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»Ja, das scheint mir auch so.« Ich starrte verwundert auf den Elfenbeinschakal in meiner Hand. »Aber warum schickte sie es ausgerechnet mir? Ich bin gewiß keine Ägyptologin. Ich interessiere mich nicht einmal für solche Dinge.«

»Interessiert sich Ihre Schwester dafür?«

»Nicht daß ich wüßte. Aber sie hatte schon immer einen Hang zum Geheimnisvollen. Sie glaubte an Wahrsagerinnen und an die Kraft von Verwünschungen und Flüchen. Wahrscheinlich ist sie in Rom zufällig auf diese Figur gestoßen und dachte, sie könnte mich damit begeistern.« Aber ich runzelte die Stirn, als ich dies sagte, denn ich glaubte es selbst nicht. Nichts von dem, was ich bisher geäußert hatte, klang wahrscheinlich. An die einzige Erklärung, die ich mir für solch eine Geste vorstellen konnte, wollte ich nicht glauben: daß Adele nämlich versuchte, mir eine Botschaft zu übermitteln. »Ihre Schwester hat Sie aufgefordert, nach Rom zu kommen, sagen Sie? Und sie hat keinen Grund dafür genannt? Tja.« Er rieb sich das Kinn. Im Gegensatz zu den meisten Chirurgen seines Alters - er war in den Fünfzigern -trug Dr. Kellerman einen Bart. »In diesem Fall glaube ich, daß sie versucht, Sie durch eine List dazu zu bringen, nach Rom zu kommen. Aus irgendeinem Grund möchte sie Sie dort haben. Und aus irgendeinem Grund, in der Tat aus gutem Grund, mußte sie annehmen, daß Sie ihrem Wunsch nicht nachkommen würden. Deshalb hat sie einen Trick angewandt.«

»Das klingt nicht plausibel, nicht einmal für Adele. Nicht nach vier Jahren. Sie würde schreiben. Und wenn es nur ein kurzer Brief wäre. Aber nicht.« Ich betastete den seltsamen Schakal. Dr. Kellerman schürte das Feuer. »Warum nicht?« Er kniff die Augen zusammen, um sie vor fliegenden Funken zu schützen. Er war einer der wenigen Menschen, Ärzte mit eingeschlossen, auf deren Meinung ich große Stücke hielt. Doch diesmal konnte ich mich nicht so recht mit ihm einverstanden erklären. »Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht. Sie wird bestimmt noch einmal anrufen.«

»Möglich. Sagen Sie mir, werden Sie sich von ihr nach Rom locken lassen?«

»Rom!« Ich lachte und berührte seinen Arm. »Wie albern! Wenn ich das täte, nach wem würden Sie dann Ihre Klemmen werfen, wenn die Dinge nicht laufen, wie sie sollen?«

»Sie kommen nie raus, Lydia.«

»Aber ich komme doch viel herum«, protestierte ich nachdrücklich.

»Natürlich. Wollen wir doch mal sehen: Letztes Jahr waren Sie in Columbus, Ohio, für die OP-Krankenpflegertagung. Davor fuhren Sie nach Oakland zur Versammlung des kalifornischen Krankenpflegerbunds. Im Jahr zuvor.«

»Dr. Kellerman, ich reise eben nur nicht ins Ausland.«

»Das will ich meinen. Columbus und Oakland, von allen Orten, die man bereisen kann, waren es ausgerechnet diese beiden. Wenn ich mich recht entsinne, wären Sie einmal beinahe nach Hongkong geflogen, aber im letzten Moment haben Sie gekniffen.«

»Das gehört doch jetzt überhaupt nicht zur Sache, Dr. Kellerman. Ich denke, ich werde jetzt nach Hause fahren. Ich nehme das Buch und meinen treuen Schakal mit und warte darauf, daß meine launenhafte Schwester wieder anruft. Ich bin mir übrigens sicher, daß sie das tun wird.« Ich stand auf und legte den Schakal vorsichtig in meine Handtasche zurück. »Ich kann mir gar nicht denken, warum sie so einfach den Hörer auflegte und warum sie danach abreiste, ohne mich vorher zurückzurufen. Oh, Adele!«

Während ich mich zum Gehen bereitmachte, bemerkte ich, daß Dr. Kellerman zu der großen Wanduhr über seinem Kamin aufblickte. Nach einem kurzen Moment fragte er: »Um wieviel Uhr bekamen Sie Adeles Anruf?«

»Um wieviel Uhr? Da muß ich nachdenken. Es war während des Herzstillstands. Etwa gegen eins, würde ich sagen.«

