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Bei dem Geräusch handelte es sich, wie ich entdeckte, um eine junge Frau, die mit einer hohen Stimme sprach. Die Farben und Gerüche sagten mir, daß ich mich in irgendeinem Zimmer befand, das ich jedoch nicht gleich erkannte. Der schauderhafte Geschmack rührte wohl von einer Arznei her. Ich muß bei der Einnahme eine Grimasse geschnitten haben, denn gleich darauf fing ein Mann, der dicht neben mir stand, an zu sprechen.

»Sie ist jetzt wach.« Eine Hand legte sich auf meinen Arm. »Lydia? Lydia, können Sie mich hören?«

Verwundert blickte ich auf John Treadwell. Was um alles in der Welt ging hier vor?

»Natürlich kann ich Sie hören.«

»Sie machen vielleicht Sachen! Aber wenn man Sie so hört, scheint es Ihnen wieder ganz gut zu gehen.«

Wieder ertönte die hohe, melodische Stimme der jungen Italienerin, die sich fürsorglich über mich beugte.

»Bei mir ist alles in Ordnung«, stöhnte ich, aber mir war gar nicht danach zumute. Ich spürte einen undefinierbaren Schmerz am Hinterkopf, und als ich mit den Fingerspitzen vorsichtig hintastete, entdeckte ich eine riesige Beule. Am ganzen Körper fühlte ich mich schwach und ausgelaugt. Im Magen war mir entsetzlich übel. Die Anzeichen eines Schocks waren leicht erkennbar. »Sie sind gestürzt, Lydia. Sie sind in Neros Goldenem Haus ausgerutscht und mit dem Kopf schlimm aufgeschlagen.«

»Oje!« Ich fühlte mich wahrhaftig elend. Mein Schädel dröhnte, und die stets nach traumatischen Unfällen einsetzende allgemeine Übelkeit hatte sich vollständig über meinen Körper ausgebreitet. In diesem Moment wünschte ich, ich hätte wieder ohnmächtig werden können. »Mein Kopf bringt mich fast um.«

»Arme Lydia. Sie haben eine riesengroße Beule. Wenn ich nur pünktlich gewesen wäre!«

Mit einer schlaffen Handbewegung winkte ich ab. »Ist ja nicht Ihre Schuld. Ich konnte es einfach nicht erwarten, Neros Geist zu begegnen. Und wie es scheint, bin ich ihm begegnet.« Mühsam versuchte ich mich aufzurichten, aber John wußte das zu verhindern. Er legte beide Hände auf meine Schultern und drückte mich sanft wieder hinunter, bis mein pochender Kopf auf dem Kissen zu liegen kam. »Ist mir vielleicht schlecht!«

»Der Arzt ist schon einmal bei Ihnen gewesen, und er kommt bald zurück. Bleiben Sie nur ruhig liegen, Lydia.«

»Arzt?« Jetzt endlich sah ich mich genauer um und stellte fest, daß ich allem Anschein nach in einem Untersuchungszimmer einer Krankenhaus-Notaufnahme auf einem Bettgestell lag, wo mir John Treadwell und eine italienische Krankenschwester mit einem Bärtchen Gesellschaft leisteten. Die Wände mit gelblichem Anstrich waren von Rissen durchzogen, das Mobiliar wurmstichig. Auf einem länglichen Tisch in der Nähe des Waschbeckens reihten sich die üblichen Utensilien einer Arztpraxis aneinander. An einer Wand hing ein verblichenes Bild von irgendeiner unbestimmbaren, von Katzen bevölkerten römischen Ruine, und in der Luft hing der typische schwere Krankenhausgeruch.

Es konnte sich vielleicht nicht mit der Notaufnahme des Santa-Monica-Krankenhauses messen, aber es erfüllte durchaus seinen Zweck. Als der Doktor zurückkam, stellte ich erleichtert fest, daß er ausgezeichnet Englisch sprach und eine Vorstellung davon besaß, worauf bei Schädelverletzungen zu achten war. Er unterhielt sich mit mir in dem international üblichen Fachvokabular über meinen Zustand - nachdem ich ihm meinen Beruf verraten hatte -, und unterzog mich dann einer gründlichen neurologischen Untersuchung. Soweit keine Hirnschädigung. Obgleich ich das Gefühl hatte, mein Hinterkopf müßte jeden Augenblick zerspringen, war ich vor einer Gehirnerschütterung oder subduralen Blutergüssen ziemlich sicher. Dafür war ich sehr dankbar.

Er wollte noch weitere Tests an mir durchführen, doch an dieser Stelle weigerte ich mich. Ich erklärte, daß ich genau wisse, auf welche Anzeichen für Gefahr ich achtgeben müsse, und daß ich mich wieder an ihn wenden würde, wenn sich mein Zustand veränderte. Von dieser Versicherung nur wenig beschwichtigt, verlangte der Arzt, ich solle verschiedene Formulare unterschreiben, welche ihn und die Klinik von jeder weiteren Verantwortung entbanden, da ich das Krankenhaus entgegen ärztlichem Rat verließ.

