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KARLSBADER

Karlsbad -Version 1.1 bis 3.1

Die auf einem Podest stehende Wanne sieht so aus, als könnten Menschen darin hingerichtet werden, oder zumindest gehäutet, an den Gliedmaßen amputiert oder mit Stromschlägen reif für die geschlossene Psychiatrie gemacht. Tief ist diese Wanne, voller kleiner Löcher, mit Schläuchen und Kabeln am Nabel der Haustechnik hängend, und mit einem Computer versehen, auf dessen Terminal Piktogramme verschiedener Körperteile blinken. Blick- und vermutlich auch schalldicht ist die Kabine, in der diese Wanne steht. Die Frau im weißen Kittel, die über das Kabinett wacht, sieht aus, als wäre sie zu allem fähig. „Auszieh!“ befiehlt sie, „alles!“, und dann „Kopf! Hier!“. Wenigstens schön warm ist das Wasser. „Fünzähn Minut!“ Sie schaltet den Wannencomputer ein, schließt die Kabinetttür und die Wanne fängt an zu rumpeln und dann aus allen Löchlein zu sprudeln. Kleine Leuchten in ihren Seiten zaubern wechselnde Lichteffekte ins brodelnde Wasser. Lila. Grün. Gold. Jede Minute wechselt der Automat die Stelle, an der es am meisten blubbert. Das ist also ein Perlbad, kredenzt im „Zamecke Lazne“, dem teuersten und feinsten Spa der Stadt. Es ist das Must Have für alle Wellness-Sucher und Kurgäste in Karlsbad. Ein Erlebnis, das wirklich prickelt, und dabei auch noch gesund ist.

Karlsbad. Das ist die Perle des ganz, ganz nahen Ostens. Märchenstadt mit goldenen Kuppeln und edlen Quellen, in der lauter Wunder zu bestaunen sind und aus der lauter Wunderdinge kommen. Für jedes Land ein anderes. Karlsbader Oblaten für die Westdeutschen. Karlsbader Schnitten für die Ostdeutschen. Karlsbader Schuhe für die Ungarn. Karlsbader Beschlüsse für die Bewohner untergegangener Reiche. Karlsbader Mineralsalz für die Siechen untergegangener Reiche. Und jedes Ding hat seine eigene Geschichte. Es gibt in dem kleinen Städtchen also viel zu entdecken. Zunächst einmal die Tatsache, dass Karlsbad offiziell Karlovy Vary heißt.

Kleiner Test: In welchem Land liegt Karlovy Vary? Im Sudetenland, würde mancher Großvater gesagt haben. In Böhmen, würden die Bayern und Österreicher meinen. In Tschechien diejenigen, die vorsichtshalber auf der Karte nachgesehen haben. Mitten in Europa, würden die Tschechen entgegnen. Auf dem Weg zwischen Prag und Dresden, wissen busreisende Kulturtouristen aus Ostasien. Im Schlaraffenland, finden die Russen. Zumindest diejenigen, die tagsüber in Trainingshosen und Sportschuhen durch das Kurzentrum watscheln, ihren gestiefelten und geschminkten Herzdamen beim Einkauf von Pelzjacken und Granatschmuck oder Designer-Steppjacken zusehen, abends dann laut palavernd Entenbraten mit Knödeln und Bier verdrücken, um am nächsten Morgen wieder artig am Thermalbrunnen zu stehen und Wässerchen aus der goldgerandeten Schnabeltasse zu nippen.

Die Schnabeltasse aus Porzellan ist der inoffizielle Kurausweis der Karlsbad-Besucher. Sie zeigt, dass man ernsthaft gesundheitsurlaubt und nicht nur auf einen Tagestrip hereingeschneit ist. Die Brünnlein sind entlang der Kurmeile verteilt, meist kniehoch, immer warm und salzig, manchmal heiß, mal rauschend, mal tröpfelnd, mal sprotzend. Die deutschen Besucher, unauffällig unter die Russen gemischt, halten die Tassen gerne kräftig mit der ganzen Hand umfasst. Die Japaner - auch die sind hier, aber meist nur für einen Tagesausflug und keineswegs im Perlbad - kaufen die kleinsten Tässchen und quieken, wenn sie das außer nach Salz auch nach Metallen und einem Hauch Schwefel schmeckende Wasser probieren, das die Russen wortlos und ohne mit der Braue zu zucken becherweise trinken.

