Erkenntnissen, die ein solches Grab uns vermitteln kann. Als ich Adele berichtete, was wir vorhatten, bestand sie darauf, daß sie es übernehmen wolle, für uns einen Käufer zu finden. Adele trägt an alledem keine Schuld, Mr. Raschid, das müssen Sie mir glauben! Wenn ich gewußt hätte. Nun ja, es schien ihr solchen Spaß zu machen und so durch und durch harmlos zu sein. Ich sagte, sie solle nach Kairo fahren und sich dort vorsichtig nach einem Käufer für eine kleine Auswahl an Stücken umsehen - wobei sie nichts von einem Grab erwähnen sollte. Doch Adele blieb nicht immer mit beiden Beinen auf dem Boden, und ihre Denkweise ist nicht gerade allzu nüchtern und sachlich. Wie es scheint, hat ihr irgend jemand im Khan-el-Khalili-Basar vorgeschlagen, sie solle sich doch mit John Treadwell in Rom treffen, und ihr gesagt, er werde einen guten Preis zahlen. Sehr mit sich selbst zufrieden und im Glauben, ein gutes Geschäft für mich zu tätigen, ging sie Arnold Rossiter direkt ins Netz. John Treadwell war zuerst freundlich, doch als Adele sich weigerte, ihm weitere Auskünfte zu erteilen, wurde er unverschämt. Ihr war etwas von >einem Grab< herausgerutscht, und damit begannen alle Schwierigkeiten. Rossiter ließ sie nachts aus Rom entführen und in eine Villa außerhalb von Neapel bringen, wo er beabsichtigte, sie über die Lage des Grabes auszufragen oder, wenn ihm dies nicht gelänge, sie festzuhalten und als Lösegeld den Inhalt des Grabes zu verlangen - den ich ihm auch gegeben hätte. Doch Adele war nicht so dumm, wie sie glaubten. Es gelang ihr, nach Rom zurückzufliehen, wo Mark Spencer - den ich ihr nachgeschickt hatte - sie fand und nach Kairo zurückbrachte. Sie hatte vorgehabt, dort auf Sie zu warten. Doch dann sah sie zufällig Rossiter im Hilton und bekam es mit der Angst. Adele hatte es irgendwie im Gefühl, daß Sie sie auch hier unten finden würden.« »Unglücklicherweise ist dasselbe auch Rossiter gelungen«, bemerkte Achmed.
»Nun ja, ich hatte nicht erwartet, daß die ganze Sache eine so schlimme Wendung nehmen würde. Es ließ sich alles so harmlos an, wirklich.«
»Es ist jetzt eine gefährliche Situation, Dr. Jelks. Ein Mensch ist dabei ermordet worden.«
»Was?«
»John Treadwell, vor ein paar Tagen.«
»Aber aus welchem Grund denn?«
»Wer weiß? Vielleicht ein Streit, eine Unstimmigkeit. Möglicherweise hatte Mr. Treadwell aber auch eigene Pläne. Das werden wir wohl niemals erfahren. Aber jetzt droht auch uns Gefahr.« Ich beobachtete Achmed Raschid. Als er zufällig den Kopf drehte und mich ansah, fragte ich ruhig: »Woher weißt du, daß Rossiter hier ist?«
Seine Miene verdüsterte sich. »Miss Harris.«
»Oh, was spielt das schon für eine Rolle?« rief Paul. »Wenn dieser Mistkerl hier ist, dann sollten wir besser machen, daß wir zum Grab kommen. Gott steh mir bei, daß ich nicht die größte Entdeckung in der Geschichte der Archäologie verpatzt habe!«
Er stand abrupt auf und Arnes mit ihm. »Offen gesagt, ich bin froh, daß es vorüber ist. Für diese Art Dinge bin ich nicht geschaffen. Mr. Raschid, würden Sie jetzt gerne zum Grab fahren?«
»Sehr gerne, danke.«
Ich erhob mich und bewegte mich wie im Traum. Die Luft war stickig, das Licht trübe. Als Achmed meinen Arm berührte, wich ich zurück.
Es gab da etwas an der ganzen Sache, das mir mißfiel. Irgend etwas war hier nicht in Ordnung.
»Wissen Sie, das Tal der Könige ist vielleicht der sagenumwobenste Ort auf Erden.« Paul Jelks sorgte für einen fortlaufenden Kommentar, während wir im Landrover über die holprigen Pisten rumpelten. Mark Spencer saß am Steuer, Paul Jelks daneben. Ich saß mit einem Mund voller Staub auf dem Rücksitz zwischen Dr. Arnes und Achmed Raschid. »Jahrhundertelang war das Tal ein beliebter Ort für volkstümliche Märchen. Griechen und Römer hinterließen hier ihre originellen Felsinschriften, und mittelalterliche Mönche machten verlassene Gräber zu ihrer Heimstätte. Das Zeitalter der Aufklärung brachte zahlreiche Philosophen hierher, und viktorianische Archäologen verglichen es mit einem Disneyland. Doch die größten Entdeckungen wurden erst in unserem Jahrhundert gemacht, und weitere werden noch folgen.«
Ich schloß die Augen und hustete. Wir schwitzten allesamt fürchterlich und rochen danach. Obwohl ich es vorgezogen hätte, im Camp zu bleiben und auf Adele zu warten, hatte Achmed aus irgendeinem Grund ein besseres Gefühl, mich dabeizuhaben. Ich war darüber nicht allzu erfreut.
