Выбрать главу

»Und wen«, entgegnete ich ruhig, »wen versuchst du davon zu überzeugen? Dich oder mich?«

Zum ersten Mal wandte er die Augen ab. Ich spürte, daß er einen inneren Kampf austrug. Und als wir weiter schweigend dasaßen, dachte ich zurück an jene Nacht im Shepheard’s Hotel, als John mich aufs Bett gelegt und in seine Arme genommen hatte und wir uns geküßt hatten. Ich erinnerte mich daran, wie sehnsüchtig diese Küsse gewesen waren und wie sehr sie Leidenschaften wachgerufen hatten. Ich schaute auf den Mann vor mir. Er mußte mich nicht küssen, ja nicht einmal berühren, um mich zu erregen. Allein seine Nähe entzündete ein Feuer in mir. »Wir werden morgen früh aufbrechen, und es ist schon spät. Du solltest schlafen, Lydia. Aber ich werde dich nicht verlassen, denn das wäre nicht sicher.«

Ich erhob mich spontan, hob meine Handtasche vom Boden auf, wickelte den Schakal in das Taschentuch und schickte mich an, die Tagesdecke zurückzuziehen. Achmed rührte sich nicht vom Fleck. Als ich jedoch meine Schuhe wegkickte und Anstalten machte, ins Bett zu kriechen, stand er plötzlich auf und griff nach meinen Arm. »Lydia, du mußt etwas verstehen.«

Ich konnte seinem Blick nicht ausweichen. Er schien Dinge zu sagen, die er mit Worten nicht auszudrücken vermochte. »Ich fühle es auch«, murmelte er ruhelos. »Aber wir dürfen es nicht zulassen. Wir sind uns durch Zufall begegnet, und bald schon wirst du in deine Welt zurückkehren. Denn der Grund, aus dem du herkamst, der Grund, aus dem du jetzt hier bist, wird nicht länger existieren, und dann wirst du fortgehen. Du hast dein Krankenhaus und deinen Chirurgen, der auf dich wartet, und ich habe meine Arbeit bei der Regierung. Wir haben beide Aufgaben und Verpflichtungen. Was zwischen uns passiert ist, ließ sich nicht vermeiden, weil es rein zufällig geschah. Aber es darf nicht sein. Morgen werden wir in die Wüste hinausfahren, und hoffentlich wirst du dort deine Schwester finden. Dann werdet ihr in die Welt zurückkehren, in die ihr gehört.«

»Ich weiß, wohin ich gehöre«, flüsterte ich.

Sein Griff um meinen Arm wurde fester. Ich hätte in diesem Augenblick alles dafür gegeben, wenn er weich geworden wäre; wenn er mich in seine Arme genommen und wieder geküßt hätte. Aber ich wollte nicht diejenige sein, die ihn dazu veranlaßte. Wenn Achmed über seinen inneren Konflikt den Sieg erringen sollte, wenn er erkannte, wie sinnlos seine Worte waren, und wenn er jetzt zu der Überzeugung gelangte, daß

Kulturen und andere Welten und Religionen keine Bedeutung hatten, dann wollte ich, daß diese Entscheidung von ihm kam -nicht von mir. Er mußte die Antwort in sich selbst finden. »Lydia, wenn es der Wille Allahs ist, wird es geschehen. Aber ich glaube nicht daran, denn ich weiß, daß wir bald auseinandergehen und uns nie wiedersehen werden. Was zwischen uns geschehen ist und noch immer geschieht, hätte nie sein sollen.«

Ich zog meinen Arm von ihm weg. Wie in einem Traum schlug ich die Bettdecke zurück und schlüpfte darunter. Im Geiste hörte ich mich sagen: So muß es sein, wenn man unter Narkose steht.

Jemand drehte das Licht aus und hüllte den Raum in völliges Dunkel. Kein Geräusch war zu hören. Luxor lag in tiefem Schlaf. Das Hotel war still und ruhig. Als ich in meinem Bett lag und in die Finsternis starrte, hörte ich, wie jemand sich in das Bett neben mir legte und seufzte. Dann spürte ich, wie mein Körper weit fortgetrieben wurde und in abgrundtiefen Schlaf versank.

Mitten in der Nacht schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Einen Moment lang kam es mir so vor, als ob ich nur die Augen geschlossen hätte. Doch als ich mich auf der Seite statt auf dem Rücken fand, wußte ich, daß ich geschlafen hatte. Ich hatte nur keine Ahnung, wie lange.

