»Es tut mir leid«, sagte ich und empfand, obgleich es mir widerstrebte, eine gewisse Dankbarkeit dafür, daß er dagewesen war, um mir zu helfen.
»Ich weiß, was in der Domus Aurea passiert ist, Miss Harris, und ich denke, im Krankenhaus wären Sie besser aufgehoben. Als Krankenschwester sollten Sie dies eigentlich erkennen.« Ich versuchte, den Kopf zu heben, aber ich konnte es nicht. Die Übelkeit war vorüber, doch das Pochen war nach wie vor genauso stark. »Was soll das heißen, Sie wissen, was passiert ist? Und woher wissen Sie überhaupt, daß ich Krankenschwester bin?« Er reagierte mit einem entschuldigenden Schulterzucken. »Ich weiß eine Menge über Sie, Miss Harris, ebenso wie über Ihre Schwester. Und ich weiß auch, warum Sie nach ihr suchen.«
»Was?«
»Sie sehen, ich weiß auch über den Schakal Bescheid.« Nachdem er mich auf der Couch gebettet hatte, hatte Achmed Raschid die Rezeption verständigt und Hilfe verlangt, so daß gleich darauf eine Angestellte an meiner Tür klopfte. Sie brachte ein Tablett mit Tee und Brötchen und eine zusätzliche
Decke. In einem, wie mir schien, ausgezeichneten Italienisch wies Mr. Raschid die Frau an, einmal stündlich nach mir zu sehen, und bat sie, die Hotelleitung über meinen Zustand auf dem laufenden zu halten. Mehr als zuvorkommend, versicherte mir die Frau nochmals in schnellem Italienisch, daß man sich besonders um mich kümmern wolle.
»Es sind gastfreundliche Leute«, urteilte Mr. Raschid, nachdem sie gegangen war. Er saß in einem Sessel neben meinem Bett und beobachtete mich genau.
»Sie selbst sind auch sehr hilfsbereit, Mr. Raschid, aber Sie machen zuviel Aufhebens von der Geschichte.«
»Meinen Sie?« Ich gab keine Antwort. Ich trank den Tee, der köstlich schmeckte, und nahm vier Aspirin, die alsbald zu wirken begannen. Aber eines mußte ich wissen.
»Wer sind Sie, Mr. Raschid?«
Zum erstenmal lächelte er und wirkte sehr einnehmend dabei. »Ich bin einfach Achmed Raschid.«
»Ganz so einfach ist es wohl doch nicht. Wissen Sie, wo meine Schwester ist?«
»Leider nein.«
»Sagten Sie eben etwas von einem Schakal?«
Wieder lächelte er, und dieses einfache Lächeln vertrieb alles Mysteriöse aus seinem Gesicht. Obgleich ich es nur widerstrebend zugab, mußte ich mir selbst eingestehen, daß dieser Fremde ungemein interessant war. »Sie drücken sich mit kluger Vorsicht aus, Miss Harris. Ich beziehe mich auf den Elfenbein-Schakal, den Ihre Schwester Ihnen in einem Päckchen schickte und den Sie, wie ich glaube, mit nach Rom gebracht haben.«
Ich biß mir auf die Unterlippe. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Natürlich nicht.« Er stand nun auf und fuhr in einem schnoddrigen Ton fort: »Nicht ich habe Sie in der Domus
Aurea niedergeschlagen, und ebensowenig war ich derjenige, der Ihr Zimmer durchsucht hat. Doch ich erwarte nicht, daß Sie mir dies glauben oder mir vertrauen. Wenn Sie es täten, würde ich Sie für eine Närrin halten, was Sie nicht sind.«
»Wo ist meine Schwester, Mr. Raschid?«
»Ich wünschte wahrhaftig, ich wüßte es. Ruhen Sie sich nun aus, Miss Harris. Vielleicht können wir uns später unterhalten.«
»Ich wüßte nicht, worüber wir uns unterhalten sollten. Außerdem habe ich hier in Rom einen Freund, und seine Hilfe wird mir vollauf genügen.«
»Natürlich. Ich hoffe, es geht Ihnen bald besser. Inscha’allah. Auf Wiedersehen.«
Ich wartete, bis seine Schritte auf dem Steinfußboden im Hotelflur verhallt waren, dann schlich ich vorsichtig zur Tür und verriegelte sie. Die Aufregungen dieses Tages hatten mir schwer zugesetzt. Mit letzter Kraft schleppte ich mich zur Couch zurück und brach darauf zusammen. Meine Gedanken waren wirr, meine ganze Gemütsverfassung ziemlich erschüttert. Die Ruhe und Sicherheit, die mir mein Zuhause und meine wenigen Freunde gaben, schienen so weit entfernt zu sein wie der Mond. Und fast ebenso unerreichbar. Adele hatte sich in irgendeine gefährliche Angelegenheit hineinmanövriert und in ihrer wirklichkeitsfremden Art auch mich mit hineingezogen. Auf einmal hatte ich da einen Gegenstand in meinem Besitz, dessen Wert ich nicht ermessen konnte, einen Gegenstand, den mindestens eine, wenn nicht gar mehrere Personen in ihren Besitz bringen wollten und dessentwegen ich nun um mein Leben bangen mußte. Dies waren meine letzten Gedanken, ehe mich auf der Couch der Schlaf übermannte. Mehrere Stunden hatte ich tief und fest geschlafen, bis ich von einem Klopfen an der Tür geweckt wurde. Die Nachmittagssonne warf lange Schatten über den
Fußboden, und etwas verwirrt schleppte ich mich zur Tür und preßte meine Wange dagegen. »Wer ist da?« fragte ich.
