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»So gut, wie man es eben erwarten kann.« Ich starrte weiter vor mich hin. »Und dir?«

»Ausgezeichnet. Ich konnte gut schlafen.« Er blickte auch eine Weile auf den Fluß hinaus, und ich hoffte halb, er würde mir jetzt von seinem Treffen mit Schweitzer berichten. Ich hätte fragen können, aber ich wollte, daß er es unaufgefordert tat. Was aber nicht geschah. Achmed wartete darauf, daß ich noch etwas sagte. Als ich aber weiter schwieg, fuhr er fort: »Die erste Fähre über den Fluß geht in Kürze. Die nächste eine Stunde später. Willst du mit der ersten fahren, oder möchtest du vorher frühstücken?«

»Ich habe keinen Hunger«, gab ich zurück.

»Sehr gut.« Er wandte sich von mir ab und ging ins Zimmer zurück. Als ich hinuntersah, stellte ich fest, daß meine Hände das Geländer so fest umklammerten, daß meine Knöchel weiß hervortraten. Ich versuchte einen Entschluß zu fassen. Sollte ich ihn mit meiner Entdeckung konfrontieren oder nicht? Sollte ich mich einfach Hals über Kopf hineinstürzen, damit herausplatzen und es hinter mich bringen, oder sollte ich dieses falsche Spiel noch weiter treiben? Dann drehte ich mich um und schaute ihn an. Und als ich seine wunderschönen Augen und sein gewinnendes Lächeln sah, schlug mein Herz ihm entgegen. Nein, dachte ich traurig. Er wird mich sowieso nur anlügen, und damit wäre nichts erreicht. Wir können die Scharade ebensogut noch eine Weile fortsetzen. Zumindest so lange, bis ich Adele gefunden hatte.

Die Morgensonne stach uns in die Augen, während sie über dem New Winter Palace allmählich aufging. Die Fähre würde uns ans Westufer bringen, ins Land der Toten, in jenes Reich, zu dem Amon-Re allmorgendlich in seiner Sonnenbarke im Osten aufbrach. Achmed und ich waren zu dieser Stunde die einzigen Fahrgäste, was mir nur recht war. Ich hatte kein Verlangen nach einer Menschenmenge. Wegen der Schnelligkeit der Strömung mußte sich die Fähre stromauf arbeiten, um stromabwärts zu gelangen. Weil man nicht auf direktem Weg übersetzen kann, dauerte die Fahrt ziemlich lange. Während das Boot sich langsam auf die gegenüberliegende Landungsbrücke zubewegte, beobachtete ich meinen Begleiter, wie er an der Reling stand. Der leichte Nordwind strich über sein Gesicht und zerzauste sein Haar. Im Profil war er ein bemerkenswerter Mann mit einer starken Nase und Augen wie ein Adler. Ich sah Achmed Raschid gerne an, obwohl ich nun zugleich traurig und wütend war. In gewisser Hinsicht wünschte ich, ich hätte ihn letzte Nacht nicht mit Schweitzer gesehen. Ich wünschte, ich hätte die Wahrheit nicht erfahren, denn dann hätte ich ihm weiterhin blind vertrauen und ihn lieben können. Doch jetzt konnte es natürlich nie wieder wie vorher sein.

Auf der anderen Seite standen mehrere Taxis bereit, so daß wir keine Mühe hatten, eins zu mieten. Achmed und der Fahrer handelten zunächst einen Preis aus und verständigten sich darauf, daß er uns dafür bis zum Mittag zur Verfügung stehen sollte. Danach würde sich der Preis erhöhen.

Achmed und ich saßen auf dem Rücksitz, während das Taxi über die unebene Piste rumpelte und eine riesige Staubwolke hinter uns aufwirbelte. Wir fuhren durch Ackerland und Lehmziegeldörfer, immer in Richtung auf die vor uns liegenden braunen Felsen. Ich hörte nur halb hin, wenn er gelegentlich Erläuterungen zu den Plätzen gab, an denen wir vorüberkamen.

»Dieses kleine Dorf auf unserer Rechten wurde 1955 von eurem Mr. Cecil de Mille für den Film Die zehn Gebote errichtet. Nachdem der Film gedreht war und die ganze Mannschaft Ägypten verlassen hatte, zogen die hier ansässigen Bauern in diese >Filmstadt< und ergriffen Besitz davon. Deshalb unterscheidet sie sich stark von anderen Dörfern in Ägypten.«

Wir kamen an Zuckerrohrfeldern vorüber und mußten hin und wieder bremsen, wenn Kamele die Straße überquerten. Wie ich es schon auf der Zugfahrt erlebt hatte, kamen auch jetzt Kinder in langen galabiyas angerannt, die uns im Vorüberfahren zuwinkten und zuriefen.

