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»Also, Sie flogen allein nach Moskau«, sagte Smiley ziemlich barsch. »Die Konferenz war im Gange, Sie wurden zu einer Un­terredung beordert. Bitte fahren Sie hier fort. Wir haben nicht den ganzen Nachmittag Zeit, wie Sie wissen.«

Die Konferenz habe am Montag angefangen, wiederholte Grigo­riew gehorsam, was er bereits ausgesagt hatte. »Am Freitag­nachmittag kehrte ich ins Gästehaus zurück, um meine Sachen zu holen und sie in Eudokias Wohnung zu bringen, zu unserem kleinen gemeinsamen Wochenende. Doch statt dessen erwarte­ten mich drei Herren und nötigten mich in ihren Wagen, noch kommentarloser, als Sie das taten« - Seitenblick zu Toby - »Sie sagten mir nur, ich würde für eine Sonderaufgabe benötigt. Während der Fahrt ließen sie mich wissen, daß sie dem Drei­zehnten Direktorium der Moskauer Zentrale angehörten, also der Elite, wie das ganze offizielle Moskau weiß. Ich hatte den Eindruck, daß es sich um intelligente Leute handelte, über dem Durchschnitt ihres Gewerbes, der, mit Verlaub gesagt, nicht sehr hoch ist. Ich hatte den Eindruck, daß sie höhere Chargen seien, nicht bloß Lakaien. Dennoch machte ich mir weiter keine Sorgen. Ich nahm an, man benötige mein fachliches Gutachten über irgendeine Geheimsache, das war alles. Die Herren waren höflich, und ich fühlte mich sogar irgendwie geschmeichelt . . .«

»Wie lang war die Fahrt?« unterbrach Smiley ihn, ohne mit dem Schreiben innezuhalten.

Quer durch die Stadt, erwiderte Grigoriew vage. Quer durch die Stadt, dann hinaus aufs Land, bis zum Einbruch der Dunkelheit. Bis wir zu diesem kleinen Mann kamen, der wie ein Mönch in ei­ner Art Zelle saß und ihr Chef zu sein schien.

Hier bestätigt Toby unweigerlich aufs neue, wie einzigartig Smi­ley die Situation meisterte. Es beweise Smileys bisher uner­reichte Verfahrenstechnik, sagt Toby - und auch, wie völlig er Grigoriew im Griff hatte -, daß er während Grigoriews langatmiger Schilderung nicht ein einziges Mal, ob durch eine über­stürzte Nachstoß-Frage oder auch nur die geringste Abwei­chung in seinem Tonfall, der unpersönlichen Rolle untreu wur­de, die er für das Verhör gewählt hatte. Durch seine Zurückge­nommenheit, behauptet Toby, hielt George die ganze Szene rundum in der Hand«. Die kleinste unbedachte Regung seiner­seits hätte alles verderben können, aber er machte keine. Und als krönendes Beispiel bringt Toby gern diesen entscheidenden Moment, in dem der wirkliche Karla zum erstenmal auftauchte. Jeder andere Befrager, sagt Toby, hätte bei der bloßen Erwäh­nung eines »kleinen Mannes, wie ein Mönch, der ihr Chef zu sein schien«, auf eine Beschreibung gedrängt - sein Alter, Rang, was er trug, rauchte, wieso wußten Sie, daß er der Chef war? Nicht Smiley. Smiley stieß mit einem unterdrückten Ausruf des Un­muts die Spitze des Kugelschreibers mehrmals auf seinen Notiz­block und forderte Grigoriew mit Engelsgeduld auf, jetzt und in Zukunft freundlichst nicht über faktische Einzelheiten hinweg­zugehen. »Lassen Sie mich die Frage wiederholen. Wie lang war die Fahrt? Bitte beschreiben Sie alles ganz genau nach Ihrer Erin­nerung, und dann wollen wir weitergehen.«

Der geknickte Grigoriew bat tatsächlich um Entschuldigung. Er würde sagen, daß sie vier Stunden lang mit hoher Geschwindig­keit gefahren seien, vielleicht länger. Er erinnere sich jetzt, daß sie zweimal haltgemacht hätten, um sich zu erleichtern. Nach vier Stunden seien sie in ein Sperrgebiet eingefahren - nein, ich sah keine Achselstücke, die Wachen trugen einfache Anzüge -und mindestens eine halbe Stunde lang tief ins Innere gefahren. Wie in einem Alptraum.

