Es müssen nicht unbedingt edelste Nippes sein, genauso wenig wie jeder Partner ein Supermodel sein kann. Aber bei jedem, ob Partner oder Souvenir, wird man sich an den zauberhaften, beschwingten Moment erinnern, an dem man sich das erste mal gesehen hat. Dann wird es verdammt schwierig, sich voneinander zu lösen, weil man den Gedanken an gute Stimmung nicht gern aufgeben mag. Das Summen der Stadt, in der man es gekauft hat, ist wieder da, die Sonne, der Geschmack von Eiscreme, der Geruch des eigenen verschwitzten T-Shirts. „Und wer’s nie gekonnt hat, stehle weinend sich aus diesem Bund“, hat Meister Schiller darüber geschrieben. Die Sache geht weiter, wenn man sich abends in Rom auf der Piazza Navona ein Getränk bestellt, die Handtasche voller Devotionalien, den Kopf voller Bilder, das Herz weit offen: „Freude sprudelt in Pokalen, in der Traube gold’nem Blut, trinken Sanftmut Kannibalen, die Verzweiflung Heldenmut. Brüder, fliegt von euren Sitzen, wenn der volle Römer kreist, lasst den Schaum zum Himmel sprützen, dieses Glas dem guten Geist.“
Römer! Diese Gläser mit dem grünen, geriffelten Stiel! Den runden Kelch gerne bedruckt mit Motiven von allerlei Orten wie „Schloss Neuschwanstein“ oder „Erlanger Weinfest“! Ausgerechnet dieses Souvenir gibt es in Rom nicht. Man braucht auch die lebendigen Römer gar nicht danach fragen, der Fall ist von angesehenen Historikern geklärt: Das Glas mit dem geriffelten Fuß ist eine Erfindung der RenaissanceNiederländer. „Berkenmayer“ hieß das Trinkgefäß dort im 16. Jahrhundert zunächst, und fiel vor allem wegen der Noppen oberhalb des Fußes auf. Der Fuß war aber die eigentliche Besonderheit, da für ihn ein langer Glasfaden im Kreis gelegt wurde. Bis zu zwanzig Zentimeter hohe Pokale wurden in dieser Form hergestellt. Diese Gläser ließen sich ausgesprochen gut und feierlich erheben und erhielten ihren Namen von der Sitte des „Roemens“, wie die Niederländer sagten, des „Rühmens“, was man gerne tut, wenn man sein Gals erhebt und dabei einen Trinkspruch auf jemanden ausbringt. 1501 in Neuss am Rhein nannte jemand dieses Glas nachweislich zum ersten Mal „Römer“.
Schon so mancher Italiener wird, ohne zu wissen, was er tut, vom Rhein einen Souvenir-Römer mit zurück nach Rom gebracht haben, um ihn zu den anderen Schätzen aus aller Welt in den Schrank zu stellen. Aber kein Italiener, der etwas auf sich hält, wird ernsthaft aus einem Römer trinken. In einem Lokal nicht, weil die germanischen Pokale dort nichts verloren haben, und zu Hause nicht, weil man weder Souvenirs noch andere Geliebte im Alltag verschleißen und damit unbrauchbar machen sollte. Im Gegenteil, sie werden sie zur ewigen Anbetung bewahren, den Römer aus der Rüdesheimer Drosselgasse in der Vitrine und die Geliebte im Herzen, wo sie einen Platz neben der Mama bekommt wie der Römer neben der leuchtenden Madonna aus Fatima. Ein kleiner Moment macht sie alle zur lebenslangen Liebe, und in den Herzen der Italiener ist Platz für viele Geliebte. Das ist der Grund, warum die Italiener so oft zu wildfremden Frauen „Ciao Bella“ sagen. Für sie ist der flüchtige Moment so kostbar wie die Ewigkeit, jede Dame wunderschön, und kein Krümelchen Amore jemals verschenkt ...
So etwas denkt man, wenn man bei Sonnenuntergang auf der Piazza Navona sitzt, den teuersten Prosecco der Stadt bestellt hat und eine nachts leuchtende Padre-Pio-Statuette in der Handtasche trägt. Einfach nur Tourist sein, seinem eigenen Klischee entsprechen, dabei den Moment genießen - auch das ist eine Kunst. Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt.
