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»Unsinn! Rätsel zu lösen macht mir immer Spaß. Besonders wenn es dabei auch um eine hübsche junge Frau geht. Aber wie Sie sagen, müssen wir Ihre Schwester finden. Die amerikanische Botschaft könnte vielleicht helfen. Ihre Schwester könnte dort eine Nachricht für Sie hinterlegt haben.«

»Natürlich! Daran hatte ich noch gar nicht gedacht!«

»Und außerdem könnte es sein, daß in Ihrem Hotel schon eine Nachricht auf Sie wartet, wenn wir zurückkommen.« Ich lächelte John Treadwell erleichtert an. Er hatte eine Menge getan, um mich ein wenig zu beruhigen.

»Aber zuerst das Forum Romanum. Darauf bestehe ich. Nur für den Fall, daß die Botschaft keine Neuigkeiten bereithält, was Ihnen den ganzen restlichen Tag verderben würde, sollten wir uns diesen Gang bis zum Schluß aufheben. Überdies möchte ich Sie öfter so lächeln sehen, wenn ich Ihnen die Sehenswürdigkeiten zeige, die Rom zu bieten hat.«

Wenn auch nur widerstrebend, so brachte ich es doch nicht fertig, Johns Angebot, einen vergnüglichen Morgen zu verbringen, abzulehnen. Mit seinem Charme, seinem guten Aussehen und seiner Hand, die einen sanften Druck auf die meine ausübte, war John Treadwell ein sehr überzeugend wirkender Mann. Und außerdem konnte Adele nicht weit sein, und nach vier Jahren kam es auf ein oder zwei Stunden später auch nicht mehr an.

Wir warteten bis um vier Uhr, bis die Wasserspeier an der Fontana di Trevi, dem monumentalsten Barockbrunnen Roms, eingeschaltet wurden, und dann machten wir uns langsam auf den Weg zur amerikanischen Botschaft.

John war der ideale Begleiter, als wir durch die kleineren, weniger überfüllten Straßen schlenderten, denn er sorgte für eine leise plätschernde Unterhaltung, und da er meine Besorgnis spürte, machte er gelegentlich Scherze, die mich zum Lachen brachten. Im Schein der Nachmittagssonne verfärbte sich sein Haar zu einem goldenen Braun und wurde vom Wind zerzaust wie bei einem kleinen Jungen. Je länger wir spazierengingen und sprachen, um so dankbarer war ich dieser Nonne im Flugzeug dafür, daß sie aufgestanden war und sich auf einen anderen Platz gesetzt hatte.

Die amerikanische Botschaft war ein gewaltiges, eindrucksvolles Bauwerk an der Via Veneto, das nach der Siesta gerade wieder zum Leben erwachte, als wir hinkamen. Unbewußt hatte ich wohl schon größte Hoffnung darauf gesetzt, Adele über die Botschaft zu finden, denn als wir aus dem Sonnenlicht in das dunkle Innere traten, fühlte ich mein Herz rasen.

Aber man konnte mir nicht weiterhelfen. Es gab keine Nachricht von Adele.

»Ich bedaure, daß es mit dem Abendessen nun doch nichts wird«, sagte ich, als wir in dem alten, klapprigen, grünen Bus den Parioli-Hügel hinauffuhren, »aber Sie müssen verstehen. Wenn ich Adele je finden soll, dann kann ich es nur, indem ich im Hotel bleibe.« John nickte. Obwohl er mich in eines der eleganten Restaurants an der Via Veneto hatte ausführen wollen, konnte ich sehen, daß er mit mir mitfühlte. Die Polizei war nur wenig hilfreich gewesen, da wir keine Beweise, keine Anhaltspunkte und noch nicht einmal ein Foto hatten, das wir ihnen geben konnten. Ich verübelte es ihnen nicht. Die Botschaft war eine noch größere Enttäuschung gewesen. Denn wenn Adele sich mit mir hätte in Verbindung setzen wollen, so hätte sie es leicht über die Botschaft tun können und hatte dafür drei Tage Zeit gehabt!

»Dann lade ich Sie im Hotel zum Abendessen ein«, schlug John vor. Ich blickte in seine lächelnden Augen und fühlte, wie mein Vorsatz, Einwände zu machen, schwächer wurde. Die Auskunft in der Botschaft war eine solche Ernüchterung gewesen. Gerade jetzt brauchte ich die Gesellschaft dieses Mannes wirklich. »Nun?« fragte mein Begleiter. »Abendessen im Hotel?«

»Abendessen im Hotel.« Ich gab mich geschlagen. John erklärte sich einverstanden, in der Empfangshalle auf mich zu warten, während ich schnell in mein Zimmer hinaufrannte. Ich murmelte eine Anzahl von Entschuldigungen, aber die wahren Gründe für diesen Gang behielt ich stillschweigend für mich. Erstens hegte ich eine winzige Hoffnung, daß Adele an mein Zimmer gekommen war und einen Zettel unter der Tür durchgeschoben hatte. Und zweitens wollte ich überprüfen, ob der Schakal noch da war. Nach dem Einbruch in meine Wohnung rechnete ich mit allem möglichen.