Hier machte Smiley wiederum einen Einwand, denn er war ent­schlossen, die Temperatur so niedrig wie möglich zu halten. Wie es ein Alptraum sein konnte, wollte er wissen, da Grigoriew doch erst vorhin behauptete, er habe sich nicht geängstigt? Nun ja, nicht direkt ein Alptraum, genauer gesagt, ein Traum. In diesem Augenblick habe Grigoriew den Eindruck gehabt, er werde vor den Gutsherrn gebracht - er benutzte das russische Wort, und Toby übersetzte es -, während er selber sich immer mehr wie ein armer Bauer fühlte. Daher ängstigte er sich auch nicht, denn er hatte keine Macht über die Ereignisse, und folglich hatte er sich auch nichts vorzuwerfen. Aber als der Wagen end­lich anhielt und einer der Männer ihm die Hand auf den Arm legte und eine Warnung aussprach; von diesem Moment an habe seine Haltung sich völlig verändert: »Sie werden jetzt einem gro­ßen Sowjetkämpfer und einem mächtigen Mann begegnen«, hatte die Warnung gelautet. »Sollten Sie es ihm gegenüber an Re­spekt fehlen lassen oder versuchen, ihn zu belügen, so werden Sie Ihre Frau und Ihre Familie vielleicht niemals wiedersehen.«

»Wie heißt dieser Mann?« hatte Grigoriew gefragt.

Aber der andere erwiderte lächelnd, dieser große Sowjetkämpfer habe keinen Namen. Grigoriew fragte, ob es vielleicht Karla per­sönlich sei; er wußte, daß Karla der Codename des Vorsitzenden des Dreizehnten Direktoriums war. Der Mann wiederholte nur, der große Kämpfer habe keinen Namen.

»So wurde aus dem Traum ein Alptraum«, sagte Grigoriew er­bötig. »Und mein Liebes-Wochenende könne ich abschreiben, sagten sie. Meine kleine Eudokia müsse sich ihren Spaß ander­weitig suchen, sagten sie. Dann lachte einer von ihnen.«

Nun bekam Grigoriew große Angst, und als er den ersten Raum betreten hatte und sich der zweiten Tür näherte, zitterten ihm die Knie vor Furcht. Er hatte sogar noch Zeit, sich um die geliebte Eudokia Sorgen zu machen. Wer mochte dieser Übermensch sein, fragte er sich in ehrfürchtigem Schrecken, der fast schon vor Grigoriew selber von dieser Verabredung mit Eudokia an diesem Wochenende wissen konnte?

»Dann klopften Sie an die Tür«, sagte Smiley eifrig schreibend. »Und wurde aufgefordert, einzutreten!« fuhr Grigoriew fort. Seine Geständnisfreudigkeit stieg; und damit die Abhängigkeit von seinem Befrager. Seine Stimme war lauter geworden, sein Gestus freier. Es war, als versuchte er, sagt Toby, Smiley mit physischen Mitteln aus der Reserve zu locken; während in Wahrheit Smileys gespielte Gleichgültigkeit Grigoriew dazu verlockte, immer mehr aus sich herauszugehen. »Dann stand ich nicht etwa in einem geräumigen und prächtigen Büro, wie es ei­nem hohen Staatsbeamten und großen Sowjetkämpfer zu­kommt, sondern in einem so kärglichen Raum, daß er als Ge­fängniszelle hätte dienen können, mit einem leeren Schreibtisch in der Mitte und einem hölzernen Besucherstuhl davor: Beden­ken Sie, ein großer Sowjetkämpfer und ein mächtiger Mann! Und alles, was er hatte, war ein leerer Schreibtisch, den nur eine höchst armselige Lampe beleuchtete! Und dahinter saß dieser Priester, ein Mann ohne alle Eitelkeit oder Großspurigkeit - ein Mann von gründlicher Erfahrung, würde ich sagen -, ein Mann aus den Wurzeln seines Landes gewachsen, mit kleinen, stetig blickenden Augen und kurzem grauen Haar, und er hielt die Hände aneinander, während er rauchte.«

»Was rauchte?« fragte Smiley und schrieb.

»Wie bitte?«

»Was rauchte er? Die Frage ist doch sehr einfach. Eine Pfeife, Zi­garetten, Zigarren?«

»Zigaretten. Amerikanische, und der Raum war voll von ihrem Aroma. Es war wieder wie in Potsdam, als wir mit den amerika­nischen Offizieren aus Berlin verhandelten. >Wenn dieser Mann die ganze Zeit Amerikanische raucht<, dachte ich, >dann ist er be­stimmt ein Mann von Einfluß.<« In seiner Erregung fuhr Grigo­riew wieder zu Toby herum und erklärte ihm dasselbe nochmals auf Russisch. Amerikanische Zigaretten rauchen, Kettenrau­chen, sagte er: Man stelle sich die Kosten vor, den Einfluß, den man haben muß, um so viele Päckchen zu bekommen!