»Jahrtausendelang bauten die alten Ägypter Gräber mit Grabtempeln, die entweder direkt darüber lagen oder in der Nähe errichtet wurden, damit sie für die Seelen leicht zugänglich sein sollten. Doch der Tempel stellte auch einen Hinweis auf die Lage des Grabes dar. Solange der Tempel in der Nähe des Grabes errichtet werden mußte, wurde das Grab immer wieder gefunden und folglich geplündert. In der achtzehnten Dynastie wurde mit dieser Tradition dann endlich gebrochen. Von da an wurden alle Toten auf dieser Seite des Gebirges bestattet, statt wie zuvor auf der Ostseite, wo man das Grabmal des Hatschepsut und das Ramesseum findet. Die Grabtempel wurden abgeschafft, und fortan waren die Gräber schwerer zu finden.« Ich weiß nicht, für wen er eigentlich sprach, denn Mark Spencer, Wilbur Arnes und Achmed Raschid wußten dies alles ja schon - und ich hörte nicht zu. Trotzdem fuhr er unbeirrt fort.
»Leider funktionierte nicht einmal das, da auch strengste Geheimhaltung, ausgeklügelte Labyrinthe und verborgene Fallen die Grabräuber nicht davon abhalten konnten, die meisten der Gräber auszuräumen. Dies führte dazu, daß nach der zwanzigsten Dynastie keine Pharaonen mehr hier beigesetzt wurden. Es gibt viele Gräber im Tal der Könige, und fast alle waren leer, als sie entdeckt wurden - außer dem von Tutenchamun und meinem.«
Seine Stimme wurde vom Wind weggetragen. Ob er noch sprach oder nicht, konnte ich nicht sagen. Und es war mir auch egal. Wir fuhren durch eine Gegend, in der die Zeit stillzustehen schien, wo, was gestern war, noch heute ist und auch morgen sein wird. Die Luft war angefüllt von laut summenden, fetten, frechen Fliegen. Der Staub machte uns schwer zu schaffen, und die Hitze war unerträglich. Als der Landrover auf Allradantrieb umgeschaltet wurde und sich knirschend einen steil ansteigenden schmalen Eselspfad hinaufquälte, war mir nach Schreien zumute.
»Dies wird natürlich mein erster Besuch bei Tageslicht sein, Mr. Raschid«, erklärte Paul über die Schulter hinweg. »Wir haben immer nur nachts gearbeitet.«
Ich hatte keine Ahnung, wohin wir fuhren, und wünschte nur, daß die Fahrt schnell ein Ende nähme. Als ich zurückschaute, sah ich, daß wir das Tal schon weit unter uns gelassen hatten. Seine kleinen schwarzen Münder, die Eingänge zu den Gräbern darstellten, wurden immer kleiner.
»Dieser Berg in Pyramidenform ist der höchste der thebanischen Hügel, Lydia, und wurde der Gipfel des Westens genannt. Man glaubte, daß die gefürchtete Schlangengöttin Meresger oder >Freundin der Stille< dort hauste. All diese
Berge um uns her galten als heilig.« Mir erschienen sie nur öde und endlos. Nirgendwo zeigte sich auch nur die kleinste Spur pflanzlichen Wachstums, nur unendliche Schotterhalden an steilen, zerklüfteten Felswänden unter sengender Sonne. Als der Landrover über einen schmalen Grat donnerte und bergab zu rasen begann, schrie ich auf.
»Das ist ein rauhes Gelände, Lydia, und wahrscheinlich ist das der Grund, warum König Tetef es für sein Grabmal ausgesucht hat. Es gibt hier keine Wadis oder Gebirgspfade. Um es zu erreichen, muß man ein gekonnter Kletterer sein. Gott allein weiß, wie sie es geschafft haben.«
»Gott allein weiß auch, wie sie es geschafft haben, die Pyramiden zu bauen«, fügte Mark hinzu.
»Richtig. Diese Ägypter waren sehr einfallsreiche Leute. Wenn es um das Leben nach dem Tod ging, scheuten sie keine Mühen. Und die Geheimhaltung der Grabstätte stand an erster Stelle. Selbst Tutenchamuns Grab, das so hervorragend unter dem Grab eines anderen Königs verborgen worden war, mußte früher oder später durch Zufall entdeckt werden. Aber auf mein Grab, auf Tetefs Grab, wäre man in tausend Jahren noch nicht gestoßen. Und deshalb ist er einer der wenigen Glücklichen, die jahrhundertelang vor Grabräubern bewahrt blieben. Er und seine Schätze sind unversehrt.« Wir fuhren durch eine enge Schlucht, nicht breiter als der Wagen selbst, und hielten dann plötzlich an. »Sie meinen, der Pharao ist noch im Grab?« fragte ich. »Ja. Wir brauchten Wochen, um die letzte Tür zu öffnen, aber dann endlich fanden wir vor ein paar Tagen seinen Leichnam.«