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»Es tut mir wirklich furchtbar leid, daß Sie solche Unannehmlichkeiten haben, Miss Harris. Ich wünschte aufrichtig, wir könnten Ihnen weiterhelfen. Doch wie Sie selbst sehen, war Ihre Schwester niemals hier registriert.« Er verhielt sich höflich und entgegenkommend, und hinterher fühlte ich mich wegen meines ungehörigen Benehmens ein wenig schuldig. Es war sonst gar nicht meine Art, quasi in der Öffentlichkeit herumzuschreien. Mr. Mangifrani, seiner Art nach so typisch für das Hotel Palazzo Residenziale, war mehr als hilfsbereit gewesen und hatte sich ehrlich bemüht, uns dienlich zu sein. Doch auch er konnte meine Schwester nicht herbeizaubern. »Vielleicht«, begann Mr. Raschid, der aus einem unerfindlichen Grund weiter bei mir blieb, »vielleicht hat Ihre Schwester hier nur jemanden besucht, und es ist diese Person, die abgereist ist. Als Sie anriefen, befand sich der

Angestellte einfach im Irrtum darüber, wer genau das Hotel verlassen hatte.«

Ich konnte die Logik dieser Annahme nicht bestreiten. Und doch nahm ich an zwei Umständen Anstoß: Warum hatte Mr. Baroni darauf beharrt, kein Übersee-Gespräch entgegengenommen zu haben, und wo war das Telegramm, das ich geschickt hatte? »Nun, ich denke, so wird es wohl gewesen sein. Danke für Ihre Hilfe, Mr. Raschid.«

»Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?«

»Nein, danke«, entgegnete ich hastig. »Ich möchte jetzt einfach in mein Zimmer hinaufgehen und mich eine Weile ausruhen. Ich bin sicher, Adele wird bald auftauchen. Guten Abend.« Ich machte keck auf dem Absatz kehrt und entfernte mich, so schnell ich konnte. Da ich dem Aufzug ein wenig mißtraute, beschloß ich, über die Treppe zu meinem Zimmer zurückzukehren, nur um mich nach dem dritten Treppenabsatz daran zu erinnern, daß ich ja noch drei weitere vor mir hatte. Als ich mich dann auch noch erinnerte, daß es in meinem Zimmer weder einen Fernseher noch irgendwelchen Lesestoff gab, drehte ich um und begab mich wieder hinunter in die Empfangshalle.

Als ich die Rezeption erreichte, strömte die japanische Reisegruppe gerade durch die Türen herein. Sie schwatzten mit hohen, singenden Stimmen und lächelten mir im Vorübergehen freundlich zu. Einige von ihnen traten nicht ins Hotel ein, sondern gingen statt dessen weiter die Straße hinunter. Instinktiv folgte ich ihnen. Sie liefen an dem amerikanischen Kino vorbei und den leichten Abhang der Via Archimede hinauf. Meine Eingebung wurde belohnt. Alle zusammen betraten wir einen kleinen Laden unweit des Hotels, der THE DAILY AMERICAN hieß.

Als der Raum von Italienisch und Japanisch widerhallte, begutachtete ich die Zigaretten, die Süßigkeiten und die

Literatur, die der Händler feilbot. Sehr wenige Bücher und Zeitschriften waren in Englisch, und während ich in den einzelnen Büchern blätterte, um zu entscheiden, welches ich kaufen sollte, hob ich zufällig den Kopf und warf einen Blick aus dem großen Schaufenster.

Mr. Raschid stand auf der anderen Straßenseite und beobachtete mich.

»Oh.« Ich begann, ungeschickt mit den Büchern herumzuhantieren. »Was kosten die Bücher, bitte?«

»Cinquecento lire, per favore.«

»In Ordnung.« Meine Handflächen waren feucht und klamm, während meine Hände leicht zitterten. »Ich nehme diese hier.« Nachdem ich dem Mann meine Lire überreicht und er mir das Wechselgeld zurückgegeben hatte, nahm ich allen Mut zusammen und riskierte nochmals einen Blick aus dem Fenster. Achmed Raschid stand nicht mehr da.

Als ich unsicher in die Nacht hinaustrat, überkam mich eine ungute Vorahnung. Im sanften Laternenschein der Via Archimede und in der lauen Luft dieses römischen Abends wußte ich, daß Adele ohne jeden Zweifel in Schwierigkeiten steckte.

Vielleicht beruhte diese Annahme aber nicht allein auf einer instinktiven Eingebung und bloßen Vermutungen. Als ich den Gehsteig in Richtung auf die einladende Leuchtschrift des Hotels hinunterschlenderte, überdachte ich die Situation noch einmal von Anfang an. Es war immerhin möglich, daß dies alles ein Mißverständnis war. Es konnte sein, daß sich Adele bei einem Freund aufhielt. Dieser Freund hatte das Hotel verlassen, und bei der schlechten Überseeverbindung war es zu dem Mißverständnis gekommen. Denkbar einfach, Adele war irgendwo anders in Rom.