Ich leistete gerne die erforderlichen Unterschriften, denn -obgleich mir speiübel war - hatte ich es trotzdem eilig, aus dem Krankenhaus heraus - und wieder ins Hotel Palazzo Residenziale zu kommen. John wollte mich nur ungern in seine Obhut nehmen und ergriff Partei für den Vorschlag des Doktors, wonach ich im Krankenhaus bleiben solle. Doch mein eigener starker Wille setzte sich letztendlich durch. So miserabel ich mich auch fühlte, ich hatte meine mentalen Fähigkeiten noch immer sehr gut im Griff, ja es wurde mit jeder Minute besser. Als mir die Formulare zur Unterschrift vorgelegt wurden, ging mir bereits ein weiterer erschreckender

Gedanke durch den Kopf. Jemand hatte mich in der Domus Aurea absichtlich niedergeschlagen. Mit großer Entschlossenheit schlüpfte ich in meine Schuhe und stützte mich schwer auf Johns Arm. Meine Berufserfahrung sagte mir, daß das Hämmern in meinem Schädel überwacht werden sollte und daß ein paar Stunden unter ärztlicher Aufsicht die klügere Entscheidung wären. Doch eine Mischung aus Angst und Wut machte mich unvernünftig genug, daß es mich mit aller Macht danach verlangte, ins Hotel zurückzukehren, um mir in Ruhe über diese neueste Wendung der Ereignisse klarzuwerden.

Immerhin war mein »Unfall« in Wirklichkeit gar kein Unfall. Jemand hatte mich aus einem bestimmten Grund bewußtlos geschlagen. Ich hatte die Absicht herauszufinden, wer es getan hatte und - noch wichtiger - warum.

Als wir im Taxi über die antike Brücke ratterten, weg von der Tiberinsel, auf der sich das Krankenhaus befand, äußerte ich genau diese Gedanken John gegenüber. Er verhielt sich erwartungsgemäß zurückhaltend.

»Ich will Ihnen einen gewissen Sinn für Romantik ja nicht zum Vorwurf machen, Lydia, aber die Theorie, die Sie mir da vortragen, kann ich nun ganz und gar nicht gelten lassen. Ich meine, die Domus Aurea ist in der Tat ein etwas unheimlicher Ort und beflügelt jegliche Art von Phantasien. Wenn man durch die dunklen Räume geht und dabei einer Spukgeschichte über Neros rastloses Treiben lauscht, könnte es.«

»John«, unterbrach ich ihn. »Sie müssen mir einfach glauben. Eben hatte ich mich noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bei der Besichtigungsgruppe befunden, und im nächsten Augenblick lag ich am Boden mit einer Beule am Kopf, dort, wo jemand mir einen Schlag verpaßt hatte.«

Er sah mir eindringlich in die Augen. »Also gut, wenn Sie darauf beharren, wer war es aber dann und warum? Warum, Lydia?«

»Ich weiß es nicht.« Ich dachte an Achmed Raschid und beschloß, John nichts von ihm zu erzählen. Jedenfalls jetzt noch nicht. »Irgendwie hat es meine Schwester fertiggebracht, mich in irgendeine Affäre zu verwickeln, die mir überhaupt nicht gefällt. Ich werde nicht davonlaufen, und ich werde es nicht auf sich beruhen lassen. Vielleicht rede ich sonst viel dummes Zeug, aber das im Domus Aurea war bestimmt kein Unfall.«

Ich preßte meine Wange gegen die Fensterscheibe des Taxis und schaute hinaus, wie das ocker- und rosefarbene Rom an mir vorbeizog. Durch das Klingeln in meinen Ohren hindurch hörte ich die freundliche Stimme von Dr. Kellerman, die sagte: »Und wer sonst reicht mir das Nahtmaterial in so hübschen, wirren Knäueln wie Sie?« Gerade jetzt hatte ich seinen Rat und seine Gesellschaft dringend nötig gehabt. Allein seine Anwesenheit hätte mir alles in Ordnung erscheinen lassen. Aber Dr. Kellerman befand sich zehntausend Kilometer entfernt in einer anderen Welt. Er war im Santa-Monica und arbeitete ruhig in einem kühlen Operationssaal, während ich mit einem hämmernden Kopf durch Rom ratterte. »Lydia?«

Ich schaute zu John auf. Er hatte die ganze Zeit geredet, doch ich hatte kein Wort verstanden. »Tut mir leid.«

»Versprechen Sie mir, daß Sie heute nachmittag in Ihrem Hotelzimmer bleiben. Legen Sie sich hin und schonen Sie sich. Mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen.«