»Und wann haben Sie ihn erwidert?«

»Ungefähr eine Stunde später. Warum?«

»Demnach war es hier zwei Uhr nachmittags, als Sie mit ihr sprachen.«

»So in etwa, ja. Warum fragen Sie?« Auch ich begann auf die reich verzierte alte Wanduhr zu starren, die leise tickte. »Wenn ich mich recht erinnere, ist Rom uns in der Zeit um neun Stunden voraus. Das würde also bedeuten, daß es dort etwa elf Uhr war, als Ihre Schwester anrief.«

»Stimmt.«

»Und das hieße auch, daß sie ihr Hotel irgendwann kurz vor Mitternacht verließ.« Dr. Kellerman sah mich an. »Ich finde das ziemlich merkwürdig. Finden Sie nicht auch?« Ich erwiderte seinen Blick. »Doch, allerdings.«

»War der Telefonist sicher, daß Ihre Schwester auflegte und das Gespräch nicht durch einen technischen Fehler unterbrochen wurde? Warum um alles in der Welt sollte sie aber anrufen und mitten im Gespräch den Hörer auflegen? Und warum sollte sie mitten in der Nacht plötzlich ihr Hotel verlassen?«

Ich ließ meinen Blick wieder zur Wanduhr schweifen, während ich mir das schlafende Rom um Mitternacht vorstellte. Ich sah, wie Adele bei einem schläfrigen Hotelangestellten die Rechnung bezahlte und dann auf einer menschenleeren Straße nach einem Taxi Ausschau hielt.

»Das ist einfach lächerlich!« Ich war schon drauf und dran, Einspruch zu erheben. Ganz egal, wie flatterhaft und unberechenbar meine Schwester auch sein mochte, sie würde doch nie ein dringendes Ferngespräch führen und dann mitten im Satz auflegen. Da bemerkte ich den besorgten Ausdruck auf Dr. Kellermans Gesicht. Er starrte abwesend ins Feuer.

So meinte ich mit gespielter Lässigkeit: »Nun, so lächerlich es auch erscheinen mag, bin ich mir doch sicher, daß es eine einleuchtende Erklärung für alles gibt. Adele wird mich zurückrufen und alles klarstellen. In der Zwischenzeit benutze ich diesen Schakal als Briefbeschwerer oder so.«

Dr. Kellerman begleitete mich zum Auto; der dichte Nebel schlug sich in Form von Wasserperlchen auf Haar und Schultern nieder, und unser Atem wurde in der Luft als Dampf sichtbar. Er lebte in einer schönen Wohngegend. Ein altes und elegantes Viertel. Und ruhig gelegen.

»Ich wünschte nur zuweilen, Sie würden länger bleiben, Lydia.« Ich erwiderte sein Lächeln. In den drei Jahren, die ich Dr. Kellerman nun schon assistierte, waren wir sehr gute Freunde geworden. »Gute Nacht«, sagte ich leise und fuhr in die weiße Nacht hinaus.

Als ich nach Hause zurückkehrte, blieb ich beim Betreten meiner Wohnung wie angewurzelt stehen. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Die Arme in die Seite gestemmt, stand ich da und fühlte eine unglaubliche Wut in mir hochsteigen. »So eine Gemeinheit!« rief ich.

Bei mir war eingebrochen worden.

Es war nichts geschehen, was ein flüchtiger Beobachter, ja sogar ein häufiger Besucher bemerkt haben würde, denn die Anzeichen waren sehr geringfügig. Nur ich als Bewohnerin dieses tadellos aufgeräumten Appartements war imstande, diese winzigen Anzeichen von Unordnung zu erkennen. Sobald ich zur Tür hereingekommen war und noch bevor meine Augen irgend etwas wahrnahmen, hatte ich das Gefühl, daß die Luft im Raum sich verändert hatte und nicht mehr die gleiche war. Und dann sah ich untrügliche Spuren: Ein Lampenschirm hing ein wenig schief; das Telefon war verrückt; eine Schublade des Schreibtischs war nicht ganz geschlossen. In meiner Wohnung herrscht dieselbe peinliche Ordnung wie in dem Operationssaal, in dem ich arbeite, auch wenn das schon ans Extreme grenzen mag. Doch so lebe ich nun mal. Daher wußte ich auf Anhieb, schon während der ersten Sekunden meines Eintretens, daß jemand in meine Wohnung eingedrungen war.

Der Gedanke, mich zu fragen, wer das wohl getan haben könnte oder auch warum, kam mir zunächst gar nicht. Ganz automatisch griff ich zum Telefon und wählte Dr. Kellermans Nummer. Ich war völlig entnervt und heulte fast vor Wut, denn es machte mich rasend, daß ein Fremder meine Privatsphäre verletzt hatte. Diese Vorstellung war mir unerträglich.