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Dass Ihrem Fahrer Shiraz, der Wein, so fremd ist wie Ihnen Shiraz, die Stadt, hat er mit der Bemerkung bereits verraten. Dass er es bedauert, ebenso. Und dass es im Iran offiziell keinen Alkohol gibt, wird Ihnen längst aufgefallen sein. Schweigen Sie einfach und träumen Sie mit dem Fahrer ein wenig von Shiraz, während an ihrem Fenster graue Betonklötze und haushohe Märtyrerporträts vorbei ziehen. Shiraz dagegen ist das Bild des alten Iran, aus einer Zeit als die Welt noch in Ordnung war. Als die Herrscher des Landes nicht nur mächtig, sondern auch gütig, gerecht, schöngeistig und feierfreudig waren, überbordende Lustgärten anlegen ließen, in denen die schönsten Frauen aller Zeiten wandelten und die besten Dichter der persischen Sprache Denkmäler setzten. Zu einer Zeit, als Persien tatsächlich noch eine Weltmacht war. Shiraz ist eine Fata Morgana aus Erinnerungen, Träumen und Stolz auf die eigene Geschichte, die verführerisch am Horizont der tristen iranischen Gegenwart flimmert.

Das alte Persepolis mit seinen mächtigen steinernen Kolossen, die das „Tor aller Länder“ bewachen, ist nicht weit von Shiraz entfernt. Von dort aus regierte Kyros II. vor 2500 Jahren tatsächlich ein Reich, das vom Indus bis zum Bosporus reichte. Und von so weit her hallt der Ruf von Shiraz, dabei war es den größten Teil seiner Geschichte nur eine Provinzstadt. Um 1000 nach Christus aber kam der Durchbruch. Shiraz galt als Rivalin von Bagdad im Streit darum, wer denn die Perle des Orients sei. Die auch im Iran der Ayatollahs mit Denkmälern, Bahnstationen und Straßennamen verehrten Dichter Hafez und Sa’adi machten aus dem Ruf, der dem kriegerischen Persien wie Donnerhall vorauseilte, ein liebliches Singen, ein Rauschen im Pergamentwald. Inspiriert von den Gärten, den Festen darin und dem Wein aus den roten Shiraztrauben schrieb Omar Khayyam, ein weiterer Nationaldichter, um das Jahr 1100: „Ich trinke Wein und denke nichts als Liebe. Viel köstlicher als aller Ruhm der Erde ist’s, einen Trunk aus vollem Glas zu tun; viel köstlicher und Gott gefälliger als frommes Plappern ist der Hauch des Glückes, der leis vom Munde des Verliebten weht.“

Dieser Stoßseufzer der persischen Seele ertönt weiterhin bei jenen, die auf die Geschichte des Landes stolzer sind als auf die Gegenwart. Die es einerseits satt haben, Tanzmusik auf dem Schwarzmarkt zu kaufen und bei Geburtsfeiern Orangensaft mit einem Schuss medizinischem Alkohol zu trinken, andererseits im Auto poppig vertonte Hafez-Gedichte hören und dabei laut mitsingen. Sie finden es schon schön, Ferien am Schwarzen Meer zu machen, würden sich aber eigentlich lieber einen Urlaub auf Kreta leisten, wenn sie nur endlich dieses verflixte Ausreisevisum bekämen. Sie lieben den Iran und würden ihre Heimat für nichts auf der Welt tauschen, sind aber mit der Regierung nicht einverstanden. Schon an der Jacke des Präsidenten sehe man, dass mit dem Mann nicht gut Staat zu machen sei. Und was soll das denn, selbst beim Bergwandern das Kopftuch tief in die Stirn ziehen zu müssen? Und warum sollte im beliebten Sa’ei-Park ein Mann eine fremde Frau nicht ansprechen und auf einen Tee einladen dürfen, wenn schon nicht auf ein Glas Wein? All diese Menschen, die Sie in Teheran, wenn Sie sich Zeit nehmen, treffen werden, sprechen das Wort Shiraz besonders sinnlich aus, unter dem Gaumen angehaucht, in ein sehr langes A mündend, mit einem verheißungsvollen Zischen am Ende, als würde man es schon beim Aussprechen schmecken können.