Das Zimmer war noch immer unglaublich dunkel. Ich horchte auf Geräusche, auf Bewegungen oder Atmen. Da war nichts. »Achmed?« flüsterte ich.

Ich brauchte nicht erst das Licht einzuschalten, denn ich wußte schon, daß er nicht da war. Ich stand vom Bett auf und trat geradewegs ans Fenster. Ich zog die Vorhänge beiseite und ließ helles Mondlicht ins Zimmer und über die beiden leeren

Betten scheinen. Bestürzt schlich ich auf Zehenspitzen zur Tür, legte mein Ohr daran und lauschte. Ein undeutliches Geräusch war von der anderen Seite der Tür zu vernehmen. Fast, als ob sich zwei Leute unterhielten. Aber leise, als sollte niemand anderes es hören.

Ich öffnete die Tür einen Spalt, gerade so weit, daß ich mit einem Auge hinausspähen konnte. Ich sah Achmed Raschid, der im Gang stand und mit jemandem, den ich nicht erkennen konnte, vertraulich murmelte. Er stand gegen die Wand gelehnt und hatte seine Hände lässig in die Hosentaschen vergraben. Er schien entspannt und gelöst, als ob er sich nur die Zeit vertriebe. Und als er leise lachte, fragte ich mich, wer dieser unsichtbare andere wohl war. Ich preßte mich eng an die Wand, um meinen Blickwinkel zu verändern. Ich hatte nun eine gute Sicht auf die Person, mit der Achmed so ungezwungen plauderte. Es war der Mann mit der dicken Brille: Karl Schweitzer.

Kapitel 14.

Ich war erstaunt, wie tief ich den Rest der Nacht durchschlief. Vermutlich war es so etwas wie ein seltsames Bedürfnis, das mich in die Lage versetzte, zu schlafen und den traumatischen Erlebnissen des vorangegangenen Abends für eine Weile zu entfliehen. Zuerst die Strapazen des Basars durchzumachen, dann vor der Mündung einer geladenen Pistole zu stehen, dann einen Mann niederzustechen und dann erfahren zu müssen, daß Achmed mit Schweitzer freundschaftlichen Umgang pflegte. das alles hatte sich zu etwas mehr aufgetürmt, als mir im Augenblick lieb war. So hatte ich die beiden Männer auf dem Gang stehenlassen, hatte leise die Tür geschlossen und war gleich darauf in einen tiefen Schlaf gesunken.

Am Morgen fühlte ich mich jedoch wenig erfrischt. Und als ich aufwachte, war ich froh, daß Achmed nicht da war. Ich brauchte eine kalte Dusche und Zeit zum Nachdenken. Nachdem ich mich gewaschen und etwas Ordnung in meine Gedanken gebracht hatte, stand ich vor dem Spiegel und kämmte mein feuchtes Haar aus. Was konnte das freundschaftliche Verhältnis von Achmed Raschid und Karl Schweitzer anderes bedeuten, als daß Achmed gar nicht der Regierungsbeamte war, für den er sich ausgab, oder daß er ein unehrlicher war? Sowohl das eine als auch das andere war schlecht. Ich wußte, daß Schweitzer mich im Domus Aurea niedergeschlagen hatte und daß er John getötet hatte. Was sagte das über seinen Freund Achmed aus? Ich hatte mich nicht viel anders gefühlt, als ich die Wahrheit über John Treadwell erfahren hatte: verbittert, enttäuscht und vor allem wütend. Schon wieder war ich von jemandem zum Narren gehalten worden, und ich fragte mich traurig, wie oft in meinem Leben mir das noch passieren mußte, bevor ich eine Lektion gelernt hatte. Während ich auf dem Balkon stand, um mein Haar trocknen zu lassen, beobachtete ich die langen, gekräuselten Schatten, die die Morgensonne warf, und überlegte, welche unvorhersehbaren Ereignisse dieser Tag wohl bringen würde. Alles, was ich wußte, war, daß ich meine Schwester finden und sie in die vernünftige, normale Welt zurückbringen wollte.

Achmed mußte mehrmals klopfen, bevor er schließlich selbst öffnete. Ich stand noch immer auf dem Balkon, als er sich zu mir gesellte. »Ich war nicht sicher, ob du schon wach bist. Wie geht es dir, Lydia?«