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»Kommen Sie morgen vorbei, und ich zeige Ihnen das merkwürdige Tier, einverstanden?«

»Abgemacht.« Er zögerte, und ich erriet seinen Gedanken. »Ich bin völlig erschöpft, ehrlich«, erklärte ich schnell. »Ich werde jetzt ein warmes Bad nehmen und anschließend sofort einschlafen.«

»Kann ich Sie nicht noch zu einem Schlummertrunk überreden? Ein Gläschen Benediktiner oder Grand Marnier?«

Ich schüttelte matt den Kopf. »Bitte nicht, es war heute ein ermüdender Tag für mich. Ich wäre bestimmt nicht sehr unterhaltsam.«

»Oh, das müßte man erst sehen.« Doch er beharrte nicht weiter darauf. Anstatt mich zu bedrängen, wie ich es schon befürchtete, legte John nur seine Hände auf meine Schultern, küßte mich leicht auf die Stirn und flüsterte: »Ich rufe Sie morgen früh an. Gute Nacht, Lydia.«

»Danke, John. Gute Nacht.« Als ich ihm nachschaute, wie er sich draußen ein Taxi herbeiwinkte, dankte ich der Vorsehung dafür, daß sie uns zusammengeführt hatte. Seine Gegenwart und seine Hilfe hatten mir den ersten großen Schritt sehr leicht gemacht. Von nun an, da war ich mir sicher, könnte ich es auch allein schaffen. Zumindest waren dies meine Gedanken, als ich den großen Aufenthaltsraum in Richtung auf die Treppe durchquerte, bis ich mit Mr. Raschid zusammenstieß, der sich mir in den Weg gestellt hatte.

»Entschuldigen Sie, Miss Harris. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob Sie Ihre Schwester schon gefunden haben.«

»Hmm. nein, noch nicht.« Er hatte noch immer dieselbe riesige Sonnenbrille auf und trug auch die Zeitung noch immer bei sich. Beides wohl Gegenstände, um sich dahinter zu verstecken. Und da er im Palazzo Residenziale nicht als Gast eingetragen war, fragte ich mich, was um alles in der Welt er schon wieder hier zu tun hatte. »Ich habe auf Sie gewartet«, erklärte er, als könne er in meinen Gedanken lesen. »Wie bitte?«

»Für den Fall, daß Sie Ihre Schwester nicht gefunden haben, dachte ich, ich könnte Ihnen vielleicht weiterhelfen, da ich Italienisch spreche und diese Stadt ziemlich gut kenne.«

»Danke«, erwiderte ich nervös, »aber ich habe bereits Unterstützung, und ich habe alles getan, was ich konnte. Die Polizei und die Botschaft waren nicht in der Lage, mir zu helfen. Aber ich mache mir keine Sorgen. Sie kann nicht weit sein. Vielleicht hat sie einen Ausflug nach Neapel oder sonst etwas unternommen.«

»Haben Sie schon einmal im Ägyptischen Museum im Vatikan nachgefragt?«

Verblüfft riß ich die Augen auf und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Wie bitte?«

Achmed Raschids Gesicht blieb unbewegt. Ich konnte nicht sehen, wo seine Augen waren oder wie er eigentlich aussah.

»Es war bloß so ein Gedanke. Also dann, gute Nacht, Miss Harris. Ich wünsche Ihnen viel Glück.«

Ich starrte ihm wie benommen nach und rührte mich nicht von der Stelle, bis die japanische Reisegruppe plötzlich in die Halle strömte. Dann drehte ich mich schnell herum und stürzte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die sechs Treppen hinauf, bis ich meine Tür doppelt hinter mir abgeschlossen und die Jalousientüren, die auf den Balkon führten, fest verriegelt hatte. Dann sank ich auf die Kante meines Bettes nieder, und während ich mein Herz wie wild gegen meinen Brustkorb hämmern spürte, versuchte ich, die schockierende Andeutung des Arabers zu verarbeiten. Achmed Raschid mußte von dem Schakal Kenntnis haben!

Ich war schon wach, als das Telefon klingelte. Ich stürzte zum Hörer. »Adele?« rief ich atemlos hinein.

»Tut mir leid, ich bin es nur«, ließ sich Johns Stimme vernehmen. »Habe ich Sie geweckt?«

»Nein.« Ich warf einen prüfenden Blick auf das Sonnenlicht, das durch die geöffneten Jalousien hereinströmte. »Ich bin schon eine Weile auf. Ich konnte nicht sehr gut schlafen. Ich warte die ganze Zeit.«

»Wie lange beabsichtigen Sie, damit weiterzumachen?« Ich zuckte die Achseln und gab durchs Telefon einen unbestimmten Laut von mir.