Sie als Europäer träumen beim Gedanken an den Orient sicher nicht von schwerem Wein. Sie denken an goldene Kuppeln und Ehrfurcht gebietende Moscheen, an Basare voll duftender Gewürze und golddurchwirkter Stoffe, an bunt gekachelte Paläste und mit Teppichen ausgelegte Teehäuser. Fahren Sie nicht nach Shiraz, wo es nach dem Willen der Ayatollahs ohnehin keinen Wein und keine Gartenparties gibt, fahren Sie nach Esfahan. Dort finden Sie alles, was Ihnen die Märchenbücher Ihrer Kindheit versprochen haben, in einer Pracht, die so unwirklich schön ist, dass sie die Gebäude mit der Hand berühren werden, um zu sehen, ob sie echt sind. In den Parks aus besseren Zeiten treffen Sie junge Leute, die -jawohl - auch ohne Alkohol lustig sind, flirten und kichern und sich gegenseitig zum Tee einladen. Abends am Fluss können Sie sich im Teehaus eine Portion Suppe aus dem großen Pott in einen verbeulten Blechnapf schöpfen lassen und über das glitzernde Wasser blicken. Wenn Esfahan eine Fata Morgana wäre, müsste man es bauen, aber so schön, wie die alte Kaiserstadt wirklich ist, bekäme man das kaum hin. Dass die Geschichten aus „Tausendundeiner Nacht“ vor allem in Bagdad spielen und nicht in Esfahan, ist völlig egal - Esfahan sieht aus wie eine Stadt aus einem Märchenfilm, nur größer und schöner. Das Gefühl jubilierenden Glücks, das bei einem Rundgang um den Hauptplatz aus den Tiefen Ihrer Magengrube aufsteigt, ist stärker als sämtliche kunsthistorischen Erklärungen der Reiseliteratur. Die Schönheit von Esfahan ist vor allem ein Gefühl.

Ihnen geht es dann mit Esfahan so wie den Iranern mit dem Shiraz, dessen Existenz sie vergöttern, ohne die Fakten zu kennen. Denn die nüchterne Wahrheit ist: Die rote Shiraz-Traube, die heute auf der ganzen Welt außer im Iran angebaut wird, stammt ursprünglich aus Frankreich. Ja, es gibt im Süden des Iran seit 7000 Jahren Weinbau, aber nein, der Wein, der den Namen Persiens international ziert, ist ebenso wenig persisch wie die billigen Teppiche in Europas Kaufhäusern. In Shiraz gibt es nicht nur zur Zeit keinen Shiraz, es hat nie welchen gegeben, der nicht erst importiert werden musste. Der als Freund des Weines bekannt gewordene Omar Khayyam lebte gar nicht in Shiraz, sondern im Norden des Landes. Er war auch nicht im Hauptberuf Dichter, sondern Astronom und Mathematiker. Wenn man aber seinem Alltag dringend entkommen muss, sind Träume wichtiger als die Wahrheit, erkannte eben dieser Omar Khayyam: „Mach mich trunken und entfremde mich der Welt, auf dass ich dann dieser Welt verborgene Dinge dir berichte, edler Mann!“

PICCATA ALLA MILANESE

Fleisch im Goldmantel

Lieber Giuseppe“, schreibe ich im E-Mail-Fenster von Facebook, „wie geht es Dir? Vor einiger Zeit wollte ich Dir schon einmal eine Mail schicken, aber die Adresse hat leider nicht mehr gestimmt. Was machst Du denn gerade?“ Giuseppe macht immer so allerlei, das weiß ich schon, weil immer das eine, das er gerade am liebsten macht, nicht lebens- oder geldbeutelfüllend ist. Ich habe ihn bei einer Safari in Afrika kennen gelernt, und sogar bei 40 Grad Hitze hat er weder seine gute Haltung noch seinen gelben Seidenschal abgelegt, noch jemals seinen Charme. Seiner Heimatstadt Mailand hat er also alle Ehre gemacht. „Ich bin wieder zurück in meinem Bürojob“, teile ich uncharmant mit, „und nebenbei arbeite ich an einem neuen Buch. Es soll um Sachen gehen, die den Namen von Städten tragen, aber die man dann vor Ort nicht finden kann. Ich habe schon jede Menge Beispiele, suche aber immer noch mehr. Da bin ich jetzt über die Piccata alla Milanese gestolpert. Klingt das irgendwie vertraut für Dich? Existiert das? Essen echte Mailänder sowas wirklich? Ich war schon öfter bei Euch in Mailand, habe es aber nie bekommen, was natürlich daran gelegen haben kann, dass ich nur in der Art von Lokalen war, wo es Thunfisch-Carpaccio und schwarze Trüffel gab. Mailänder Salami dagegen ist mir tatsächlich schon untergekommen. Aber wenn Dir diese Piccata spanisch vorkommt - prima! Dann werde ich bei meinem nächsten Recherchetrip vorbeikommen und herausfinden, warum . Liebe Grüße! Deine Felicia!“