besserer Soldat sogar als sein Vater - beste estnische Rasse, seriös, gewissenhaft und zuverlässig; daß sie mit diesem Foto viele Schulden abtragen und es den Bolschewiken ordentlich heimzahlen könnten; daß das Foto ein Beweis sei, um den niemand herumkomme. Ein Beweis, wofür, sagte er jedoch nicht - nur, daß Max ihn sehen und daran glauben und entsprechend handeln werde. Willem wußte nicht recht, warum sie in den Garten hatten gehen müssen, aber er vermutete, daß der alte Mann in seiner Erregung vor Mikrophonen Angst bekommen hatte, denn er sprach auch schon wieder jede Menge über Sicherheit.
»Ich bring ihn zur Gartentür, aber nicht zum Taxi. Er sagt, ich soll nicht zum Taxi mitkommen. >Willem, ich bin alter Mann<, sagt er zu mir. Wir sprechen russisch. >Kann sein, nächste Woche fall ich tot um. Wenn schon! Heute haben wir große Schlacht gewonnen. Max wird mächtig stolz auf uns sein!«
Die Richtigkeit der letzten Worte des Generals traf Willem so sehr, daß seine braunen Augen loderten und er wütend aufsprang. »War Sowjets!« schrie er. »War Sowjetspione, Max, sie töten Wladimir. Er weiß zuviel!«
»Genau wie du«, sagte Stella, und es folgte ein langes verlegenes Schweigen. »So, wie wir alle«, fügte sie mit einem Blick auf Smiley hinzu.
»War das alles?« fragte Smiley. »Hat er sonst nichts gesagt, zum Beispiel über die Wichtigkeit der Aufgabe, die Sie erledigt haben? Nur, daß Max glauben wird?«
Willem schüttelte den Kopf.
»Oder über irgendwelche weiteren Beweise?«
Nichts, sagte Willem; sonst nichts.
»Auch nichts darüber, wie er sich vorher mit Hamburg in Verbindung gesetzt und alles abgesprochen hatte? Ob noch andere Gruppen beteiligt waren? Bitte, denken Sie nach.«
Willem dachte nach, jedoch ohne Erfolg.
»Wem haben Sie denn noch davon erzählt, außer mir?« fragte Smiley.
»Niemand! Max, niemand!«
»Hat gar nicht Zeit dazu gehabt«, sagte Stella.
»Niemand! Auf Fahrt schlafe ich in Kabine, spare zehn Pfund Übernachtungsgeld. Wir kaufen Haus mit Erspartem. In Hamburg erzähle ich niemand. Im Lagerhaus, niemand!«
»Hat Wladimir jemanden ins Vertrauen gezogen - ich meine, jemanden, den Sie kennen?«
»Von der Gruppe niemand, nur Mikhel, wie nötig, aber nicht ganz, nicht einmal Mikhel. Ich frag ihn: >Wladimir, wer weiß, daß ich das für Sie tue?< >Nur Mikhel ein ganz kleines bißchen<, sagt er. >Mikhel leiht mir Geld, leiht mir Fotokopierer, er ist mein Freund. Aber selbst Freunden können wir nicht trauen. Feinde fürchte ich nicht, Willem. Aber Freunde fürchte ich gewaltig.«
Smiley wandte sich an Stella: »Sollte die Polizei hierherkommen«, sagte er. »Sollte sie kommen, so wird sie nur wissen, daß Wladimir gestern bei Ihnen vorbeigeschaut hat. Sie wird bis zum Taxifahrer vorgestoßen sein, genau wie ich.«
Stella beobachtete ihn mit ihren großen klugen Augen.
»Also?« fragte sie.
»Also behalten Sie den Rest für sich. Die Polizei weiß, was sie wissen muß. Alles weitere würde nur eine Belastung für sie sein.«
»Fürsie oder für Sie?« fragte Stella.
»Wladimir hat gestern Beckie besucht und ihr ein Geschenk gebracht. Das ist die Legende, haargenau Williams erste Version der Geschichte. Wladimir wußte nicht, daß Sie mit Beckie zu Ihrer Mutter gefahren waren. Er fand William allein vor, die beiden haben über alte Zeiten geplaudert und sind im Garten spazieren gegangen. Er konnte wegen des Taxis nicht mehr länger warten und ist also abgezogen, ohne Sie oder sein Patenkind gesehen zu haben. Mehr war nicht.«
»Sind Sie hier gewesen?« Stella beobachtete ihn immer noch. »Wenn danach gefragt wird, ja. Ich bin heute gekommen, um Ihnen die schlechte Nachricht schonend beizubringen. Daß William der Gruppe angehört hat, interessiert die Polizei nicht. Für sie zählt nur die Gegenwart.«
Erst jetzt wandte Smiley seine Aufmerksamkeit wieder Willem zu. »Sagen Sie, haben Sie noch etwas anderes für Wladimir mitgebracht?« fragte er. »Außer dem, was im Umschlag war? Ein Geschenk vielleicht? Was er gern hatte, aber nicht selbst kaufen konnte?«
Willem konzentrierte sich energisch auf die Frage, ehe er antwortete. »Zigaretten!« rief er plötzlich. »Auf Boot kaufe ich ihm französische Zigaretten als Geschenk. Gauloises, Max. Mag er sehr gern! >Gauloises Caporal, mit Filter, Willem.< Sicher!«
»Und die fünfzig Pfund, die Wladimir von Mikhel geborgt hatte?« fragte Smiley.
»Geb ich zurück. Sicher.«
»Alles?« sagte Smiley.
»Alles. Zigaretten waren Geschenk. Max, ich liebe diesen Mann.«
Stella brachte ihn hinaus, und an der Tür nahm er sie sanft am Arm und führte sie ein paar Schritte in den Garten, außer Hörweite ihres Mannes.
»Ihr habt den Zug verpaßt«, sagte sie zu ihm. »Was ihr auch tut, früher oder später muß die eine oder die andere Seite aufstecken. Ihr seid wie die Gruppe.«
»Seien Sie ruhig und hören Sie zu«, sagte Smiley. »Hören Sie zu?«
»Ja.«
»William darf mit niemandem über diese Sache sprechen. Mit wem redet er gern im Lagerhaus?«
»Mit aller Welt.«