Dann fuhren wir an zwei sitzenden Figuren vorbei, die an der rechten Seite etwas abseits der Straße aufragten. »Das sind die Memnon-Kolosse«, erklärte Achmed, »riesenhafte Statuen, die einst den Eingang zu einem Tempel bewachten, der heute nicht mehr existiert. Eines der Sitzbilder soll vor vielen Jahren allmorgendlich die Sonne besungen haben, weswegen man glaubte, daß der Geist des Königs in ihm wohnte. Doch in Wirklichkeit hatte ein Erdbeben Risse in der Statue hervorgerufen, durch die der Wind pfiff. Es war der Wind, der sang, nicht die Statue.«

Ich starrte mit ausdruckslosem Blick aus dem Fenster. »Du bist heute morgen sehr still, Lydia.«

»Ja, das bin ich wohl.«

»Ich kann das verstehen. Und ich hoffe um deinetwillen, daß alles nun sehr rasch ein Ende nimmt.«

Nein, du verstehst gar nichts, dachte ich ärgerlich. Aber je eher alles vorüber ist, desto besser. Ich kniff meine Augen fest zusammen. Oh, Achmed Raschid, warum mußtest du mich hintergehen? Das Taxi ratterte und holperte über die lange, staubige Straße. Es fing an warm zu werden. Schließlich gelangten wir zu dem Totentempel der Hatschepsut, Der el-Bahri, und ich reckte den Hals, um im Vorüberfahren einen Blick darauf zu werfen. Die in einen ockerfarbenen Steilabfall hineingearbeiteten Rampen, Terrassen und Säulenhallen beeindruckten mich zutiefst. Als ich das Fenster herunterkurbeln wollte, um eine klarere Sicht zu haben, meinte Achmed: »Es wäre besser, den Sand draußen zu lassen. Er wird deine Kehle und deine Lungen austrocknen. Die Luft hier ist sehr trocken und staubig. Deshalb hat sich in Ägypten alles so gut konserviert. Es ist weniger dem Mumifizierungsprozeß als der Wüstenluft zuzuschreiben, daß die Leichname der Pharaonen von Ägypten uns bis heute erhalten geblieben sind.«

»Dieser Tempel ist unglaublich!« entfuhr es mir. »Kann man hineingehen?«

»Ja, bis auf die oberste Terrasse, die gegenwärtig von einer Gruppe polnischer Archäologen restauriert wird. Die mittlere Terrasse wurde von den Amerikanern wiederhergestellt, die erste von den Franzosen. Siehst du, die Schätze Ägyptens sind wirklich die Schätze der ganzen Menschheit.«

Nach Der el-Bahri schlugen wir wieder einen Bogen in Richtung Nil und befuhren eine sehr staubige, holprige Straße. Als wir an einer staatlichen Raststätte vorbeikamen, bot Achmed mir an, für ein Glas Tee halt zu machen. Doch ich schüttelte nur den Kopf. Das Tal der Könige war nahe, zu nahe, und ich hatte es eilig. Die jähen Felsabbrüche des Tals lagen bereits die ganze Zeit zu unserer Linken, während wir der Straße folgten, die daran entlangführt. Das Tal der Könige befindet sich jenseits dieser steilen Klippen, und der Weg dorthin ist lang und umständlich.

»Sind bis heute noch nicht alle Gräber entdeckt?« fragte ich nach einer Weile.

»Überraschenderweise, Lydia, liegen noch sehr viele Dinge unter Ägyptens Sand verborgen. Aber mein Land ist zu arm, um für archäologische Grabungen Geld auszugeben, denn es ist kostspielig, und andere Nationen investieren ihre Mittel lieber in gewinnbringendere Objekte. Ja, es muß noch viele Gräber und viele Tempel geben, die noch nicht ausgegraben sind. Doch du mußt bedenken, daß es ungewöhnlich ist, auf ein völlig intaktes Grab zu stoßen. Gräber wie die von Tutenchamun und Königin Hetepheres sind selten.«

»Warum?«

»Wegen der Grabräuber.«

»Kann man denen nicht das Handwerk legen?« Er lachte. »Ich meine die Grabräuber aus pharaonischen Zeiten. Unglücklicherweise haben nur sehr wenige Pharaonen ihre Schätze nach dem Tod genießen können, so sehr sie sich auch bemühten, ihre Grabstätten geheimzuhalten. Priester ließen sich oft bestechen.«

»Wie kam es dann, daß Tutenchamun unversehrt blieb?«

»Wir wissen es nicht. Das kann purer Zufall gewesen sein. Aber ein Grab zu finden, das nicht leer ist, das noch alle Schätze birgt, die ihm in der Stunde der Beerdigung beigegeben wurden, Lydia, das wäre großartig!«