»Ich fürchte, ich habe keinen Appetit«, seufzte ich, »aber ich komme mit und leiste Ihnen Gesellschaft.«
Der Speisesaal war ziemlich geräumig und voll besetzt mit Touristen. Wir fanden einen kleinen Tisch an der Wand, und mehrere Kellner warteten uns auf. Obwohl das Essen köstlich
und die Atmosphäre erholsam war, brachte ich nicht mehr als eine Tasse Tee hinunter. Nachdem Achmed Raschid zu Ende gegessen hatte und wir schweigend über einer Tasse Tee saßen, fragte ich mit leiser Stimme: »Was ist das für ein Plan, über den Sie mit mir reden wollten?«
»Ah, ja.« Achmed lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah sich um. Der Speisesaal war jetzt fast leer, und die wenigen Gäste, die sich noch darin aufhielten, saßen weit von uns entfernt. Auch die Kellner befanden sich außer Hörweite. So beugte er sich vor und begann: »Alles, was ich Ihnen bis hierher mitgeteilt habe, Miss Harris, ist reine Theorie. Es gibt keine handfesten Beweise. Aber in meinem Beruf haben wir häufig nur Theorien und müssen die Fakten erst suchen. Ich begann die Ermittlungen allein auf der Grundlage von Gerüchten und hatte auch im weiteren Verlauf wenig konkretes Beweismaterial. Das heißt, ich folgte einer jungen Amerikanerin nach Rom, die einen antiken Kunstgegenstand unbekannter Herkunft in ihrem Besitz hatte und dann mit dem Agenten eines international bekannten Kunstschmugglers Kontakt aufnahm - all dies würden Sie als hypothetisch bezeichnen. Und es ist auch nur eine Theorie, daß unsere Quelle Paul Jelks ist. Er könnte unschuldig sein, obwohl wir uns im Augenblick auf niemanden anders besinnen können, der als Verdächtiger in Frage kommt. Wir wissen, wo er sein Lager aufgeschlagen hat. Wenn wir jetzt hingingen und eine Durchsuchung verlangten oder belastende Fragen stellten, fänden wir vielleicht nichts, würden ihn aber in Alarmbereitschaft versetzen, so daß wir die Wahrheit niemals herausbekämen. Wenn es nicht Jelks ist, dann könnte der wahre Schuldige von unserem Verhör erfahren und so einen Weg finden, uns geschickt zu entgehen. Sie sehen, Miss Harris, es ist eine heikle Aufgabe, denn wir haben es mit listigen Leuten zu tun. Sie sind nicht dumm, und ebensowenig müssen wir es sein.«
»Was werden wir also tun?«
Er schaute sich wieder um und beugte sich noch weiter zu mir vor. »Ich muß handfestere Beweise haben, bevor ich zu Paul Jelks gehe. Wenn es einen Weg gibt, sicher festzustellen, daß alles so ist, wie ich vermute, dann werde ich keine Zeit mehr verschwenden und auf ihn zugehen. Wenn ich herausfinde, daß es wirklich Paul Jelks ist, der antike Kunstgegenstände zum Verkauf anbietet, dann kann ich zu seinem Camp fahren und im Namen meiner Behörde alles beschlagnahmen, was er besitzt. Und ihn danach so lange verhören, bis er die Fundstelle des Grabes verrät.«
»Wenn es überhaupt ein Grab gibt.« Mr. Raschid neigte ein wenig den Kopf. »Nun, wie wollen Sie sich diesen Beweis beschaffen?«
»Vielleicht nicht direkt einen Beweis, Miss Harris, sondern möglicherweise nur einen Anhaltspunkt dafür, daß meine Theorien richtig sind. Und zu diesem Zweck habe ich einen Plan ausgearbeitet. Aber er erfordert Ihre Hilfe.«
»Natürlich, ich freue mich, wenn ich helfen kann.«
»Aber« - seine Stimme klang düster -, »es ist gefährlich.«
»Ach ja? War ich bisher vielleicht nicht in Gefahr?« Er lächelte und wirkte sichtlich gelöster. »Sehr gut. Hier ist mein Plan. Meine Agenten haben alle Antiquitätenhändler in Luxor aufgesucht, doch nur sehr wenige wollten zugeben, einen Schakal im Besitz einer jungen Amerikanerin gesehen zu haben. Dafür gibt es Gründe. Einer könnte sein, daß sie tatsächlich nur diese wenigen besuchte, was ich jedoch bezweifle, denn es hätte für sie keinen Sinn, nicht zu allen zu gehen. Ein anderer Grund dafür, daß so wenige es zugeben, wäre die Vorsicht dieser Händler im Umgang mit Regierungsbeamten. Diese Leute müssen auf der Hut sein, um ihre Lizenzen zu schützen. Sie befürchten, sie könnten ihre Lizenzen verlieren, wenn ihr Name in Zusammenhang mit illegalen Geschäften gebracht würde. Wenn sie daher von Regierungsagenten befragt werden, sind sie.«
»Verschlossen?«
»Ja, und sie werden uns nicht verraten, ob sie diese junge Amerikanerin mit dem Schakal gesehen haben. Vielleicht haben einige sogar angeboten, die gesamten Grabbeigaben zu kaufen, und bekamen es mit der Angst, als meine Männer auftauchten und Fragen stellten. Es gibt hier tausend mögliche Gründe, Miss Harris.«
»Wie sieht also Ihr Plan aus?«
»Ich hatte gedacht, wenn dieselbe Amerikanerin die Händler abermals mit ihrem Schakal aufsuchte und vorgäbe, noch mehr anbieten zu können, dann wären sie vielleicht bereit, mit ihr zu sprechen.«
»Adele? Aber wie?«
»Nein, Miss Harris. Ich meine Sie.«
In der nächsten Stunde gingen wir den Plan ein übers andere Mal durch, bis wir beide zufrieden waren. Ich hatte keine Angst. Wenn Mr. Raschids Plan klappte, würde ich meine Schwester finden. Und nur darauf kam es an.