KÖNIGSBERGER KLOPSE
Spukgeschichten aus dem untergegangenen Ostpreußen
Die Insel im Fluss bietet Platz für jedermann. Auf den Bänken an der zentralen Promenade sitzen Mädchen in pinkfarbenen Miniröcken und zeigen, was sie schon haben. Gegenüber hocken die Jungs in zu weiten Jeans und zeigen, dass sie schon richtig gut rauchen, breitbeinig sitzen und eine Bierflasche halten können. Wenn einer sich Mut angeraucht hat, überquert er den Pflasterweg, schlendert dabei bemüht lässig um die quadratischen Raseninseln herum, die Mädchen fangen schon an zu kichern, und bietet ihnen dann eine Zigarette an.
Einige Bänke weiter sitzt ein Mittzwanziger und liest Zeitung. Ihm gegenüber ein Paar, das sich schon gefunden hat. Der kleine schwarze Hund des Parkwärters saust über diese Promenade und kontrolliert, ob auch wirklich alles in Ordnung ist. Vorbei an den alten Damen mit den großgeblümten, unterm Kinn geknoteten Kopftüchern, vorbei auch an den drei kräftigen Männern mit den kahl rasierten Köpfen und den verquollenen Augen, von denen jeder eine fast leere Wodkaflasche festhält. Vorbei an den deutschen Rentnern in ihren beigebraunen Funktionshosen, die mitten in einer der Raseninseln stehen, einer fotografiert und zwei lesen im Reiseführer, hinein in den eigentlichen Park, hindurch zwischen den scheinbar wahllos aufgestellten Skulpturen. Zurück durchs Gebüsch auf den geteerten Platz, wo ein paar kleine Mädchen Tretroller fahren. Wirklich niemand, der auf der Insel im Fluss nicht sein Plätzchen fände. Obwohl sie mitten im Zentrum der Stadt liegt und der Verkehr in endloser Folge über die weiß lackierte Stahlbrücke am Ende der Promenade zieht, ist der Lärm nur ein Summen in der Luft. Idyllisch ist diese Insel, und doch ist sie ein Ort des Spukes. Zentralinsel heißt sie, oder Kant-Insel, aber 600 Jahre lang hieß sie Kneiphof, und war kein Park, sondern das Zentrum einer Metropole, der Ort, an dem die Kaufmannshäuser dicht an dicht standen, die Suppenkessel dampften, die Waren durch die Gassen gekarrt wurden und die Damen in teuren Roben flanierten. Als die Insel Kneiphof hieß, trug die Stadt um sie herum den Namen Königsberg. Von ihr ist nichts übrig als Geister und Erinnerungen.
Kaliningrad heißt die neue Stadt an der Ostsee, in deren Mitte eine grüne Insel mit einer Promenade liegt. 1946 benannt nach dem Politiker Michail Iwanowitsch Kalinin, einem linientreuen Kommunisten und Stalin-Diener. Mit Königsberg hat Kaliningrad wenig mehr gemeinsam als den Boden, auf dem die beiden Städte stehen, und den Fluss Pregel. Im Grunde wurde Königsberg nicht einmal umbenannt, sondern es wuchs in ihren zerbombten und ausgebrannten Ruinen Kaliningrad als neue Stadt, mit einer komplett neu zugezogenen Bevölkerung aus Russland, Weißrussland, der Ukraine und Kasachstan, oder, wie es damals hieß, aus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Kaliningrad hat sein Zentrum bewusst nicht auf der Insel im Fluss gewählt, sondern einen guten Kilometer weiter nördlich, wo der Spuk nicht mehr ganz so erschreckend ist.
Bis in die 60 er Jahre war Königsberg wie ein kettenrasselnder Geist, nicht zu übersehen und irgendwie lästig, in Gestalt des zerbombten und ausgebrannten Domes auf der Pregelinsel, dem skelettartig heruntergekommenen alten Stadtschloss. Als Oberapparatschik Leonid Breschnew zum Chef aller Russen wurde, war es eine seiner ersten Amtshandlungen, neben allerlei anderen Geistern auch den Königsbergs auszutreiben. So wurden die Ruinen trotz Streits und Protests gesprengt. Preußens Gloria - weg damit und zugeteert.