Die Stimme der Hotelangestellten antwortete: »Scusi,
signorina. Una lettera.«
»Wie bitte?«
»Non capisco, signorina.«
»Na, macht nichts.« Ich fummelte an dem Schloß herum und öffnete die Tür einen Spalt weit. Nun reichte sie mir einen Briefumschlag und fragte: »Como sta?«
»Mir geht’s blendend, danke.«
Ich verriegelte die Tür und lehnte mich seufzend dagegen, während ich benommen auf den Brief starrte. Ich war noch nicht ganz wach und spürte die Kopfschmerzen abermals heraufziehen. So war ich keineswegs in der Verfassung, die unerwartete Post eingehend unter die Lupe zu nehmen. Ein paar bunte Briefmarken klebten schief auf einem leichten Luftpost-Umschlag, und mein Name und die Adresse des Hotels waren in einer vertrauten Handschrift daraufgeschrieben. Noch immer nur halbwach, riß ich den Umschlag auf und entfaltete das einzige dünne Blatt Papier, das mit einem Briefkopf sowohl in arabischer als auch in englischer Sprache versehen war: »Shepheard’s Hotel«.
Darunter hatte dieselbe Hand eine eilige Notiz an mich gekritzelt. Sie lautete schlicht:
Lyddie, Du mußt mir sofort nach Kairo nachkommen. Ich werde in diesem Hotel sein. Werde alles erklären, sobald Du hier eintriffst. Beeil dich!
Adele
Kapitel 7.
Mit den größten Befürchtungen und das Schlimmste ahnend, saß ich nur Stunden, nachdem ich Adeles Brief erhalten hatte, an Bord eines Flugzeuges der Alitalia. Zumindest - damit konnte ich mich trösten - wußte ich jetzt, wo meine Schwester sich aufhielt, und würde bald Antworten von ihr bekommen. Aus diesem Grund hatte ich Dr. Kellerman von Rom aus nicht angerufen. Ich wollte dieses Gespräch so lange aufschieben, bis ich Adele getroffen hatte, so daß ich ihm zumindest ein Rückreisedatum nennen konnte. Und doch saß in meinem armen, geschwollenen Hinterkopf eine nagende, kleine Angst, daß Adele mir abermals entwischen könnte, und die Aussicht, mich allein in Ägypten wiederzufinden, erschien mir weit gefährlicher als mein kurzer Aufenthalt in Rom. Während ich langsam den Rest meines dritten Glases Bourbon mit Wasser austrank, zog ich im Geiste Bilanz über meine Lage. Ein winziger Trost war, daß Achmed Raschid von meiner Abreise nicht unterrichtet war - dessen war ich gewiß -, und es beruhigte mich ein wenig, dem Zugriff dieses rätselhaften Mannes entronnen zu sein, dessen Gegenwart allein mich schon ganz nervös machte. Ein noch größerer Trost war, daß John Treadwell, nachdem er Adeles Mitteilung gelesen hatte, darauf bestanden hatte, mich zu begleiten. Und nachdem er sich erst einmal dazu entschlossen hatte, ließ er sich durch nichts davon abbringen. Er befand sich nämlich in dem festen Glauben, daß er nun ebenso tief in die mysteriöse Geschichte verwickelt sei wie ich und daß seine gefühlsmäßige Beziehung zu mir alle anderen Pläne, die er vielleicht vorher gehabt hatte, ausschließe. Diese glühende Beteuerung seiner Zuneigung zu mir war nicht ohne Wirkung auf mich geblieben. Es war lange her, daß ein Mann solche Gefühle für mich gezeigt hatte, und ich war davon gerührt. Zu sagen, daß ich John Treadwell liebte, wäre an diesem Punkt wohl zu früh gewesen, denn die Umstände erlaubten mir wirklich nicht, mich mit etwas anderem als mit Adele und ihrem verfluchten Schakal zu befassen. Indes wußte ich, daß ich mich wahrscheinlich nur zu leicht in John verliebt hätte, wenn wir uns unter normalen Umständen, in einer weniger angespannten Lage begegnet wären.