Noch so ein Wunder von Karlsbad: Jeder bekommt etwas anderes aus der Quelle, so wie jeder das Städtchen anders benennt und verortet, jeder ein anderes Produkt damit verbindet. Jeder hat sein eigenes Karlsbad.Das war vor 300 Jahren schon nicht anders, als Karlsbad, damals auf dem böhmischen Gebiet der Habsburger-Monarchie gelegen, auf der internationalen High-Society-Landkarte mit einem dicken, roten Punkt eingezeichnet wurde. Trinkkuren waren da besonders schick, Badekuren gerade erst im Kommen. Es traf sich, dass der Sage nach schon Kaiser Karl IV. im 14. Jahrhundert bei der Jagd am Ufer des Flusses Tepla eine Quelle entdeckt haben soll. Nach ihm ist der Ort benannt, und „Vary“ heißt so viel wie „kochend“. Ein vom Kaiser gehetzter Hirsch soll mitten in der Wildnis ins Quellbassin gestürzt sein, die Jagdhundemeute direkt hinterher, es gab ein großes Heulen und Jaulen, und von da an war der Ort keine beliebige Wildnis mehr.

Das ist Karlsbad, Version 1.0: Kaiserlich geadelter Platz, ausgerechnet von dem Regenten, der auch sonst goldene Zeiten für sein Land Böhmen brachte. Ein Ort in einem Flusstal, das eher eine Schlucht ist, von wilden Wäldern umgeben, zischend vor Schwefel. Tatsächlich gab es an der Tepla schon ein Dorf, als Karl dort mit einer Jagdgesellschaft eintrudelte, und die Quelle hatte man natürlich auch längst entdeckt. Aber Kunde davon verbreitete sich erst mit der Geschichte von der Jagd.

Virales Marketing nennt man das heute. Die Dörfler, nicht faul, bauten Unterkünfte, die Menschen süffelten aus der Quelle und berichteten allerlei Gutes, wenn sie wieder zu Hause waren. So eine Kur dauerte mal länger, mal weniger lang, meistens jedoch länger, als sich der werkelnde Durchschnittsmensch genehmigen konnte.

So entstand Karlsbad, Version 1.1.: Das feine Kurbad. Nicht Krehti und Plethi, sondern Kaisers, Königs und Kurfürsts ließen sich dem Gesundheitstrend folgend nach Böhmen kutschieren. Wo man in Karlsbad auch den Boden anbohrte, kamen neue Wässerchen zum Vorschein. Zudem kam man darauf, sich in das Wasser auch hineinzusetzen. Mit der Güte der Besucher wuchs auch die der Häuser. Der Herr Goethe kam vorbei und befand 1812: „Weimar, Karlsbad und Rom sind die einzigen Orte, wo ich leben möchte.“ Angeblich naschte Goethe nicht nur am Heilwasser, sondern auch an Marie Louise, der jungen, zweiten Ehefrau Napoleon Bonapartes (Version 1.2. mit AddOn: Laszives Karlsbad). Woran Letzterer in Böhmen genau naschte, ist nicht ganz klar, aber er verbrachte zusammengerechnet fast zwei Jahre seines Lebens an der Tepla.

Ihm wiederum verdankt Karlsbad indirekt seine Version 2.0: Das bürgerliche Paradies. Adel war durch Napoleons Kriege schon ausgesprochen out. Feist getafelt wurde auch an großbürgerlichen Tischen, entsprechend schlecht ging es den Bürgersbäuchen, die dann auch entsprechend erholungsbedürftig waren. Nett wollte man es haben auf der Kur, also fasste man die Karlsbader Quellen in artige Becken, baute Wandelhallen drum herum, Pavillons, Parks, Promenaden. Da man in dieser Zeit gerne romantisch in die Natur schweifte, erwanderte man sich die Umgebung der böhmischen Wälder und Hügelchen, auf denen kleine Aussichtstürmchen heranwuchsen und erbauliche, benutzerfreundliche Pfade wie der Goetheweg entstanden. Karlsbad 2.1.: Die Wanderdestination.