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Eingezwängt in einer V-förmigen Schlucht zwischen zwei schroffen Bergen und mit einer schräg ansteigenden Sandbarriere im Angesicht, konnte ich mir nicht vorstellen, daß hier irgend jemand den Eingang zu einem Grab zu finden vermochte.

»Wir haben ihn aber trotzdem gefunden«, meinte Paul, der offenbar in meinen Gedanken las. »Indem wir die Anweisungen der Schriftrolle wortwörtlich befolgten, begannen wir am richtigen Punkt zu graben.«

»Wo ist es also?« fragte ich, gegen das gleißende Sonnenlicht blinzelnd.

»Kommen Sie da entlang.«

Wir mußten im Gänsemarsch hinter Paul Jelks her marschieren, wobei der Sand uns bis zu den Knöcheln reichte und in unsere Schuhe eindrang. Dort, wo die Sanddünen den engen Grund der Schlucht berührten, kniete Paul nieder und fing an, wie ein junger Hund im Sand zu buddeln. In Sekundenschnelle hatte er einen breiten Holzdeckel freigelegt, der vollkommen unter Sand verborgen gewesen war und den man auch aus nächster Nähe nicht hätte ausmachen können. Dann hob er diese aus Holzlatten behelfsmäßig zusammengezimmerte »Tür« und machte den Blick frei auf einen unterirdischen Treppengang, der tief in den Berg hineinführte.

»Passen Sie auf, wohin Sie treten, Lydia. Diese Stufen sind äußerst uneben. Ich habe meine Taschenlampe dabei.«

Zu dritt machten wir uns an den Abstieg, während Mark und Dr. Arnes am Eingang zurückblieben. Als wir immer weiter in die Erde eindrangen, überkam mich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. »Schauen Sie sich nur alles genau an, Mr. Raschid, denn hier sehen Sie, was seit dreitausend Jahren kein menschliches Auge mehr gesehen hat. Und anders als Tutenchamuns Grab, das deutliche Spuren von Plünderungsversuchen aufwies, war dieses Grab hier unberührt und sah noch genauso aus wie am Tage, als die Priester es versiegelten.«

»Ich hätte nie gedacht.«, begann Achmed, aber er sprach seinen Satz nicht zu Ende. Ein fauliger Geruch schlug uns entgegen, als wir unten in einem leeren Vorzimmer ankamen. Paul leuchtete die Wände ab und richtete den Lichtkegel auf Gemälde mit phantastischen Geschöpfen und geheimnisvollen Schriftzeichen. Seine Stimme hallte: »Natürlich ist es nicht sauber. Wir konnten nicht die ordnungsgemäße Sorgfalt walten lassen, mit der wir bei einer genehmigten Grabung vorgegangen wären. Wir haben den ganzen Schmutz draußen abgeladen, um ihn als Tarnung zu verwenden. Gleich werden Sie feststellen« - er ging auf die andere Seite des Raums - , »daß es sich um einen ganz einfachen Grundriß handelt. So gewiß war sich König Tetef, daß dieses Versteck niemals gefunden würde, daß er sich nicht einmal die Mühe machte, trickreiche Falltüren und Gruben einzubauen, wie man sie aus anderen Gräbern kennt. Er muß sich überlegt haben, daß abscheuliche Fallen sich erübrigen würden, wenn die Gräber besser versteckt wären. So machte er sich daran, die Fehler seiner Vorfahren nicht zu wiederholen, und es funktionierte.«

Wir liefen einen schräg abfallenden Gang entlang, der immer weiter in die finstere Unendlichkeit hinunterführte. Als wir ihn etwa zur Hälfte durchlaufen hatten, blieb Paul plötzlich stehen und lauschte. »Haben Sie jemanden meinen Namen rufen hören?«

»Nein.«

»Das ist komisch. Ich hätte schwören können.« Er gab Achmed die Taschenlampe. »Nehmen Sie die Lampe, und gehen Sie weiter. Ich kehre um und sehe nach, was sie wollen. Ich werde gleich wieder da sein.« Und er eilte den Gang wieder hinauf.

Ich schaute Achmed in der Dunkelheit an; sein Gesicht wurde vom Licht der Taschenlampe kaum erhellt. Er stand sehr nahe bei mir und atmete ruhig. »Nach dir, Lydia.«