Doch so hübsch und bequem diese Erklärung auch war, sie gab leider noch immer keine Antwort auf die beiden Fragen, die mir am meisten zu schaffen machten: Wo war das Telegramm, das ich abgeschickt hatte, und warum hatte Mr. Baroni so hartnäckig geleugnet, ein Telefongespräch aus Amerika entgegengenommen zu haben? Als ich mutig in den kleinen Aufzug stieg, der mich ratternd nach oben beförderte, kam ich zu dem Schluß, daß es sehr schön gewesen wäre, über all dies mit Dr. Kellerman zu sprechen. Und als der Fahrstuhl mit einem unsanften Ruck anhielt und die Türen quietschend aufgingen, wurde mir auch klar, daß ich Dr. Kellerman vermißte und ihn in meiner Nähe wünschte.

Den Schakal mußte ich noch verstecken. Ich nahm ihn aus meiner Handtasche heraus und schaute mich im Zimmer um. Schrank, Bett, Nachttisch, das waren die Plätze, wo jeder mögliche Eindringling zuerst nachschauen würde. Kurz entschlossen schob ich den Schakal hinter eines der Bilder an der Wand. Auf der unteren Leiste des breiten Rahmens lag er sicher.

Ich lag bequem ausgestreckt auf meinem Bett, als das Telefon schrillte, was mich hochschrecken ließ. In einem plötzlichen Anflug von Aufregung glaubte ich, daß es Adele sein könnte. »Hallo?« rief ich eilig in den Hörer. »Hallo. Hier ist John Treadwell.«

»Oh!« Ich senkte enttäuscht die Stimme. »Hallo.«

»Es tut mir leid, wenn mein Anruf ungelegen kommt.«

»O nein. So habe ich es nicht gemeint. Ich dachte nur, Adele sei am Apparat.«

»Soll ich auflegen? Sie könnte gerade versuchen, Sie zu erreichen.«

»Nein, John, das glaube ich nicht.«

»Wissen Sie immer noch nicht, wo sich Ihre Schwester befindet? Ich dachte, sie wollte sich im Hotel mit Ihnen treffen.«

»Tja, leider hat es da irgendeine Verwechslung gegeben. Es scheint ganz so, als ob sie nicht hier ist. Wahrscheinlich habe ich das falsche Hotel erwischt.«

»Hätten Sie Lust, in die Stadt zu gehen?«

»Oh. nein danke, Mr. Treadwell, ich meine John. Ich bin wirklich todmüde.«

»Dann also morgen. Um wieviel Uhr soll ich an Ihrem Hotel sein? Acht? Neun?«

In meiner gegenwärtigen Verfassung war ich eigentlich nicht besonders daran interessiert, mit John Treadwell in engeren Kontakt zu treten. Doch als ich sein Angebot eben schon ausschlagen wollte, erinnerte mich eine leise, durchdringende Stimme an etwas, das ich für eine Weile vergessen hatte: die Tatsache, daß Achmed Raschid mich allem Anschein nach verfolgte. »Acht Uhr wäre ganz prima. Ich warte auf Sie in der Eingangshalle.«

»Großartig. Und dann können wir auch nach Ihrer Schwester suchen, ja?«

»Wunderbar, vielen Dank und gute Nacht.«

Als ich auflegte, begann ich darüber nachzudenken, daß es vielleicht gar nicht so dumm war, sich mit diesem so hilfsbereiten John Treadwell zu treffen, wenn man die Sache mit Adele, dem sonderbaren Mr. Raschid und meine Unkenntnis der Stadt in Betracht zog. Als ich das Licht löschte und mich in dem ungewohnten Bett gemütlich zurücklehnte, waren meine Gedanken bei der fremden Stadt, die jenseits meiner Fenster lag, und abermals ertappte ich mich dabei, wie ich an Dr. Kellerman dachte. Es lag wohl an der Tatsache, daß er immer »dagewesen war« und daß seine Gegenwart mir stets Trost gespendet hatte. Und so hatte jetzt, in einem Augenblick der Niedergeschlagenheit und des Zweifels, der bloße Gedanke an ihn eine tröstende Wirkung.

Dr. Kellerman hatte Augen, die so eisig-blau und frostig waren, daß ein Blick daraus genügte, um einen unter den heißen Lampen des Operationssaals erschauern zu lassen. Doch sosehr sich eine Schwester oder ein Assistenzarzt auch vor ihm fürchten mochten, sosehr ihn manche auch nicht leiden mochten, so spürte dennoch jedermann seine Stärke, und niemand konnte die Sicherheit bestreiten, die er in das Operationsteam brachte. Ganz gleich, wie hoffnungslos eine Situation am Operationstisch auch sein mochte, wie übernervös sich seine Assistenten auch fühlen mochten, Dr. Kellerman verbreitete stets eine Atmosphäre von völliger Kontrolle und Beherrschung um sich her. Mit diesen Gedanken fiel ich allmählich in einen unruhigen Schlaf.