Ich mußte einfach zu den Geschäften der lizenzierten Antiquitätenhändler gehen, ihnen den Schakal wie einen Köder vor die Nase halten und darauf warten, daß einer sich verplapperte. Es war riskant, aber das war die Sache wert. »Wir können nicht sofort losgehen, denn die Geschäfte haben geschlossen und öffnen erst wieder um vier Uhr. Jetzt ist es zwei. Sollen wir einen kleinen Spaziergang machen, bevor wir mit der Arbeit beginnen?«
Wir traten aus dem New Winter Palace hinaus in einen ruhigen Nachmittag vollwarmer Brisen und Blumendüften. Wie Kairo, wie Rom und wie so viele andere Städte in den heißeren Erdteilen hielt auch Luxor zwischen eins und vier seinen Mittagsschlaf, um die wärmste Tageszeit zu überdauern. Es war eine Gewohnheit, die ich angenehm fand, und obwohl ich es kaum erwarten konnte, die Suche nach Adele fortzusetzen, begrüßte ich die Gelegenheit, nach einer Reihe von hektischen Tagen etwas Entspannung genießen zu können.
Die Al-Nil-Straße verlief parallel zum Fluß und führte vom Hotel aus in nördlicher Richtung, so weit man nur laufen wollte. Wir gingen aber nur ein kurzes Stück. Achmed Raschid und ich sprachen nicht viel und hingen jeder seinen eigenen Gedanken nach. Ich konnte nicht erraten, was in seinem Kopf vorging, doch in meinem tauchten wieder dieselben unbeantworteten Fragen auf. Was würde ich heute abend in den Läden der Händler über diesen Schakal und meine Schwester erfahren?
Wir liefen um den Luxor-Tempel herum, auf dessen anderer Seite sich ein Stadtpark befand, wo wir von »Bakschisch! Bakschisch!« schreienden Straßenkindern bestürmt wurden. Mr. Raschid gab ihnen einige Münzen und schickte sie weg. Wir spazierten weiter auf der Al-Nil-Straße, bis wir zum Savoy-Hotel gelangten. Die Hitze ließ uns langsamer gehen. Achmed Raschid fand eine Steinbank, auf der wir im Schatten eines Baumes sitzen und über den Nil blicken konnten. Es war ein friedlicher Augenblick, wie wir so dasaßen, die Feluken anmutig über den Fluß gleiten sahen und das Wasser leise gegen das Gras plätschern hörten. Ich hätte ewig dort verweilen mögen. Luxor war eine wunderschöne Stadt, ruhig und malerisch, und es machte mich traurig, wenn ich daran dachte, welche Umstände mich hierher geführt hatten. Das Domus Aurea und John Treadwell waren weit, weit weg, als ob sie mir nur im Traum begegnet wären. Und Adele befand sich irgendwo in der Nähe. Sie befand sich entweder in der
Stadt oder jenseits des Flusses in dieser sandigen Einöde. Oder war sie am Ende wieder weitergereist? Doch ich hatte dieses Rätselraten satt und war müde von dem hektischen Tempo, das ich in den letzten Tagen hatte einhalten müssen. Ich hätte gerne einen ganzen Monat hier verbringen und jeden Tag am Nil sitzen mögen, nur zum Träumen. Mit jemandem wie Achmed Raschid wäre das so leicht gewesen. Hinter uns trappelten Pferde vorbei, die Touristenpärchen zum KarnakTempel brachten. Ich wandte mich hin und wieder um und bewunderte die bunten Kutschen, die alle verschieden aussahen und nach dem Geschmack des jeweiligen Eigentümers prächtig geschmückt waren.