Ich wandte ihm den Rücken zu und schritt voraus. Wieder verspürte ich dieses unheimliche Gefühl und diesmal noch stärker, ganz so, als ob im nächsten Augenblick etwas Schreckliches passieren würde. Wir betraten einen zweiten Raum, und dieser war voll von verblüffenden Schätzen. Sie waren den Dingen sehr ähnlich, die ich in Dr. Kellermans Büchern gesehen hatte, und bildeten die persönliche Habe der Götter. Bettpfosten in Löwengestalt, Ballen von Leinwand und Seidenstoffen, Tonkrüge, Ebenholztruhen mit sagenhaftem Schmuck, die Mumie einer Katze. Es war alles so wunderbar anzuschauen. »Sieh her, Lydia!« rief Achmed plötzlich. Ich fuhr herum. Mit der Taschenlampe beleuchtete er eine viereckige Holzkiste, in deren Oberfläche Löcher eingearbeitet waren und neben der ein Haufen Spielfiguren lag. »Daher stammt also mein Schakal! Er gehört zu diesem Spiel!« Ich kauerte nieder und betrachtete sie aus der Nähe. Dann lächelte ich Achmed zu. Sein Gesicht war in der Dunkelheit verborgen. »Möchtest du den König sehen?«

»Was?« Ich erhob mich steif. Der Gestank in der Luft drang bis zu mir vor. Es war wohl sehr wenig Sauerstoff vorhanden. »Nein. ich glaube nicht.«

»Du hast doch keine Angst vor einer Mumie, oder?« Er faßte mich bei der Hand. »Natürlich nicht.«

»Er ist da drinnen. Den König so zu sehen, wie er wirklich war, ist ein Vorrecht, das nur wenigen zuteil wird, Lydia. Sollen wir dem Mann, der dir den Schakal gab, einen Besuch abstatten?« Wir bahnten uns vorsichtig einen Weg zwischen den zerbrechlichen Schätzen hindurch und erreichten eine weitere Türöffnung. Sie war eng und in eine mindestens fünf Fuß dicke Wand eingelassen. Daneben befand sich ein riesiger viereckiger Stein, der offensichtlich mit dem Meißel behauen und hochgestemmt worden war. Auf dem Boden daneben lag ein Brecheisen.

»Halt dich von diesem Stein fern, Lydia, denn er ist mit einem Kippmechanismus verbunden, der ihn bei Berührung wieder an seinen Platz zurückschwingen läßt. Jetzt bitte nach dir.«

Er hielt die Taschenlampe so, daß sie das Innere des kleinen Raums beleuchtete, und ich folgte vertrauensvoll dem Lichtstrahl. Als ich den Granit-Sarkophag erblickte, fragte ich noch: »Was ist das?« Im gleichen Augenblick ging urplötzlich das Licht aus, und ich hörte ein knirschendes Geräusch.

Als ich mich umdrehte, konnte ich den Eingang nicht mehr sehen. Noch konnte ich die Wand sehen. Noch nicht einmal meine Hand, die ich direkt vor mein Gesicht hielt. Achmed hatte den Stein an seinen Platz zurückgerollt. Wie benommen sagte ich: »Moment mal« und horchte. »Komm schon, das ist doch nicht wirklich geschehen!« Mit ausgestreckten Händen tastete ich mich vor und versuchte den Stein wegzuschieben. Natürlich bewegte er sich keinen Millimeter. »Achmed? Achmed!«

Ich hielt mein Gesicht gegen die rauhe Wand gepreßt. »Komm schon, laß mich raus! Hilfe!« Ich schrie aus Leibeskräften, doch ich wußte, daß es zwecklos war. Die Tür war so dick, daß nichts hinaus- oder hineindringen konnte: kein Licht, kein Laut, keine Luft. Keine Luft!

Ich fuhr wieder herum und preßte mich gegen die Wand. So weit ich auch die Augen aufriß, ich konnte nichts sehen - ich war blind in der Finsternis. Es war eine Schwärze, wie man sie sich schwärzer nicht vorstellen kann. Sie war auf einen Schlag überall, umgab mich ohne klar umrissene Grenzen, so daß mich panischer Schrecken erfaßte.

»O Gott!« wimmerte ich. »O Gott, nein!«

Dann sank ich zu Boden und zog die Füße unter mich. Ich versuchte, nicht zu weinen, aber die Tränen brachen in großen Schluchzern hervor. Da ich wußte, daß ich Sauerstoff sparen mußte, gab ich mir alle Mühe, sie zurückzuhalten, aber es gelang mir nicht. Nur ein einziger Gedanke ging mir jetzt durch den Kopf: Achmed Raschid hatte mich in diesem Grab eingeschlossen. Nach einer Weile ließen die Tränen nach, und ich fühlte, wie an die Stelle der Trauer Wut trat. Er machte also mit Rossiter gemeinsame Sache! Vielleicht war er nicht einmal Regierungsbeamter, und wenn doch, dann ein korrupter! Und wo war Adele? Hatten er und der dicke Mann sie letzte Nacht in »ihre Obhut genommen«? Die schlimmsten Verwünschungen schossen mir bei dem Gedanken daran durch den Kopf. Entrüstung darüber, daß man mich schon zweimal zum Narren gehalten hatte. Und Wut darüber, daß ich so töricht und leichtfertig in die Falle gegangen war. Und wie würde er dies Paul Jelks erklären?