»Nun, ich dachte, es wäre eine gute Idee, wenn wir ein Weilchen spazierengingen. Ich habe gar keine Lust, mich heute um meine Geschäfte zu kümmern, und ich habe unser hiesiges Büro auch noch nicht wissen lassen, daß ich in der Stadt bin. Was halten Sie also davon, wenn wir noch ein wenig länger die Schule schwänzen?«

»Ich weiß nicht, John.«

»Nur für ein paar Stunden. Lydia, Sie lassen die wundervollste Stadt der Welt einfach achtlos links liegen! Was wollen Sie erzählen, wenn Sie nach Los Angeles zurückkehren? Daß Sie die ganze Zeit in einem Hotelzimmer herumgesessen sind? Na, kommen Sie schon, ich möchte Sie mit einem ganz besonderen Ort bekanntmachen.« Wieder blickte ich auf den einladenden Sonnenschein und fühlte meine Entschlossenheit schwinden. John Treadwell konnte man einfach nicht widerstehen. Und nachdem ich die ganze Nacht über Achmed Raschids geheimnisvolle Worte nachgegrübelt hatte, mit denen er durchblicken ließ, daß er von dem Schakal wußte, hatte ich außerdem beschlossen, John von ihm zu erzählen. Doch das wollte ich persönlich tun.

»Also gut«, antwortete ich daher. »Für ein Weilchen wird es nichts ausmachen. Wenn Adele auftaucht. nun, dann muß sie eben mal auf mich warten.«

»So ist’s recht! Nun passen Sie auf, ich muß noch eine Besorgung machen. Wie wär’s, wenn wir uns deshalb einfach in der Stadt treffen. Gehen Sie zum Kolosseum. Sie erinnern sich doch an den Weg? Wenn Sie dort angelangt sind, überqueren Sie die Straße und gehen den Oppio-Hügel hinauf. Sie können es gar nicht verfehlen. Ich treffe Sie vor der >Domus Aureac. Das ist es, was ich Ihnen zeigen will. Neros Goldenes Haus.«

»Klingt toll. Was ist, wenn ich mich verirre?«

»Das werden Sie nicht. Sie können den Hügel nicht verfehlen. Er ist grün und gärtnerisch gestaltet -, sieht aus wie ein Park. Fragen Sie irgendwen. Sagen Sie nur >Domus Aureac, und man wird Ihnen die richtige Richtung weisen. Hören Sie, jetzt ist es neun. Wie wär’s, wenn wir uns um zehn treffen? Ich werde draußen mit den Eintrittskarten warten.«

»Ausgezeichnet. Also dann bis um zehn.«

Ich überlegte eine Weile hin und her, ob ich den Schakal mitnehmen sollte, um ihn John zu zeigen, besann mich dann aber eines Besseren und beschloß in der letzten Minute, sein Versteck zu ändern. Dort wäre der Elfenbeinteufel bis zum Abend sicher aufbewahrt. Dann erst würde ich ihn John zeigen.

Meine Stimmung hob sich außerordentlich, als ich ins blendende Tageslicht hinaustrat. Keine dunklen Gestalten folgten mir. Keine unerklärlichen Ereignisse traten ein. Nur Sonnenschein und Menschen und blauer Himmel. Ich nahm den Bus Nummer 52 und stieg in der Stadtmitte an der Piazza San Silvestro aus. Von dort aus folgte ich einfach der breiteren

Straße. So genoß ich einen herrlichen Spaziergang zum Forum, das bald rechter Hand neben mir auftauchte, und zum Kolosseum. In diesen paar Minuten, in denen ich Schaufenster betrachtete und an Blumen schnupperte, war ich imstande, den wahren Grund meines Aufenthalts in Rom zu vergessen und mich in seinem Zauber zu verlieren.

Am Kolosseum sah ich die vertrauten Katzenscharen, die für diese Stadt so typisch sind. Alte Italienerinnen mit zerlumpten Umhängetüchern und Papiertragetaschen gingen von Ruine zu Ruine und fütterten die Katzen mit Nudeln. In solchen Augenblicken wünschte ich, ich hätte einen Fotoapparat eingepackt.

John hatte recht. Es fiel mir nicht schwer, die Viale della Domus Aurea ausfindig zu machen, die von der das Kolosseum umgebenden Straße zum Gipfel des Oppio-Hügels hinaufführt. Nach einem angenehmen Spaziergang zwischen kunstvoll beschnittenen Hecken und unter Bäumen hindurch gelangte ich an ein eisernes Tor, das offen stand. Beim Näherkommen sah ich auf der anderen Seite eine Handvoll ungeduldiger Touristen und ein kleines, buntes Kartenhäuschen. Ich schlenderte hinein und setzte mich auf eine Bank. Meine Uhr zeigte fünf nach zehn, und John war noch nicht da. Der Mann in der Kartenbude las eine Zeitung und rauchte dabei eine Zigarette. Die fünf Touristen warfen gelegentlich einen Blick auf die Uhr und schauten dann in Richtung auf zwei andere Eisentore, die auf höchst sonderbare Weise in den Hügel eingelassen waren. Jenseits davon tat sich ein gähnender, schwarzer Schlund auf, der so furchterregend wirkte, daß ich einen Augenblick lang meinte, christliche Märtyrer mit Löwen kämpfen zu sehen. Nichts deutete auf ein »Goldenes Haus« hin, und ich entdeckte auch nichts, das sich mit der Pracht auf dem Palatin-Hügel hätte messen können. Hier also hatten die herausragendsten Leute der römischen