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   Und jetzt standen wir auf dem Bahnhof, ich hatte  meinen  roten  Koffer  dabei  und  eine Platzkarte für Wagen 65, Sitz 34.

   »Iss Salat«, sagte meine Mutter, »und Gemüse.

Wenn er zu blöd ist, dir Salat und Gemüse zu geben, dann musst du selbst dafür sorgen, du weißt, wie man Salat anmacht, und Möhrchen

in Butter dünsten kannst du auch.«

      Sie  hatte  mir  die  Telefonnummer  unserer Bäckerei  an  der  Ecke  aufgeschrieben.  »Wenn irgendwas ist, rufst du da an«, schärfte sie mir ein. Und ich dachte: Was soll denn sein? und sagte: »Ja, ist gut.«

      Endlich  kam  der  Zug,  ich  konnte  meine Mutter  gerade  noch  davon  abhalten,  dem Schaffner  zu  sagen,  wo  ich  aussteigen  sollte.

»Ich  bin  doch  nicht  blöd,  Mama«,  sagte  ich.

»Du  hast  es  mir  doch  genau  aufgeschrieben, alle Stationen, und dass ich um  16 Uhr 23 an-komme,  weiß  ich  auch.«  Und  ich  zeigte  ihr die  große  wasserdichte Armbanduhr,  die  mir Onkel  Hans  zum  zehnten  Geburtstag  ge-schenkt  hatte.

   »Also dann«, seufzte sie und schob mich in den Zug. »Wenn das nur gut geht, schreib, hörst du? Und wasch dich anständig. Und iss gesund!

Und sieh zu, dass der Husten besser wird!«

   Ich stieg ein und winkte hinter der Tür.

   »Deinen Platz«, schrie sie, »such dir deinen Platz!«

   Mein Platz war in einem Abteil, in dem schon

eine Frau saß. Sie sah freundlich aus, aber ein bisschen ärgerlich war ich doch � ich wäre lieber  ganz  allein  gefahren.  Ich  winkte  meiner Mutter  noch  mal  zu,  die  hinter  der  Scheibe schrie: »Hast du die Fahrkarte?« Und da fuhr der Zug auch schon ab.

   Ich legte meinen kleinen Koffer neben mich auf einen Sitz und setzte mich ans Fenster. Die Frau  sah  mich  aufmerksam  an,  lächelte  und sagte:  »Guten  Tag.«  Sie  trug  ein  grünes  Kleid mit weißen Blumen, und obwohl sie wirklich nett  aussah,  dachte  ich:  Wenn  sie  bloß  jetzt nicht die ganze Zeit redet! Ich muss unbedingt nachdenken  über  Onkel  Hans  und  die  Tiere und muss mir alles ganz genau vorstellen, und darum sagte ich:

   »Guten Tag, ich heiße Katharina, ich bin elf Jahre alt, und ich fahre zu meinem Onkel Hans aufs Land. Ich bin ziemlich müde und mache deshalb jetzt meine Augen zu.«

   Und dann machte ich meine Augen zu und blinzelte  nur  mal  ein  bisschen  zwischen  den Wimpern  hervor,  wie  die  Frau  meine  Rede wohl aufgenommen hatte.

   Sie lächelte. Dann sagte sie: »Ich heiße Roswitha Gansauge, und über den Namen musst du keine Witze machen, ich kenne jeden Witz, den man mit Gansauge machen kann. Ich kann auf dem Kopf stehen und mit den Beinen wak-keln, was ich aber selten zeige, weil es in meinem Alter  nicht  mehr  gut  aussieht,  und  ich kann die Tiersprache, was mir niemand glaubt, aber wahr ist es doch, oder, Gustavo?« Und ich hörte plötzlich ein kleines, vergnügtes Knurren.

   Ich riss die Augen wieder auf und sah unter ihrem  Sitz  und  zwischen  ihren  Füßen  einen seltsamen,  gelbschwarzen  Hund  hervorschauen,  der  mich  betrachtete.  Er  hatte  ein hochstehendes  und  ein  herunterhängendes Ohr, ein Auge war gelb und eins schwarz um-rahmt, als trüge er eine Augenklappe, und er hielt  den  Kopf  schief,  sah  sehr  komisch  aus und knurrte freundlich vor sich hin.