Der Schakal war noch genau dort, wo ich ihn versteckt hatte, auf der Bilderrahmenleiste, und das Zimmer war nicht durcheinandergebracht worden. Ich fand keine Nachricht von Adele. Ich kämmte mich rasch, trug frischen Lippenstift auf und eilte zurück zu John. Wir aßen Kalbsschnitzel in Salbeisoße und tranken danach starken italienischen Kaffee. Hinterher ließ ich mich zu einem Spaziergang durch das Parioli-Viertel überreden. Während wir an hell erleuchteten Straßencafes vorübergingen, an jeder Ecke auf einen Blumenverkäufer stießen und immer wieder ganzen Familien begegneten, die den Abend draußen verbrachten, wurde ich an Johns Arm etwas gelöster und war, wenn auch nur für kurze Zeit, imstande, die Schönheit dieser Stadt zu genießen.

»Was bedeutet S.P.Q.R .?« fragte ich. »Man kann es überall lesen.«

»Es ist eine Abkürzung und lautet auf lateinisch: Senatus Populusque Romanus, was soviel heißt wie >Der Senat und das Volk von Rom<. In den Tagen der Republik vor den Caesaren war es so etwas wie der Staatsname und wurde später, während der Kaiserzeit, einfach beibehalten. Es hatte dann aber nurmehr symbolische Bedeutung. Heute ist Italien eine westliche Demokratie mit einem Präsidenten, aber die Italiener haben dieses noble Erbstück übernommen und führen eine Tradition weiter. Irgendwie gefällt mir das.«

»Es steht sogar auf den Plastikmüllsäcken!«

»Richtig. Sie können S.P.Q.R. an antiken Monumenten ebenso wie an Verkehrsampeln lesen.«

»Sie wissen viel über Rom.«

»Es ist ein faszinierender Ort.«

»Wie lange wird Ihr Aufenthalt diesmal dauern? Wegen mir hatten Sie noch gar keine Gelegenheit, sich mit Ihren Geschäften zu befassen.«

»Nun, meine Aufgabe besteht eigentlich darin, zwischen unserem Hauptsitz in New York und unseren internationalen Filialen in London und Rom hin- und herzupendeln. Ich verfüge über ein Spesenkonto, und wenn ich mir einen oder zwei Tage zusätzlich Zeit nehme, wird sich niemand darüber beschweren.«

»Hm, jedenfalls vielen Dank. Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne Sie getan hätte. Ich habe mit Reisen ins Ausland noch gar keine Erfahrung. Und mit Rätseln und Überraschungen konnte ich es noch nie aufnehmen. Ich führe gewöhnlich ein sehr gut durchorganisiertes, vorausschaubares Leben.«

»Sieht es so auch in einem Operationssaal aus?«

»Meistens. Außer wenn gelegentlich ein Notfall eintritt, der die ganze Ordnung über den Haufen wirft.«

»Wie Ihre Schwester?« Ich lachte. »Ja, wie meine Schwester.«

Wir blieben auf einer Anhöhe stehen, von der aus wir die erleuchtete Stadt unter uns sehen konnten. »Oh«, flüsterte ich. Ein schwarzes Band teilte die glitzernde Stadt dort, wo der Tiber das Zentrum durchzieht. Ich zitterte ein wenig, worauf John Treadwell behutsam einen Arm um meine Schultern legte. Als ich auf die Stadt hinabblickte, wie sie so traumhaft schön dalag, kam ich auf den Gedanken, daß ich vielleicht eben dabei war, mich in sie zu verlieben, und fragte mich, warum ich nicht schon früher hierher gekommen war. Dann fiel mir die Antwort ein.

Bis jetzt hatte ich geglaubt, ich führe ein rundum erfülltes Leben. Doch jetzt erkannte ich, daß dem in Wahrheit nicht so war und daß sich in meinem Leben eine beklagenswerte Leere ausbreitete. »John, mir wird langsam kalt. Können wir zurückgehen?«

»Natürlich.« Er führte mich zurück zu den warmen Straßen und den freundlichen Menschenmengen. Das Hotel war hell erleuchtet und wirkte im Moment sehr einladend. In der Empfangshalle blieb ich stehen und dankte John für den wundervollen Tag und für seine ernstlichen Bemühungen, mir bei der Suche nach meiner Schwester behilflich zu sein. Nachdem er mich einen Augenblick angesehen hatte, fragte John: »Und wann werde ich Ihren geheimnisvollen Schakal einmal zu Gesicht bekommen?«