   »Was sagt er?«, fragte ich.

    »Dass er es nett findet, mit dir zu reisen«, antwortete  Roswitha  Garisauge.

   »Warum heißt er Gustavo?«, fragte ich, und sie sagte:

   »Weil er aus Spanien stammt. Da heißt man so.«

      Ich  fragte:  »Können  Sie  wirklich  die  Tiersprache  verstehen?«

   »Natürlich«, sagte sie, »ich habe es irgendwann bemerkt, als ich ein Kind war, aber ich habe fast nie darüber gesprochen. Die Erwach-senen glauben einem ja so was nicht, und man muss dann immer gleich den Mund halten. Ich erzähle es nur den Kindern, denn die wissen, dass es wahr ist. Du glaubst mir doch, oder?«

   Sie sah mich an, und Gustavo kroch unter ihrem Sitz hervor, schnüffelte an meinen Beinen  und  wedelte  mit  einem  langen  dünnen Schwänzchen.

   »Darf ich ihn anfassen?«, fragte ich, und er sagte: »Ja.«

   »Er hat Ja gesagt!«, rief ich.

      »Ja,  natürlich  hat  er  das«,  lachte  Roswitha Gansauge. »Siehst du, du verstehst ihn auch.«

      Ich  war  völlig  aufgeregt  und  streichelte Gustavos  weichen  kleinen  Kopf.  »Aber  ich habe  noch  nie  Tiere  sprechen  hören!«,  sagte ich, und sie meinte:

Ich sah unter ihrem Sitz und zwischen ihren Füßen einen seltsamen, gelbschwarzen Hund hervorschauen.

   »Vielleicht hast du nie richtig hingehört. Was für Tiere kennst du denn?«

   Ich kannte den weißen Spitz von Frau Wese-mann, der hoch und schrill bellte und meine Tante Kläre einmal ins Bein gebissen hatte, ich kannte die müde alte Katze von Oma Krüger, die  auf  dem  Tisch  saß  und  mit  Oma  Krüger vom selben Teller aß, ich kannte den himmel-blauen  Wellensittich  von  meiner  Freundin Inge,  der  »Koko  ist  lieb«  und  »Koko  Koko Küsschen« sagen konnte, und � und � ?

      »Du  kennst  also  kein  Tier  richtig  gut  und nah«, stellte Roswitha Gansauge fest, und ich musste  zugeben:  »Nein.«

   Sie fragte: »Warum hat ein kleines Mädchen wie du keinen Hund oder eine Katze?«

   »Weil meine Mutter immer sagt >sonst noch was<«, erklärte ich, und sie fragte:

   »Und dein Vater?«

   Ich schwieg und dachte an meinen Vater, der nur ab und zu an den Sonntagen mal vorbei-kam, mich mit dem Auto abholte und mit mir ins Siebengebirge fuhr. Dann aßen wir auf dem Drachenfels  eine  Hühnersuppe,  er  machte

Zauberkunststücke mit Geld, Taschentüchern und  der  Speisekarte  und  fragte:  »Und,  was macht deine Mutter so?«, und sagte sofort hin-terher:  »Sag  ihr  aber  nicht,  dass  ich  nach  ihr gefragt habe.« Ich sah aus dem Fenster und tat so, als müsste ich über einen Hund, der an einer Kette bellte, ein bisschen weinen. Auf einer  Blechbude  stand  »Glashütte«,  und  unter einer  Glashütte  stellte  ich  mir  nun  wahrhaf-tig etwas anderes vor � das Leben schien mir voller  Enttäuschungen  zu  sein.

      »Verstehe«,  sagte  Roswitha  Gansauge,

»Gustavo,  erzähl  Katharina  mal,  woher  du kommst.«

      Gustavo  legte  seine  kleine  Schnauze  zärt-lich  in  meine  Hand,  wedelte,  schaute  mich sehr freundlich an und sagte: »Das ist viel zu traurig. Das erzähle ich nicht.«